Sonntag, 28. Oktober 2012

Fall of Efrafa

Es gibt Tage, die sind einfach nur frustrierend: Irgendwelche Dinge, die nicht funktionieren; Institutionen, die ewig auf Antworten warten lassen; irgendwelche Leute, die bei Dritten anrufen und nach Dir fragen, aber weder Namen noch Telefonnumer hinterlassen; Literatur, die Du Dir erst umständlich besorgen musst usw. usf.

Dazu passend die kalte Jahreszeit, in der sich die Tage eher mehr als weniger in ein diesiges Grau kleiden.

Und dann läuft einem Musik über den Weg, die praktisch den Soundtrack dazu liefert. Genau genommen sind es bei mir zwei Bands. Zunächst: Fall of Efrafa.

Der umständliche Name geht auf den Roman "Watership Down" von Richard Adams zurück. In ca. vier Alben haben die jungen Herren aus Brighton (UK) versucht, diesem Roman Tribut zu zollen. Und das mit einem Sound, der sich als tonnenschwere Gitarrenwand auf die Hörer zuschiebt, dabei aber dennoch mit filigran verspielten Melodien und spürbarer Aggression aufwartet. Darunter sind dann u. a. solche Perlen wie "The Burial" zu finden.

   

Das geht - wie unschwer zu erhören - in Richtung Year of No Light und Cult of Luna. Aber trotzdem empfinde ich es nicht als Abklatsch. Im Gegenteil: Ich war total begeistert. Der einzige Nachteil: Fall of Efrafa gibt's leider nicht mehr.

Dafür hat Sänger Alex gleich mal eine neues Projekt gegründet, das mit einem ähnlichen Konzept unterwegs ist: Light Bearer. Musikalisch wandelt das Projekt wieder auf ähnlichen Pfaden wie Fall of Efrafa und ist natürlich ein Genuss. Das neuste Werk von 2011 - "Lapsus" - wird vereinzelt bereits als "Offenbarung" und "Meisterwerk" bezeichnet. Dem kann ich nichts weiter hinzufügen, außer die Empfehlung, einfach mal bei Light Bearer (und Fall of Efrafa) reinzuhören und sich die ein oder andere Scheibe zuzulegen.

Karpfen statt Lachs

Rolf Anschütz war Ingenieurökonom für Gastronomie und versuchte im tiefsten Thüringen, japanisch zu kochen. Mit seinem Erfolg brachte er die ganze HO- und Parteilleitung durcheinander und brachte es sogar zu einer Ausszeichnung durch den japanischen Kaiser. Das klingt nach einem interessanten wie skurilen Stoff für eine Verfilmung. Wenn dann noch der von mir hochgeschätzte Uwe Steimle die Hauptrolle übernehmen soll, was soll da eigentlich noch schief gehen?



Gestern war ich in "Sushi in Suhl", der diese Woche angelaufen ist. Der Film hält sich nur grob an die Hintergrundgeschichte von Anschütz, was durchaus zu verschmerzen ist. Das erste Drittel des Films ist unterhaltsam und mit Liebe zum Detail ausgestattet: Die ein oder anderen Klischees flakern zwar kurz auf, aber "Sushi in Suhl" ist weder ostalgisch, noch ist sie ein DDR-Drama - obwohl der Stoff natürlich sowohl Humoriges, als auch Tragisches bietet. Aber leider greift der Film nicht beherzt genug zu.

Mir ist klar, dass der humorvolle Umgang mit der DDR immer Gefahr läuft, zu einer billigen DDR-Klamotte zu verkommen. Aber meiner Meinung nach hätte der Film trotzdem eine derbere Prise Humor vertragen. Allerdings ist der Anschütz im Film eine tragische wie egoistische Figur: Das bringt der Film durchaus zum Ausdruck. Doch leider geht die Tragik in den schnellen Sprüngen, in denen dann die Geschichte vorangetrieben wird, völlig unter.

Lückenhaft ist der Film, wenn aus dem Off ständig der Sohn von Anschütz spricht, mensch über ihn aber wenig erfährt. Irgendwo mittendrin im Film ging er - meinem Gefühl nach - ganz verloren und ich fragte mich dann, warum am Ende weder etwas über ihn, noch über die Frau von Anschütz erzählt wird. Da sich der Film ohnehin nur grob an der Lebensgeschichte von Anschütz zu orientieren scheint, wäre doch noch etwas mehr drin gewesen. Und damit meine ich nicht, dass der Film hätte unbedingt in einem Happy End münden müssen!

Ärgerlich sind außerdem die Szenen im letzten Drittel, in denen lieblos der Bluescreen verwendet wurde. Offenbar hat mensch sich noch nicht mal im Ansatz die Mühe geben wollen, diese Szenen nicht wie Bluescreen aussehen zu lassen. Gut, als Kunstkniff mag das ja noch akzeptabel sein, dafür war's dann aber auch zu dilettantisch.

Überhaupt: Der Film fließt ab der Mitte - und besonders im letzten Drittel - zäh dahin, was u. a. daran liegt, dass es im persönlichen Leben des Film-Anschütz eine Wendung gibt. Statt hier aber verstärkt die Tragik herauszukehren, dümpelt der Film seinem noch in der Ferne befindlichen Ende entgegen. Tja und tatsächlich erst am Ende scheint den Filmmachern einzufallen, dass da noch etwas Tragik in der Figur steckt - aber das wirkt dann gekünstelt, gestresst, auf den letzten Drücker: Es passt einfach nicht.

Und dann wäre da noch Steimle. Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, denn ich mag Steimle eigentlich sehr. Doch irgendwie schien ihm die gewisse Leichtigkeit zu fehlen, die zur Darstellung nötig gewesen wäre. In den Szenen, in denen Anschütz die Entmutigung, Resignation und stille Trauer regelrecht ins Gesicht geschrieben war, da verspielte Steimle mit seiner Ernsthaftigkeit die notwendige Authentizität. In solchen Szenen wirkte Anschütz wie die Bühnenfigur Günther Zieschong, der im Film aber das Publikum fehlte. Der stille Pathos, der bei Zieschong auf der Bühne funktioniert, der funktionierte nicht im Film. Und das ist schade, denn eigentlich hätte sich Steimle nur etwas zurücknehmen müssen.

Nichtsdestotrotz war der Film, soweit ich das als Laie beurteilen kann, recht gut besetzt, u. a. mit Ina Paule Klink, Ernst-Georg Schwill und Hilmar Eichhorn, die ja vom Fernsehen her bekannt sein dürften. Möglicherweise lag es daher wohl auch an der Umsetzung des Stoffes bzw. am Drehbuch, dass der Film bei mir nicht so recht zünden wollte.

Fazit: "Sushi in Suhl" ist interessant, hat auch einige schönen Momente (z. B. das gemeinsame Baden und Musizieren) und wer mit Ost-Verwandten in den Film geht, hat sicher auch etwas zu lachen. Doch ab der Mitte verliert sich die Spannung, der Film wirkt dann streckenweise gehetzt und mündet letztlich in ein Ende, das dann zwar schon herbeigesehnt wurde, trotzdem aber ein unbefriedigendes Gefühl hinterlässt.

Montag, 22. Oktober 2012

Arbo schaut fern: Seth Rydell, Frank Wagner … und dann war da ja noch die GSI

Ich möchte an dieser Stelle auf eine schwedische TV-Serien aufmerksam machen, die ich dank der Mediathek des ZDFs verfolgen konnte und der es gelang, meine Sympathie zu gewinnen: GSI – Spezialeinheit Göteborg (im Original: Johan Falk: GSI - Gruppen för särskilda insatser). Um was es bei der Serie geht, ist eigentlich recht schnell erzählt: Sie dreht sich um eine schwedische Spezialeinheit, die sich um organisierte Kriminalität kümmert, dabei auf Informant(inn)en zurückgreift und auch sonst eher am Rande der Legalität arbeitet.

Klingt eigentlich nicht wirklich spektakulär, ist es auch nicht. Und gemessen an dem eigentlichen Protagonisten – Johann Falk, gespielt von Jakob Eklund –, ist es für mich überhaupt ein Rätsel, weshalb mich die Serie trotzdem in ihren Bann geschlagen hat: Denn egal aus welcher Einstellung und in welcher Situation Eklund gefilmt wird, sein Gesichtsausdruck scheint ständig einen halboffenen Mund und ein leichtes Grinsen zu zeigen. Auch die Abteilung der GSI bleibt etwas blass, obwohl sich das in der zweiten Staffel mit der Geschichte um Sophie Nordh (gespielt von Meliz Karlge) etwas zu bessern scheint. Was ist es also, was mich an dieser Serie so fasziniert?

Da ist zum einen die Meta-Geschichte um Frank Wagner, der für die GSI als Informant tätig ist und für den sich Johann Falk als Verbindungsmann verantwortlich zeichnet. Zum einen ist es interessant, wie sich Wagner zwischen „Verrat“ und Illegalität bewegt und dabei auch noch sein Privatleben unter einen Hut zu bekommen versucht. Gut, diesen Zwiespalt mögen andere auch bei Dexter finden – freilich unter ganz anderem Vorzeichen. Trotzdem gelingt es der Serie, das bei Wagner recht spannend zu erzählen. Zum anderen ist es aber die Beziehung zwischen Frank Wagner und Johann Falk, die immer wieder für Spannung sorgt. Letztlich zeichnet sich im Laufe der Serie ab, dass Wagner als Informant aussteigen will. Doch werden ihm dabei immer wieder Steine in den Weg gelegt. Das ist zu einem gewissen Grade vorhersehbar, aber auch das hält irgendwie bei der Stange. Vor allem aber ist es konsequent umgesetzt, weil es gerade in der zweiten Staffel Folgen gibt, in der sich die Wagner-Geschichte sehr zurücknimmt.

Tja und auf der anderen Seite ist da Seth Rydell, gespielt von Jens Hultén. Das ist der Chef jener Gang, mit der Wagner in Kontakt steht und in der er spioniert. Rydell erscheint eigentlich als regelrechter Unsympath, als brutales und unberechenbares Schwein. Das zeigt sich auch später, wenn er von Sophie Nordh als Informant „gewonnen“ wird und in einer Staffel recht skrupellos einen „Kollegen“ mit Frischhalte-Folie beseitigt. Auch, wenn er in den letzten Folgen der zweiten Staffel etwas weicher scheint, so wirkt er immer noch wie ein unberechenbarer Soziopath. Und genau darin liegt der Reiz: So, wie die Serie über Rydell mit dem Zuschauer spielt, das ist m. E. einfach klasse und macht Spaß. Für mich gehört Rydell mit seinen Freizeithosen – die sich in einer Folge, gleich nachdem er aus dem Knast kommt, anzieht – irgendwie zu einem der genialsten TV-Bösewichte, die ich kenne.

 (Quelle: tvspielfilm.de)

Ansonsten gibt es vor allem in der zweiten Staffel ein paar interessante Geschichten. Zum Beispiel geraten in „Rache der Löwen“ (Folge 2) zwei verfeindete Gangs aneinander, was durch unglückliche Zufälle eine faschistische Untergrundorganisation auf den Plan ruft, die sich – davon ausgelöst – daran machen möchte, Schweden zu „übernehmen“. Auch die letzte Folge, „Unter Beschuss“ (Folge 6), ist eine spannend verzwickte Geschichte: Wagner scheint aufgeflogen zu sein, denn eine militärisch geschulte Gruppe überfällt ihn. Aber so richtig ist das nicht raus. Die gleiche Gruppe schießt auch Sophie Nordh von der GSI nieder. Wie passt das zusammen? Während Wagner sowohl von den Gangstern, als auch von der Polizei gesucht wird und obendrein das Geld verlor, mit dem er sich zur Ruhe setzen wollte, fliegen offenbar weitere Informanten auf.

Fazit: Die Serie ist jetzt vielleicht nicht der absolute Hammer, hat aber mit der sich entwickelnden Geschichte um den Informanten Frank Walter, einem coolen Bösewicht wie Seth Rydell und ein paar interessanten Geschichten das gewisse Etwas, das Spaß macht und bei der Stange hält.

Sonntag, 21. Oktober 2012

Zornigst in den Herbst

Mittlerweile sollte mensch die Nachrichten tunlichst vermeiden, sonst hebt sich der Blutdruck in ungeahnte Höhen.

Ich sage nur „Fachkräftemangel“. Da schreibt die Zeit „richtig“, dass es trotz vorgeblichen Fachkräftemangels Arbeitslosigkeit gibt – auch bei Ingenieuren. Aber dann kommt sie mit einer Erklärung um die Ecke, die einen aber sowas von selten dämlichen Vergleich enthält:
„»Mismatch« nennen Ökonomen dieses Nichtzusammenpassen von Angebot und Nachfrage. Es ist ein bisschen wie früher im Sportunterricht: Schüler gibt es genug, aber wenn die Fußballmannschaft gewählt wird, bleiben immer welche auf der Bank, die Dicken, die Unsportlichen, die Unbeliebten. Die, die vielleicht vieles sehr gut können, aber eben nicht Fußballspielen.
Es gibt zwei Möglichkeiten, mit dem Mismatch umzugehen: Man kann die Unsportlichen trainieren, so lange, bis sie gute Fußballer sind. Oder man lässt sie sitzen und holt sich gute Spieler aus der Nachbarklasse“ (Quelle: Zeit).

Gut, der Artikel lässt dann noch kritische Töne anklingen. Aber trotzdem der Vergleich: Geht‘s noch? Sind jetzt die 20.000 Ingenieure, die laut Zeit in Deutschland derzeit arbeitslos sind, „dick“ und „unsportlich“? Das hat schon was vom „Wohlstandsmüll“ eines Herrn Maucher, was völlig zu Recht 1997 zum Unwort des Jahres gewählt wurde.

Am Ende dann wieder die endlose Geschichte von der niedrigen Arbeitslosenquote unter Akademikern:

„Dass Ingenieurstudenten wie Dana Sommerfeld nach dem Studium vielleicht vor einem Loch stehen, das sehr viel kleiner ist als in der Zeitung steht. Statt des F-Worts würde dann das A-Wort drohen: die Arbeitslosigkeit. Beiden Wörtern wohnt eine Wucht inne, mit der sich Panik machen lässt. Zu Unrecht, zumindest, was Akademiker betrifft. Deren Arbeitslosenquote liegt konstant bei etwa vier Prozent – seit mehr als 50 Jahren“ (Quelle: Zeit).

Gut, auch in der FAZ war zu lesen, dass die Arbeitslosenquote bei AkademikerInnen zwischen zwei und drei Prozent liege. Aber irgendwie deckt sich das nicht mit meinen Erfahrungen. Einer meiner Bekannten erzählte mir kürzlich, dass er sich für eine Koordinatoren-Stelle an einer Uni bewarb. Ich vermute, es war eine dieser Stellen, die im Rahmen des Qualitätspaktes für Lehre geschaffen werden. Jedenfalls war er einer von 400 bis 500 BewerberInnen. Wenn die Lage auf dem Arbeitsmarkt wirklich sooooo rosig ausschaut, frage ich mich, wie es zu solchen Zahlen kommen kann.

Hinzu tritt, dass wenig bis gar nicht über die Zustände an den Universitäten berichtet wird. Mir ist kürzlich ein Beitrag über einen Physiker und Astronomen über den Weg gelaufen, der zwar etwas älter ist, aber der aber eine Situation beschreibt, die m. E. heute immer noch an den Universitäten anzutreffen ist. Und wer Augen hat, zum Lesen, der oder die wird sich wundern, was zumindest in der Wissenschaft alles an Stellen angeboten wird: Befristungen, so weit das Auge reicht. Viel zu häufig auch noch gestückelt, was das Zeug hält: 1/2- oder 3/4-Stellen sind längst keine Seltenheit mehr. Mache das mal jemand in einer Großstadt wie München, Düsseldorf oder Hamburg. Viel Spaß! Von dem ganzen anderen Mist, der z. B. an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig läuft, ganz zu schweigen (siehe student!, dort vor allem im Kommentarbereich).

Aber gut, ein anderes Thema, bei dem sich die Faust in der Tasche ballt. Als ob ich es nicht schon vor Wochen geahnt hätte, jetzt haben die Deppen der SPD den Steinbrück wirklich zum Kanzlerkandidaten gemacht (siehe Albrecht Müller im Freitag).

Liebe SPD, hat Euch jemand die letzten verbliebenen Krümel Hirn durch seine Exkremente substituiert?!

Meine Fresse, wie dämlich muss mensch sein. Die große Koalition ist damit schon beschlossene Sache. Also ab nächstem Jahr weitere vier Jahre Stillstand bzw. eine schädliche Politik für Europa und Deutschland. Kurz: Zögerliche Umsetzung von Richtlinien zur Transparenz, Zögerlichkeit in der Einführung einer Finanztransaktionssteuer und weiterer Finanzmarktregulierungen, eine weitere Einkommensspreizung und Hofierung des Kapitals etc.

Ist sonst noch etwas passiert? Ja, der Verein für Socialpolitik hat sich einen Ethik-Kodex gegeben. Was, der Verein für Socialpolitik (VfS) ist nicht bekannt? Dann gut, als Kurzfassung: Das ist DIE Vereinigung im Bereich der deutschen Volkswirtschaftslehre. Da ist alles drin, was Rang und Namen hat, der Rürup, Wolfgang Franz usw. Jetzt haben die sich also auf ihrer Jahrestagung in Göttingen einen Ethik-Kodex gegeben.

Klingt gut, ist es irgendwie auch. Naja, besser als nüscht, wird mensch sagen. Denn erstens kommt der Kodex - gelinde gesagt - reichlich spät – JournalistInnen, SoziologInnen, PolitikwissenschaftlerInnen usw. haben das schon längst und außerdem gibt noch allgemeine Vorschriften zur wissenschaftlichen Arbeit von der DFG.

Zweitens haben die Damen und Herren auch reichlich lange gebraucht: Angeblich soll laut eigenen Angaben schon seit 2010 eine Kommission damit beauftragt gewesen sein. Und drittens ist das Ergebnis für die zwei Jahre Arbeit mehr als nur dürftig: Lauter Selbstverständlichkeiten, dehnbare Begrifflichkeiten, nichts wirklich Konkretes, keine Sanktionen und letztlich geht der Kodex offenbar auch an Kräfteverhältnissen der Hochschulen vorbei (siehe Kritik hier).

Interessanterweise gab‘s zur gleichen Zeit, in der der VfS seine Jahrestagung abhielt, eine Ergänzungsveranstaltung, auf der u. a. der Ethik-Kodex des VfS diskutiert wurde. Die gesamte Tagung wurde dokumentiert und die entsprechenden Vorträge lassen sich auf den Seiten der Real World Economics als Video (z. T. auch nur als Audio-Mitschnitt) abrufen. Ich selbst finde auch nicht an allen Beiträgen Gefallen, aber eine Reihe interessanter Vorträge sind dort schon vorzufinden, u. a. der von Michael Kumhof, der beim Internationalen Währungsfond tätig ist und in letzter Zeit mit der Vollgeldidee in den Medien war; auch Jens Berger, der Spiegelfechter von den NachDenkSeiten, ist dort mit einen interessanten Vortrag über Island zu erleben; tja und Max Otte ist allein schon ob seiner Star Wars-Anleihen recht lustig anzusehen.

Allerdings genoss diese Veranstaltung wenig öffentliche Aufmerksamkeit. Es war zwar ein cleverer Coup, dort Oskar Lafontaine auftreten zu lassen (während Gerhard Schröder vor dem VfS sprach), doch letztlich blieben die Medien eher an diesem Polit-Ereignis haften, statt sich mit den Inhalten der Ergänzungsveranstaltung auseinanderzusetzen. Aber so ist das immer.

Sonst noch etwas? Wie wär‘s mit Anne Will: Am 17.10.2012 gab‘s eine Sendung zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Was mir zunächst erst einmal negativ auffiel, das war der suggestive Unterton, der letztlich für eine Verlängerung des Bundeswehreinsatzes plädierte. Irgendwie schien das auch auf Linie mit Herrn Thomas de Maizière zu sein, der sehr stark danach klang, für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan etwas mehr Zeit einzukalkulieren, sprich – die Bundeswehr soll dort länger vor Ort bleiben, was aber unter einer Reihe von Schönfärbebegriffen verdeckt wird (so zumindest die Lesart von Florian Rötzer auf Telepolis). Was hier empört, ist, dass jene, die von Anfang an gegen den Einsatz war und diesen auch weiterhin nicht gutheißt, wieder einmal übergangen und in der Sendung als realitätsferne Fundis dargestellt wurden.

Das zweite, was mich allerdings noch mehr aufregt, das ist dieser de Maizière: Wie kann mensch diesen Vollpfosten überhaupt noch als seriösen Talkgast einladen, nachdem er es nur als „unsensibel“ bezeichnete, den NSU-Untersuchungsausschuss nicht darüber in Kenntnis gesetzt zu haben, dass er vom Kontakt des MAD zu einem der NSU-Mitglieder wusste (SZ, Tagesspiegel und ZEIT). Mit dem verschleppen von Informationen hat Herr de Maizière offenbar Erfahrung (SZ, siehe auch Plutokraten). Also Hallo? Wäre das nicht mal ein Grund für einen Rücktritt oder gar für kritische Fragen? Hallo, investigativer Journalismus, wo bist du? Stattdessen also die nette Wohlfühlecke, mit Plüschfaktor, die aus einem Stachelschwein das nette Meerschweinchen von nebenan werden lässt. Also wenn schon nicht vernebeln, dann wenigstens mit Wattebällchen so zupflastern, dass nichts mehr erkennbar ist.

Montag, 13. August 2012

Die Steinifixe

Die Süddeutsche orakelt über die Kanzlerkandidatur der SPD: SSG - Steinmeier, Steinbrück und Gabriel. Mensch muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen:
  • Steinmeier, der die Agenda 2010 zu verantworten hat, stellvertretend für seine SPD-Politik abgewählt wurde und dann war da ja noch die Ich-weiß-von-nix-Kurnaz-Affaire;
  • Steinbrück, ebenfalls ein Agenda-Verfechter, der uns mit seiner Finanzmarktderegulierung eine ganze Reihe fiskalischer Probleme aufgehalst hat und praktisch immer, wo er politische Verantwortung tragen durfte, dafür auch abgewählt wurde; sowie
  • "Siggi Pop", dem ebenfalls eine kritische Distanz zur Agenda 2010 fehlt und der ansonsten auch immer dort zu finden ist, wo der Wind weht.

Die ZEIT meint sogar, dass Steinmeier "die nächste SPD-Kanzlerkandidatur kaum mehr zu nehmen" ist.

Wenigstens haben einige der ZEIT-Kommentator*Innen (im Kommentarbereich) ihren Verstand nicht an der Garderobe abgegeben.

Irgendwie muss mensch sich doch verarscht vorkommen. Aber wenn die SPD wirklich diese Luschen ins Feld schickt, dann kann sie sich auch gleich beim Schreiner einen Termin geben lassen. Obwohl, Pappsärge sollern günstiger sein ...

Sonntag, 12. August 2012

Sommerimpressionen 2012

Ein paar schöne Sommerimpressionen.

   

Und für jene, die einen erlesenen Musik-Geschmack ihr Eigen nennen: Mike Patton, Mondo Cane.



Einfach genial der Mann!

Mittwoch, 8. August 2012

Presseschau: Juli/August 2012

Es war wieder mal viel los, deshalb meinerseits nur ein kursorischer - kommentierter - Überblick über ein paar Dinge, die sich in den letzten Wochen zutrugen.

(13.07.2012) Esowatch heißt jetzt Psiram (Teleplolis) 

Wer sich über esoterische Geschäftemacherei, braune Esoterik usw. informieren wollte, war bei der GWUP.org und bei Esowatch.com an der richtigen Adresse. Jetzt haben sich Esowatch in Psiram umbenannt und sind zu finden unter Psiram.com. Dort lässt sich auch das bekannte Wiki aufsuchen.

Die Hintergründe für die Umbenennung lassen sich u. a. auf Telepolis nachlesen. Und um es gleich vorweg zu nehmen: Es stehen einem die Haare zu Berge. Eine ziemliche Sauerei, was da esoterische Gegner an Verwirrung - aber auch (mutmaßlicher) Einschüchterung - betreiben.

(22.07.2012) Unberechtigte Sanktion: Gerichtsvollzieher marschiert ins Jobcenter Leipzig (liz) 

Ein "Kunde" des Jobcenters wurde sanktioniert, in dem ihm das Existenzminimum gekürzt wurde. Das Sozialgericht Leipzig urteilte dann im April 2012, dass dies nicht rechtens sei. Das Jobcenter zahlte aber offenbar nicht, so dass sich der Betroffene rechtlichen Beistand einholte und dann der auszuzahlende Betrag letzter per Gerichtsvollzieher im Jobcenter eingeholt wurde. So jedenfalls die Darstellung, wie sie u. a. auch bei der Frankfurter Rundschau nachzulesen war.

Das Jobcenter Leipzig distanzierte sich von den damit verbundenen Vorwürfen, was in der Leipziger Internetzeitung ebenfalls nachzulesen war.

In dem Zusammenhang ist auch auf einen weiteren langen, wie informativen Artikel der liz hinzuweisen: "Jobcenter Leipzig: Eine Zielvereinbarung mit Tücken und Abschreckpotenzial" (Ralf Julke, liz|06.08.2012) 


(25.07.2012) Karlsruhe erklärt Wahlrecht für verfassungswidrig (Süddeutsche)

"Angesichts der Vorgeschichte des neuen Wahlrechts sieht der Senat keine Möglichkeit, den verfassungswidrigen Zustand erneut für eine Übergangszeit zu akzeptieren", sagte Verfassungsgerichts-Präsident Andreas Voßkuhle. Die Karlsruher Richter hatten das frühere Wahlrecht bereits 2008 für teilweise verfassungswidrig erklärt und innerhalb von drei Jahren eine Neuregelung verlangt. Das neue Wahlrecht war jedoch erst im Dezember 2011 in Kraft getreten, fünf Monate nach dem vorgegebenen Termin.
Nur zur Erinnerung: Am 01.01.2011 trat die Hartz-IV-"Neuerung" rückwirkend in Kraft, nachdem die Bundesregierung vom Bundesverfassungsgericht im Februar 2010 dazu verdonnert wurde, bis Ende 2010 eine Neuregelung herbeigeführt zu haben.

Tja, mit dem Bundesverfassungsgericht und unserem Grundgesetz haben es die Damen und Herren aus der Bundesregierung offenbar nicht so.


(01.08.2012) Innenminister ignoriert Karlsruher Urteil (Südwestpresse)

"Auf die Frage, wie die Bundesregierung die Forderung des Bundesverfassungsgerichts zu den Leistungen für Asylbewerber umsetzen wolle, geht der Minister [Friedrich, Anm. d. Verf.] zu den Karlsruher Richtern auf Distanz: "Wir haben einen Abstand zwischen dem Hartz-IV-Satz und den Asylbewerber-Leistungen. Ich halte das nach wie vor für richtig", erklärt er laut Augen- und Ohrenzeugen. Er fügt hinzu, dass es nicht seine Aufgabe sei, die vom Verfassungsgericht geforderte Neuberechnung der Unterstützungszahlung für Asylbewerber vorzunehmen. Seine CDU-Kollegin, Sozialministerin Ursula von der Leyen, werde diese aber so ausrechnen, dass der Abstand zu Hartz IV gewahrt bleibe.
Prima, da wird in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes festgestellt, dass Asylbewerber keine halben Menschen sind, weshalb ihnen das Existenzminimum alias "ALG II" aka "Hartz IV" zusteht, und unser Innenminister meint sich dann einfach darüber hinwegsetzen zu können. Worauf sind die Minister nochmal vereidigt worden?



(05.08.2012) Hartz-IV-Wohnregelung verfassungswidrig? (Teleplolis) 

Offenbar geistern trotz Neuregulierung der "Hartz-Gesetze" also noch Gesetzesteile herum, die verfassungsrechtlich zumindest noch Fragen aufwerfen.


(06.08.2012) März 2012: Im Jobcenter Leipzig wird so oft sanktioniert, wie nirgendwo sonst in Sachsen (Ralf Julke, liz) 

Obwohl einem vor lauter Zahlen der Kopf rauchen kann, ist der Artikel allemal sehr informativ, da er u. a. auch Zahlen zur bundesdeutschen Sanktionsquote enthält.

Zum gesamten Bild gehört allerdings auch die Frage, wie viele der Sanktionen als rechtmäßig eingestuft wurden/ werden. Denn es ist ja nicht so, dass die Sanktionen immer rechtens wären, weshalb es sich im Grunde genommen auch verbietet, von "Leistungsmissbrauch" u. ä. zu schreiben, da die betroffenen Personen allenfalls im Verdacht stehen.

Jedenfalls ging die Bundesregierung in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Linken von 2012 (Drucksache 17/9335|PDF) auf die "Erfolgsquoten" bei den Klagen gegen die Sanktionen an. Die Ergebnisse:

2006: 41,9%
2007: 51,0%
2008: 65,2%
2009: 53,6%
2010: 60,0%
2011: 54,0%

Wenn, wie in der liz berichtet, die bundesdeutsche Sanktionsquote bei 4,8 Prozent liegt, stehen - 2011 zu Grunde gelegt - die Chancen bei 54% Prozent, dass die Klagen gegen solche Sanktionen erfolgreich sind. Damit korriegiert sich die Sanktionsquote nochmals nach unten, d. h. in über der Hälfte der Fälle hätte das Jobcenter gar nicht so sanktionieren dürfen, wie es das getan hat.

Sonntag, 24. Juni 2012

Refused und FNM

Ich weiß nicht, wer's schon mitbekommen hat, aber Refused gehen wieder auf Tour. OK, ich gebe zu, wer sich noch an die recht agilen New-Noise-Zeiten erinnert, wird vielleicht etwas wehmütig auf die Herren Lyxzén und Co. schauen, die mittlerweile auch deutlich in ihre "besten" Jahre gekommen sind. Einen bitteren Geschmack hinterlässt auch, dass sie vielleicht zu viel auf großen Veranstaltungen spielen. Interessant fand' ich's aber trotzdem, weil Refused eigentlich immer schon etwas ganz Besonderes in der Hardcore-Szene waren: Deutlich anti-kapitalistisch, vegan usw., aber optisch weit weniger angepasst und konform, wie mensch sich heute die Leute im Hardcore-Business vorstellt (übrigens auch heute).

Und wie das so ist, ich bin beim Rumsurfen auf eine wirklich schöne Perle gestoßen: Faith No More beim Download-Fesival 2009.


Vom Sound und Video her in guter Qualität. So altert mensch in Würde und rockt noch im höheren Alter! Das Richtige, um sich mal etwas zurück zu lehnen und in Erinnerungen zu schwelgen. Einfach Klasse!!!

Soziale Verantwortungslosigkeit und Verachtung

Es ist eine gruselige Zeit. Da behauptet eine unserer "Wirtschaftsweisen", dass die griechischen Löhne zu hoch seien: "Die Strukturreformen sind schmerzhaft für die griechische Bevölkerung. Aber sie müssen so oder so kommen, damit die Wirtschaft zukünftig wachsen kann". Mal zugespitzt gefragt: Meint sie damit die Armuts-Wirtschaft? So wie bei uns die Tafeln?

Im Übrigen gibt's jetzt auch in einer Studie (Telepolis) nachzulesen, was von diesen Wirtschaftsweisen zu halten ist.

Und dann noch die ekelhafte Verächtlichmachung der Europäischen Idee durch all jene, die es schon immer wussten, jetzt aber meinen, mal so richtig das Maul aufmachen können. Das Ganze dann auch schön mit ökonomischen Argumenten garniert, damit's nicht zu sehr nach Unmensch und nationalem Chauvinismus klingt - so wie das Frau Anja Kohl, die ARD-Börsen-"Fachfrau", am 20.06.2012 bei Anne Will tat. Ich dachte, ich höre nicht richtig, als da sogar mal der olle Michael Rogowski einen lichten Moment hatte und ihr die Notwendigkeit einer Europäischen Transferunion und einer Europäischen Solidarität entgegen hielt (damit erschöpften sich seine lichten Momente jedoch).

Eigentlich gäbe es jeden Tag etwas zu kommentieren: Aber im Moment bin ich es ehrlich gesagt leid.

Freitag, 11. Mai 2012

Jauch und mehr

Am vergangenen Sonntag beging ich den unglaublichen Fehler, einen Moment lang in Jauchs Sonntagstalk zu schauen, um dann einer noch unglaublicheren Sauerei beizuwohnen.

Eingeladen war Johannes Ponader von der Piratenpartei. Auf die Frage, womit er seinen Lebensunterhalt verdiene, erwähnte dieser er u. a. Sozialleistungen. Als ob niemand wüsste, was das bedeutet, hakte Jauch nach, ob Ponader denn "Hartz IV" meine. Dieser klärte ihn dann darüber auf, dass es eigentlich "Arbeitslosengeld II" heißt.

Spätestens da hätte Jauch eigentlich auf den Trichter kommen müssen, dass "Hartz IV" vielleicht als beleidigend empfunden wird. Nun ja, vielleicht kam Jauch auch auf den Trichter. Anstatt diesem Umstand aber Respekt zu zollen, traktierte er Ponader munter weiter mit der Frage, ob dieser denn "Hartz IV" beziehe. Jauch ging es nicht darum, zu erfahren, wie der Lebensunterhalt von Herrn Ponader aussah, sondern Jauch wollte offenbar, dass Ponader sagte "Ja, ich beziehe Hartz IV".

Das Perfide ist daran nicht nur, dass Jauch Ponader mit "Hartz IV" zu stigmatisieren versuchte, sondern dass er ihm aufzwingen wollte, sich selbst zu stigmatisieren! 

Ein Vorgehen, das mensch eigentlich eher der stereotypen Vorstellung über Verhörmethoden in nicht gerade sehr freiheitlich-freundlichen Staaten zuschreibt.

Roberto J. De Lapuente von ad sinistram hat zu diesem Vorgang einen, wie ich finde, hervorragenden Kommentar verfasst. Bitte lesen!

Was ist abseits dessen bisher geschehen?

Wie ich gerade bei Philip Plickert in den FAZ Blogs lese, haben Wissenschaftler gerade in einer Studie untersucht, wie freimütig Wirtschaftswissenschaftler*Innen mit Schummeleien in ihren Studien umgehen: 1 bis 3,5 der 435 befragten Ökonomen würden plagiatieren, fälschen oder erfinden; verbreiteter sind dagegen "fragwürdige Methoden", d. h.
"voreingenommene Forschung, die nur bestimmte Arbeiten zitiert, eine selektive Auswahl von Daten oder Ergebnissen, die ins Konzept oder in die Weltanschauung passen, oder die berüchtigte Salamitaktik beim Veröffentlichen: Die Ergebnisse der Forschung werden in dünne Scheiben geschnitten, die jeweils gerade noch einen Aufsatz für eine wissenschaftliche Zeitschrift ergeben".
Den 20 bis 60 Prozent, die diese Methoden anwenden, steht gegenüber, dass jeder siebte Wissenschaftler jemanden kennt, der "schummelt": "85 Prozent sagten, die Entdeckungswahrscheinlichkeit sei gering", heißt es im Artikel von Philip Plickert. Erwähnt wird dort auch, dass - wie sollte es anders sein -, nachdem die American Economic Association einen Ethik-Kodes anstieß, die deutschen Volkswirte natürlich nachziehen wollen. Was von diesen Bestrebungen zu halten ist, war bereits im Februar auf der Ökonomenstimme zu lesen.

Zu einem anderen Thema: Bei Telepolis gab's kürzlich ein empfehlenswertes Interview mit Kathrin Hartmann, die das Buch "Wir müssen leider draussen bleiben" geschrieben hat. 

Zum Schluss noch etwas Leichteres für alle Spielefreunde. Ich weiß ja nicht, ob Ihr es schon mitbekommen habt, aber Baldurs Gate wird von Overhaul Games neu aufgelegt. Laut 4Players soll es sogar ein paar "neue Inhalte" geben. Und auf Onlinewelten orakelt es, es wäre langfristig sogar an einen dritten Teil gedacht. Wir dürfen gespannt sein.

Samstag, 31. März 2012

Gaucks Freiheit, Anschlussverwendung und Schramm

Die Tage - nein: Wochen - vergehen wie im Fluge, es gab - nein: gibt - viel zu tun und das Wetter war auch herrlich.

Auf der anderen Seite gab es die letzten Tage über eine Reihe von Dingen, über die es sich zu schreiben lohnt.

Ich will mal mit Herrn Gauck anfangen. Gauck war in Polen und meinte, dass Polen das "Land der Freiheit" wäre. Nun will ich "den" Polen dieses Attribut nicht madig machen, zu groß ist da mein Respekt vor Solidarność. Aber ist das trotzdem nicht zu viel Pathos, was Gauck einem da auf die Stulle schmierte?

Die Kritik von Feynsinn geht in diese Richtung. Und ich möchte hinzufügen, dass Gauck sich mit solchen Äußerungen auch deshalb hätte zurückhalten sollen, weil noch die Vorwürfe im Raum stehen, in Polen wären geheime CIA-Foltergefängnisse betrieben worden. Homosexualität in Polen wäre dann ein weiteres Thema, das sich mit Gaucks Freiheitsjubel für Polen doch arg beißt. Von der Diskriminierung anderer Minderheiten will ich gar nicht erst anfangen. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Die von mir kritisierten Tendenzen sind wohl oder übel - leider - in verschiedenen Ländern zu beobachten. Deshalb ist es aber m. E. problematisch, wie Gauck, den Mund in Sachen Freiheit einfach so voll zu nehmen.

Einmal mehr bewahrheitet sich Jakob Augsteins Behauptung, dass "Freiheit" für Gauck im Grunde genommen nur "Abwesenheit von DDR" bzw. Abwesenheit von "Kommunismus" ist.

Kommen wir nun zu einem anderen Thema.

Nachdem im letzten Jahr von "Dönermorden" die Rede war und dies zum Unwort des Jahres 2011 gewählt wurde, scheinen sich die Medien und allen voran die politische Leb- und Lieblosigkeit in Person - die FDP - förmlich darin zu überbieten, Vorschläge für die Unworte des Jahres 2012 zu kreieren: So dürfen wir jetzt z. B. von "Schlecker-Frauen" lesen, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind und denen FDP-Cheff Rössler den ungemein hilfreichen Rat gibt, nach einer "Anschlussverwendung" zu schauen. Einen entsprechenden Kommentar gibt es von Jens Berger unter dem treffenden Titel: "Die FDP und die Schlecker-Pleite – Polittaliban außer Kontrolle".

Neben diesen Geschmacklosigkeiten gilt es noch einen erfreulichen Umstand zu würdigen: Georg Schramm hat den Erich Fromm Preis 2012 erhalten und eine - in meinen Augen - vortreffliche Rede gehalten.


(Die Rede beginnt etwa ab Minute 4.30.)

In einem möchte ich Schramm energisch widersprechen. Im Video meinte er, er wäre für den Bundespräsidenten ungeeignet gewesen. Seine Rede beweist das Gegenteil. Klar, sein Alter Ego Dombrowski wäre ein krawalliger Traum jedes Anarchisten. Aber Schramm tut der Netzgemeinde Unrecht, wenn er meint, dass sie nur zerknirschten Dombrowski wollte: Meine Vermutung ist, dass sie auf genau jenen Schramm baute, der sich in seiner obigen Rede zeigte!

Ähnlich verstörend wie Dombrowski wirken auch die Figuren von Uwe Steimle, meiner Meinung nach - gleichberechtigt - neben Schramm einer der begnadetsten Schauspieler und Kaberettisten in Deutschland. Ich finde es immer wieder herrlich, wie bei ihm Ernst und Komik auf eine Weise verschwimmen, bei der einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Ein aktuelles Beispiel war kürzlich wieder in der "Anstalt" zu erleben.


(Ab Minute 12.10.)

In diesem Sinne: Ein angenehmes Rest-Wochenende, auf das die "Anschlussverwendung" der folgenden Tage noch nützlich ausfalle.

Sonntag, 11. März 2012

Endlich: Das Ende der Woche

Die Woche war wirklich das Letzte. Und dann noch dieses Wochenende: grau, grau, grau. Kein Wunder, dass ich mal wieder einen "komischen" Musikgeschmack habe.

Montag, 27. Februar 2012

Presseschau: "Bürgerrechtler"

Die unsägliche Gauck-Posse hat in den letzten Wochen gar eigenartige Blüten getrieben. Besonders eigenartig wirkte auf mich die Kritik an der Gauck-Kritik. 

Angestoßen wurde diese offenbar durch einen besonders engagierten Beitrag aus dem Umkreis der Karlshochschule: Dort wurde den Gauck-Kritiker(inne)n vorgeworfen, dessen Aussagen aus dem Kontext gerissen zu haben. Möglicherweise wäre der Beitrag in den Untiefen des Netzes versunken, wenn ihn Sascha Lobo in seiner Spiegel-Kolumne nicht ausgegraben hätte. Tja, der Lobo wieder mal. Den halten unsere netz-aversen Zeitgenoss(inn)en offenbar für einen besonderen Internet-Experten. Überzeugen konnte er allerdings nur die, die begierig das positive Bild ihres Gaucks retten wollten.

Zugegeben, mit "Ein Stinkstiefel namens Gauck" hatte Deniz Yücel (taz) deftige Töne angeschlagen. Aber das, was er schrieb, sollte er sich das nur aus den Fingern gesogen haben? Eher nicht. Auf die Kritik an der Gauck-Kritik reagierte "das Netzt" prompt und zeigte, das die Aussagen von Gauck auch "im Kontext" kritikwürdig blieben. Nachzulesen ist das u. a.


Ein Stein des Anstoßes war die Kritik, dass Gauck die NS-Zeit bzw. das NS-Regime verharmlose, was dann wiederum zum Anlass genommen wurde, Deniz Yücel vorzuwerfen, er hätte behauptet, Gauck würde den Holocaust leugnen. Bei Maybrit Illner war es dann Herr Trittin, der Ines Pohl, der Chef-Redakteuse bei der taz, genau das als "Schweinejournalismus" unter die Nase zu reiben versuchte.

An der Stelle noch ein Einwurf: Von Frau Pohl hätte ich erwartet, dass sie sich stärker hinter Deniz Yücel stellt, statt sich mit dem Hinweis auf den persönlichen Meinungscharakter eines Kommentars und der verfassungsrechtlichen Gewährleistung von Meinungen aus der Affaire zu ziehen! Mir ist natürlich klar, dass sie mit seiner Verteidigung ein vermintes Feld betreten hätte und ob ihr das geglückt wäre, ist noch eine ganz andere Geschichte. Sich aber bereits im Vorfeld in den Teflon-Weichspülmodus zu begeben, das ist arm. Ich hätte da mehr Courage erwartet!

Wie dem auch sei, Deniz Yücel reagierte auf die Vorwürfe in der taz. Dass seine Kritik nicht aus der Luft gegriffen war, lässt sich übrigens in einem älteren Beitrag von Karl D. Bredthauer nachlesen ("Yes, we Gauck!?", Blätter für deutsche und internationale Politik).

Gaucks Aussagen sind für mich die eine Geschichte. Die andere Seite ist, dass die etablierten Medien und die Politiker den Gauck mit dem Nimbus des "Bürgerrechtlers" herumreichen.

Mit Franziska Augstein lässt sich daran aber zweifeln. Deutlichere Worte fand der frühere Bürgerrechtler und Grünen-Politiker Hans-Jochen Tschiche im Freitag:

"Er [Gauck, Anm. d. Verf.] hat niemals zur DDR-Opposition gehört, deren Akteure man im heutigen Sprachgebrauch Bürgerrechtler nennt. Er verließ erst Ende 1989 die schützenden Mauern der Kirche und kam über das Neue Forum in die Volkskammer".

Wenn mensch den Gauck mit Leuten wie Friedrich Schorlemmer vergleicht, der seit 1968 aktiv war, Schwerter zu Pflugscharen schmiedete und es sich auch heute nicht bequem macht, dann wirkt die Behauptung, Gauck wäre "Bürgerrechtler" fast schon wie eine Entwertung des Begriffes.

Der Vergleich mit Schorlemmer ist deshalb interessant, weil dieser ebenfalls ein Mann des Glaubens ist, dem - im Gegensatz zu Gauck - seine humanistische Einstellung aber deutlich anzumerken ist. Nicht ohne Grund kritisierte Schorlemmer, dass Gauck in seinem Freiheitsbegriff die Gerechtigkeit vernachlässige.

Wolfgang Lieb von den Nachdenkseiten hatte Gaucks Gesellschaftsbild daher ganz richtig dem marktliberalen Denken von Friedrich August von Hayek zugeordnet. Entsprechend darf es nicht verwundern, wenn bei Gauck immer ein gewisser, verächtlicher Ton mitschwingt, wenn er sich zum Sozialstaat äußert, z. B. wenn er in dem Zusammenhang vom paternalistischen Verteilen sprach. Insofern habe ich ein Problem damit, eine Person, die - wie Schorlemmer richtig sagte - so "monothematisch" auf den Freiheitsbegriff festgelegt ist und diesen Begriff so blind auslegt wie Gauck, als "Bürgerrechtler" gelten zu lassen.

Dummerweise werden wir aber sehr wahrscheinlich in den Geschichtsbüchern über Gauck lesen, dass mit ihm ein "Bürgerrechtler" ins Amt des Bundespräsidenten kam.

Wie dem auch sei. Angesichts der Kritik an Gauck und der Kritik an der Gauck-Kritik kann ich mich nur Tom anschließen, der dazu schrieb:

"Auch nachdem ich die vollständigen Aussagen Gaucks zu verschiedenen Themen gelesen habe, rezipiere ich deren Inhalt nicht viel anders. Folgender Eindruck bleibt: Die fehlende Distanz zu Thilo Sarrazins Thesen, die Befürwortung der Agenda-Politk inklusive 'Hartz4', die abfälligen Bemerkungen zur Occupy-Bewegung und die Bagatellisierung der Überwachung durch die Vorratsdatenspeicherung. Von einem Bürgerrechtler habe ich andere Vorstellungen" (Toms Wochenschau).

Ähnliches findet sich bei Jackob Jung formuliert, der übrigens auch über das Schindluder mit den Umfragen zu Gaucks Kandidatur schrieb. Rein sachlich war die Kritik an der Gauck-Kritik also ein ziemlicher Schuß in den Ofen, was in den etablierten Medien natürlich nicht wirklich zur Kenntnis genommen wurde. Entgegen dem dort gezeichneten Bild der twittergeschädigten Generation Netz finden sich im Internet viele fundierte Kommentare, die eher zum Surfen anhalten, statt das geduldige Papier der Zeitungen zu blättern.

Abschließend: Auch ich kann sagen, dass Gauck nicht mein Präsident sein wird. Statt einen progressiven Ideengeber, werden wir nun einen Präsidenten bekommen, der uns den Protestantischen Arbeitsethos eintrichtert. Den sozialen Randgruppen wird damit eine geradezu masochistische Askese abgefordert, schließlich sei jeder seines/ ihres Glückes Schmied. Mit seiner Freiheitsideologie wird Gauck eher der Zementierung sozialer Verhältnisse Vorschub leisten, als soziale Verwürfnisse zu benennen. Gauck als Bundespräsident besitzt den morbiden Geschmack eines neoliberalen Wiedergangs.