Samstag, 18. Juni 2011

Linke Antisemiten

Ein heikles Thema geistert seit ein paar Wochen durch die Gazetten: Der Antisemitismus in der LINKEN.

Angestoßen wurde diese Debatte durch ein Papier (PDF) von Samuel Salzborn (Uni Giessen) und Sebastian Voigt (Uni Leipzig). (Siehe auch das Interview mit Sebastian Voigt vom 17.06.2011 in der LVZ). Die Frankfurter Rundschau vom 18.05.2011 berichtete, dass dort behauptet wird, in der LINKEN würden verstärkt antisemitische Haltungen toleriert. Zunehmend würden dort Antisemiten dominanter und diese würden, so behaupten die Autoren der "Studie", das Bild der LINKEN in der Öffentlichkeit prägen.

Der ganze Vorgang selbst wurde in zahlreichen Tageszeitungen thematisiert, z.B. im Spiegel , im Fokus und in der SZ. Sogar zu einer Anhörung im Bundestag kam es.

Die Reaktion der LINKEN folgte prompt: In einem geradezu kopflosen Anflug von Aktionismus wurde am 08.06.2011 schnell ein Beschluss durchgepeitscht, der den Antisemitismus mal wieder geißeln sollte, gleichzeitig aber wegen des Prozederes bereits innerparteilich auf Kritik stieß (siehe Spiegelfechter und taz).


Bittere Ironie: Das Prozedere um diesen Beschluss wurde z.B. in der SZ (13.06.2011) wiederum mit der Kritik als "undemokratisches Vorgehen" in die Schlagzeilen gebracht. Ähnlich auch die taz (18.06.2011), wo linke Parteigängerinnen mit den Worten "Gysi hat uns erpresst" zitiert wurden.

Anlässlich dieser Vorgänge gab es ebenfalls ein paar Interviews mit Peter Ullrich von der Universität Leipzig, der sich mit der Linken, Israel und Palästina beschäftigte und sogar in der "Studie" von Salzborn/Voigt zitiert wurde.

Der Transparenz halber und zur besseren Einordnung sei angemerkt, dass Peter Ullrich für die Rosa-Luxemburg-Stiftung forschte – also eine Stiftung, die der LINKEn nahe steht. Trotzdem fallen seine Äußerungen erstaunlich differenziert aus. Die durchweg interessanten Interviews von ihm sind auf Telepolis (11.06.2011) und im Freitag (17.06.2011) nachzulesen. Zudem gibt es einen Kommentar von ihm in der taz (18.06.2011).

Nun zu meinem Eindruck. Ich beschäftige mich zwar auch mit der Abwertung von Menschen, bin aber selbst kein Antisemitismusforscher. Trotzdem fielen mir in der sogenannte "Studie" von Salzborn/Voigt schon gleich zu Anfang ein paar ziemlich unangenehme Sachen auf.

Bereits im Titel wird gefragt "Antisemiten als Koalitionspartner?", was mich ehrlich gesagt auf eine – sagen wir mal vorsichtig – normative Vorprägung, eine politische Stoßrichtung, schließen ließ. Zwar wurde bekundet, dass es vornehmlich darum ginge, ein "junges Phänomen" zu untersuchen, dem bisher noch nicht so viel Aufmerksamkeit geschuldet wurde.

Aber was ist davon zu halten, wenn Voigt in einem Interview mit der LVZ meinte, dass die Beschlüsse der LINKEn zum Thema Antisemitismus "reine Rhetorik" sind? Unter dem Strich kann und konnte die LINKE machen, was sie wollte, ihr wird das offenbar nur als "reine Rhetorik" angerechnet. Statt die Strömungen und Probleme differenziert zu benennen, wie es u.a. Peter Ullrich tut (und tat), wird da einfach der ganzen Partei Antisemitismus unterstellt. Und zwar offensichtlich aus einer parteipolitischen Gesinnungsduselei heraus.

Diese politische Motivation drückt sich auch darin aus, dass die LINKE über die Haltung zum Antisemitismus ganz grob in Realos und Fundis sortiert wurde. Es wurde der Eindruck erweckt, dass die "reformerischen" Positionen in der LINKEn frei von Antisemitismus seien, während die "orthodox-kommunistischen" Positionen recht freimütig mit Antisemitismus vermengt wurden. Kann da vielleicht eine gewisse Prise Antikommunismus für verantwortlich sein?

Solch ein offensichtlich politisch motiviertes Vorgehen ist wenig wissenschaftlich und hilfreich ist es noch viel weniger. Viel mehr erinnert es mich an den Eifer fleißiger Wandzeitungsagitatoren, wie "wir" sie noch aus DDR-Zeiten her kennen.

Zudem weiß ich ehrlich gesagt nicht, was ich von dem Antisemitismusbegriff halten soll. In der "Studie" wird einerseits immer wieder von Israel gesprochen und kritisiert, dass antisemitische Haltungen "alle Juden kollektiv für Handlungen des Staates Israel verantwortlich" machen (EUMC 2004, zitiert nach Salborn/Voigt 2011, S. 3); in ihrem Resümee leisten die Autoren dem aber insoweit selbst Vorschub, als sie von der "Politik des jüdischen Staates" schrieben. Über soviel Widersprüchlichkeit lässt sich nur mit dem Kopf schütteln. Smilie by GreenSmilies.com

Zudem habe ich meine Zweifel, inwiefern es tatsächlich gerechtfertigt scheint, das Eintreten für eine Ein-Staaten-Lösung als antisemitisch zu bezeichnen. Das Argument von Voigt, damit würde indirekt das Existenzrecht Israels aberkannt, scheint mir recht spekulativ, konstruiert und wieder einer rhetorischen Immunisierungsstrategie zu folgen.

Ich will an dieser Stelle gerne einräumen, dass es womöglich Antisemiten geben mag, die mit dieser "moderne[n] Form, das Existenzrecht Israels unter emanzipatorischen Vorzeichen [..] verneinen" (LVZ).

Auf der anderen Seite kann ich mir auch gute Gründe für eine Ein-Staaten-Lösung vorstellen. Auch, wenn derzeit in Europa wieder verstärkt nationalistische Tendenzen zu beobachten sind, so sind vor allem wir in Europa vom alten Bild der Nationalstaaten ein Stück weit abgerückt. Zumindest scheint es heute doch etwas anachronistisch, in einer Zeit für Nationalstaaten zu werben, in der wir eigentlich näher zusammenrücken und nationalstaatliche Gewalt an übergeordnete Institutionen abzugeben versuchen.

Gut, ich weiß, dass dies ein sehr europäischer - vielleicht auch typisch deutscher - Blickwinkel ist und dieser angesichts der aktuellen Situation in Europa auf Einzelne utopisch wirken mag. Doch für mich bedeutet Europa ein Stück weit den Abschied von der Idee des alten Nationalstaates (die ohnehin eine nicht gerade unproblematische Geschichte besaß). Und deshalb tue ich mich schwer damit, eine auf nationalstaatliche Differenzierung hinauslaufende Lösung nach außen hin anzuempfehlen, wo es eigentlich gelten müsste, über Grenzen, Religion, Geschlecht, Kultur usw. hinweg zusammenzuleben.

Das ist ein Punkt, der gerade den kürzlich gefassten Beschluss der LINKEn so problematisch macht. Denn geradezu an der "Studie" klebend, wurde dort eine Ein-Staaten-Lösung förmlich in den Ruch des Antisemitismus gestellt. Wie halbseiden die Argumentation dabei ist, ließ sich in einem Interview mit Gysi in der taz nachlesen: Eine konsistene Aussage war das nicht; eine rhetorisch genügsame Leistung stellte seine Rumeierei auch nicht dar!

Abschließend lässt sich festhalten, dass diese ganze Debatte schwer politisch aufgeladen ist. Die unverkennbar politisch gefärbten Begrifflichkeiten der "Studie" lassen vermuten, dass dieses Papier mehr oder weniger die LINKE als politische Kraft diskreditieren und schwächen sollte. Dafür spricht einerseits der Arbeitstitel. Andererseits wird das durch das fast schon freche Eingeständnis der Autoren belegt, sie wollten keine empirische Studie vorlegen, um dann auch noch selbst einzuräumen: "Ohne umfangreiche empirische Untersuchung, ist es schwer, darüber eine Aussage zu treffen, was sich bei den einzelnen Parteimitgliedern oder auf den unteren Ebenen vollzieht" (LVZ). Was sollte die Studie denn dann sein? Smilie by GreenSmilies.com

Selten dämlich fiel dazu natürlich die Reaktion der LINKEn aus. Viel besser als mit ihrem Beschluss hätte die sich nicht ins Knie schießen können.

Alles in allem bleibt ärgerlich, dass mit halbseidene Studien unter dem Label "Wissenschaft" ganz ungeniert (Partei-) Politik betrieben wird. Ernst nehmen kann das niemand. Leider zu Lasten von Leuten, die wissenschaftlich wirklich was zu sagen haben. Aber das würde dann wohl differenzierter ausfallen und für die Medien weit weniger interessant sein. Leider!

4 Kommentare:

sfr hat gesagt…

Hallo,

zwei kurze Nachfragen:

Was ist denn daran falsch, Antisemitismus "mal wieder" zu geißeln?

Warum soll es widersprüchlich serin, Israel als "jüdischen Staat" zu bezeichnen? So definiert dieser sich nun mal - was aber nicht heißt, dass automatisch alle Jüd_innen israelische Staatsbürger_innen oder für die Politik dieses Staates verantwortlich zu machen sind.

Arbo Moosberg hat gesagt…

Zugegeben, das "mal wieder" war vielleicht etwas zu vorschnell. Was ich damit zum Ausdruck bringen wollte, ist, dass die Diskussion um "linke Antisemiten" nicht neu ist und es dazu immer mal wieder entsprechende Aussagen usw. gab. Wie der eine Autor der Studie in einem Interview belegte, scheint das aber wenig zu interessieren.

Meine Kritik an der Bezeichnung "jüdischer Staat" bezieht sich auf die Definition des Antisemitismus, die die Autoren am Anfang ihrer "Studie" nennen (siehe obiger Text, ca. 13ter Absatz). Im besten Falle ist diese Bezeichnung in diesem Kontext (!) missverständlich. Ich halte sie für widersprüchlich.

Ansonsten gebe ich zu bedenken, welche Ausgrenzungsprobleme wir z.B. haben, wenn Deutschland als "christlich-abendländisch" bezeichnet wird. Ganz vorsichtig gesagt: Von sozialen Gesichtspunkt her ist eine derartige Definition so gaz unproblematisch nicht. Aber das ist ein anderes Thema, das ich oben in diesem Kontext nicht meinte.

Arbo

chillitopf hat gesagt…

Schwieriges Thema...aber generell pro-Israel zu sein nur wegen der Judenverfolgungen ist halt einfach nur dämlich. Die haben halt damit nen Freifahrschein(oder denken sie zumindest) und nutzen den auch ziemlich oft :(

Uncool Israel, echt uncool!

Arbo Moosberg hat gesagt…

@ Chilitopf:

Naja, wobei Deine Aussage leider auch missverständlich ist: Wer ist "die"? Ich denke, Du meinst die israelische Administration bzw. Regierung. Genau solche Ungenauigkeiten erschweren es, darüber zu diskutieren, weil sie - je nach Coleur - genügend Interpretationsspielraum lassen.

Arbo