Sonntag, 31. März 2013

Easter Mugge: Monachus und ◯

Kürzlich habe ich mal wieder etwas nach Musik gestöbert. Wer den Blog hier in letzter Zeit gelesen hat, wird richtig vermuten, dass es dabei in Richtung YONL, Red Sparowes, Cult of Luna, Light Bearer usw. ging. Also schön schweres und langsames Zeug, das bisweilen atmosphärisch-verspielt daherkommt und sich für gewöhnlich hinter Labels wie "Doom", "Post-Rock", "Post-Metal", "Atmospheric Sludge" o. ä. verbirgt. Dabei bin ich mal wieder auf zwei Bands aufmerksam geworden, auf die ich an dieser Stelle mal hinweisen möchte.

Schwer begeistert bin ich von Monachus aus Schweden (Hompage). "Out of the Blue" von 2011 ist echt der Hammer. Soundtechnisch irgendwie so fett wie Crowbar, aber von der Geschwindigkeit noch einen Zacken langsamer. Gut, die Stimme ist dort etwas gewöhnungsbedürftig, erinnert ein wenig an Pittbull (falls die noch jemand kennt). Aber es macht einfach Spaß, zu erleben, wie dort langsame Parts in ein Gitarreninferno einmünden, das sich regelrecht totschleppt. Kürzlich haben sie auch ein neues Album veröffentlich: "Below" (2013). Es ist gewohnt fett und der Gesang geht zum Teil sogar noch deutlicher in Richtung Kirk Windstein, erinnert aber zum Teil auch ein wenig an Neurosis. Letzteres aber auch wegen der disonanten Gitarrenführung. Mensch braucht teilweise wirklich Zeit, um sich reinzuhören, aber wenn mensch einen Zugang gefunden hat, macht Monachus einfach Spaß!

Zu einer anderen Band: Was ist von einer Band zu halten, die keinen richtigen Namen hat, sondern sich durch ein Symbol beschreibt und sich deshalb nur schwer im Netz finden lässt? Entweder ist es ein verdammt guter Marketing-Gag oder es ist einfach nur ziemlich dämlich! So ergangen ist es mir mit . Ja, wehrte Leserinnen und Leser, Sie lesen richtig: - genau das ist der Name der Band und jetzt versuche jemand mal spaßeshalber diese Band im Netz zu finden!

Mit etwas Recherche kommt mensch dann etwas weiter und landet auf otheband.blogspot.de oder auf o-music.bandcamp.com. Auf Doomrock.de ist dann zu erfahren:

„◯ isn´t just the letter. ◯ is the circle symbol and at the same time the name of this six piece band from the border region (Belgium/Netherlands/Germany) around Aachen (Germany). In summer 2010 ex-members from 'Allegorie, Dancing on Debris', 'Jack the Rocker' and 'Kings of the Day' got together with the aim to create spheric musical landscapes. The music wants to take the audience on a turbulent journey somewhere between ambient and postrock and sometimes you can guess their musical roots found in punk/hardcore“.

Das Ganze ist deshalb so doof, weil die Band wirklich super Musik macht: Instrumentell, elektronisch und atmosphärisch, leise, aber auch mit lauten Gitarren. Einfach mal die Zeit nehmen und reinhören (Bandcamp). Das ist verdammt interessant und macht Lust, sie auch mal live zu erleben. Bleibt nur noch zu hoffen, dass sie sich mal etwas mit ihren Namen einfallen lassen.

Old Arbo und die Pumpkins: Über einen Neuanfang in alten Latschen mit neuer Sohle

Jaja, der gute Billy Corgan, eine Diva vor dem Herrn und in seiner theatralischen Art für mich manchmal hart an der Schmerzgrenze. Aber irgendwie hat sein Ehrgeiz auch etwas Sympathisches. So im Rückblick kann ich sagen, dass ich den Eindruck hatte, die Pumpkins wären tot und da konnte Corgans Glaube (!) an das Projekt "Pumpkins" in den letzten Jahren auch nichts ändern - eher bestätigten seine Versuche nur das Gegenteil, dass nämlich der Patient nur noch künstlich am Leben erhalten wurde.

Das hatte eine gewisse Tragik.

Letztes Jahr gab's nun das neue Album "Oceania". Und was soll ich sagen, mein Eindruck ist, dass der Patient - für mich völlig unerwartet - aus dem Koma erwachte. Corgan hat es tatsächlich geschafft, ein paar kompetente Musiker um sich zu scharen und mit ihnen zusammen ein Album zu produzieren, dass einzelne begeistert feiern als das "beste Pumpkin-Album seit 'Adore'" (Sven Kabelitz, Laut.de), als "eines der weitaus spannenderen Rockalben der Zeit" bzw. als "gigantisches Album [..], das dem Rock endlich einen zeitgemäßen Habitus bringt" (Jacob Biazza, Focus).

Um ehrlich zu sein, ich habe sehr lange gezögert, mich mit "Oceania" zu beschäftigen, weil mich im Grunde alles seit Siamese Dreams (1993) und Mellon Collie and the Infinite Sadness (1995) nicht mehr wirklich vom Hocker haute und alles, was Corgan in den letzten Jahren versuchte, in meinen Augen Rohkrepierer waren.

Aber nun gab ich mir doch einen Ruck und muss zugeben, dass mich "Oceania" schon vom Sound des Openers "Quasar" einnahm: Hey, da war wieder dieser Sound von Siamese Dreams! Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen, aber einige Songs schaffen es wirklich, das alte Pumpkins-Feeling aufkommen zu lassen. Dabei wirkt das Album irgendwie auch frischer. Mensch merkt förmlich, dass es Corgan und seiner Crew Spaß gemacht haben muss, das Album einzuspielen.

Dabei sind zum Teil wirklich fette, recht eingänge wie abwechslungsreiche Songs herausgekommen - teilweise mit einer merklichen, aber nicht unbedingt unangehmen Plasik-Brise Pop. "Quasar", "Panopticon" und "The Chimera" gehören sicher zu den härteren Stücken, von denen mir vor allem aber "The Chimera" durch seinen durchgängigen, Pumpkins-typischen Groove gefällt. "Glissandra" rollt irgendwie mit einer mordsmäßig coolen Bassline nach vorn, begleitet von einem schönen Gitarrengesäusel. "One Diamond, one Heart" liefert einen stumpf-monotenen Dance-Beat und -Sound, der vielleicht einzelnen zu experimentell wirken mag, in seiner Art tatsächlich aus den Songs hervorsticht, aber mir nicht wirklich negativ auffiel. Mit "The Celestials" liefern die Pumpkins meiner Meinung nach einen wirklichen Ohrwurm, dicht gefolgt von "My Love Is Winter".



Tja, "Oceania" ist für mich eine echte Überraschung: Es fühlt sich so an, als ob Corgan den ausgelatschten Pumpkins-Latschen eine neue Sohle spendiert hat und mehr noch, nach jahrelangem Umherirren scheinen die Smashing Pumpkins endlich wieder auf dem richtigen Weg zu sein. Bleibt zu hoffen, dass sie noch eine Weile auf diesem Weg bleiben und uns mit ähnlich tollen Alben beglücken!

Mittwoch, 20. März 2013

Hartz-Happening

Gestern war es wieder mal soweit: Maischbergers gemütliche Runde zum Thema Hartz IV im Ersten. Mit dem Titel und der Auswahl der Gäste wurde offenbar versucht, aus der bekannten Dramaturgie auszubrechen und die Frage "10 Jahre Hartz" verstärkt aus der Sicht der Betroffenen zu schildern. Allerdings mit mäßigem Erkenntnisgewinn.

Frank Lübberding hat dazu in der FAZ eine Frühkritik ("10 Jahre Hartz") verfasst, in der er u. a. auf die "Eingliederungsbilanzen" und "Aktivierungsquoten" der Mitarbeiter(innen) der Jobcenter einging - ganz im Gegensatz zur gestrigen Sendung.

Zu Lübberdings Kritik möchte ich noch ein paar Ergänzungen loswerden.

Erstens stimme ich Lübberding ausdrücklich zu, dass Alt wohl als der Stratege der Bundesagentur für Arbeit gelten kann. Schlimm ist nur, wie der selbst den härtesten Diamanten zu Pudding quatscht. Wer ihm so zuhört und keine Ahnung von Hartz IV hat, glaubt womöglich wirklich, dass alles nicht so schlimm sei. Gut, als Chef wäre es schon eigenartig, wenn er sich nicht vor seine Mitarbeiterinnen stellt. Aber irgendwie hörte ich bei ihm immer nur ein substanzloses "Hauptsache Arbeit" durch, das im behördlichen Kontext zu "dann habe ich sie aus der Statistik und aus den Kosten" zu ergänzen wäre. Darauf hat m. E. nur ein mal Frau Weigl hingewiesen. Dieser lichte Moment verirrte sich aber wieder ziemlich schnell ins Dunkle.

Zweitens war ich irritiert über die Attitüte des 19-jährigen Sohnes von Frau Weigl, der ebenfalls eingeladen wa und sich zu Wort meldete. Irgendwie kam dort ein "Sozialdarwinismus" zum Tragen, der sich gegen sein altes Umfeld und - jedenfalls meines Eindrucks nach - eigentlich sogar gegen seine Hartz beziehende Mutter richtete. Ein "schönes" Beispiel dafür, wie sich die Solidarität im unteren Milieu zerfleischt.

Drittens war es mal wieder bezeichnend, dass niemand auf die Frage der Regelsatzhöhe von Hartz auch nur eine vernünftige Antwort gab. Ein besonders blamables Zeugnis stellte sich Dietmar Bartsch von den Linken aus. Auf die Frage hätte ich zumindest erwartet, dass er auf die Menschenwürde hinweist, die per Sozialstaatsprinzip zu gewähren ist. Es handelt sich um ein Grundrecht, das jedem Menschen zusteht - auch denen, die wir nicht mögen und die Maischberger u. a. in einem Einspieler wieder einmal zeigte.

Stattdessen drang Bartsch nur etwas mit "Würde" und ein Schwall heißer Luft aus dem Mund. Hätte "Maischberger" doch lieber mal den Wolfgang Neskovic eingeladen - der wäre allemal kompetenter aufgetreten. Eine verpasse Chance!

Stattdessen führte Herr Alt - der Bundesagentur-Stratege - aus, dass die Anhebung der Regelsätze auf 500 Euro bedeuten würde, dass dann viel mehr Menschen in Hartz rutschen. Warum? Weil in dem Falle, in dem 500 Euro das soziokulturelle Existenzminimum abdecken sollen, Jobs, die mit ihrem niedrigen Lohn DAS nicht erwirtschaften, automatisch einen Anspruch auf Leistungen gemäß SGB II gewährleisten würden (also "ALG II" aka "Hartz IV"). Also heben wir den Regelsatz lieber nicht an, damit die Ansprüche auf ALG II und damit die Leistungsbezieher möglichst gering bleiben. Ob der Regelsatz dem soziokulturellen Existenzminimum und damit dem Grundgesetz gerecht wird, spielt dabei offenbar keine Rolle.

Ein Einwand, der in die gleiche Richtung lief, kam von unserem konservativen Konvertiten Herrn Metzger: Ob mensch sich vorstellen könne, wie teuer eine Erhöhung der Regelsätze wäre - das könne sich doch niemand leisten. Im Grunde heißt das aber, dass Leuten wie Metzger das Sozialstaatsgebot und die Gewährleistung des soziokulturellen Existenzminimums total am Hintern vorbei geht. Menschenwürde, das will mensch sich offenbar nicht leisten.

Für einen waschechten Verterter des Sozialstaates wäre das eine Steilvorlage dafür gewesen, um den Irrsinn zu den Regelsätzen als das zu enttarnen, was er ist. Doch stattdessen gab es nur den Bartsch von den Linken.

Und obwohl beide "Hartz-IV-Mütter" in der Sendung einstimmig meinten, die Regelsätze würden nicht reichen, wurde der Aspekt, dass die Regelsätze eigentlich das soziokulturelle Existenzminimum sowie Teilhabe ermöglichen sollten, nicht weiter verfolgt. Wieder einmal.

Das ist m. E. das Charakteristikum des öffentlichen - wie in Teilen auch: wissenschaftlichen - Diskurses. Diese Diskurskultur zeigt, wie antastbar Mensch und Menschenwürde mittlerweile tatsächlich geworden sind. Da helfen offenbar auch keine Gerichtsurteile mehr (wie z. B. im letzten Jahr zu den Regelsätzen für Asylbewerber). Traurig ist das.

Und wer noch eine Dosis benötigt, um die Faust in der Tasche zu ballen, darf sich "Immer reicher, immer ärmer? Wie geteilt ist Deutschland?" im ZDF anschauen. Allerdings sollte mensch die Äußerungen von Meinhard Miegel, die dort zu erleben sind, mit Vorsicht genießen (siehe hier, hier und hier).

Dienstag, 19. März 2013

Peter Ensikat († 18.3.2013)

Der Kabarettist und Satiriker Peter Ensikat ist am 18.3.2013 gestorben. Ich fand immer beeindruckend, wie scharfzüngig und bisweilen doppeldeutig er die Dinge auf den Punkt brachte. Mit ihm ist ein wahres Stück Kabarett-Geschichte gegangen.

Montag, 18. März 2013

Optimistische Historiker

In der FR ist heute in Interview mit Hans-Ulrich Wehler, einem Historiker, zu lesen: "Es herrscht die reine Gier". Das ist natürlich Werbrung, für sein neues Buch. Thematisch geht es um "die wachsende Kluft von Arm und Reich" (FR). Alles schön und gut. Was er da im Interview kritisiert (Managergehälter etc.), das ist schon richtig - aber auch nicht wirklich neu.

Warum ich das Interview verlinke, liegt darin begründet, dass Wehler dort eine Einstellung zur Schau trägt, die geradezu prototypisch für unsere Eliten zu sein scheint. Zunächst zählt der Herr Historiker eine Reihe von Punkten auf, die durchaus die Frage erlauben, ob er denn mit den Linken sympathisiere, z. B. dass ganze Finanzkrise und die Umverteilung auf den "Neoliberalismus" mit seiner DeRegulierung zurückgehe. Wehler verlangt sogar nach einer Erbschafts- und Vermögenssteuer.

Und was sagt Wehler dann über die Linken? "[D]ie sind die Erben Honeckers, die noch einige Zeit eine Regionalpartei in den neuen Bundesländern bleiben. Aber mit ihren Vorstellungen werden sie sich nicht durchsetzen" (FR; Hervorhebungen von mir).

OK, kann ich kann verstehen, wenn er die Linke nicht mag. Die Linke muss nicht unbedingt Sympathie-Träger sein. Ich meine, die Wagenknecht hat ja auch erst jetzt gelernt, die sprachliche Steifheit einer Gruppenratsvorsitzenden abzulegen und etwas freier zu sprechen. Frau Kipping tut sich da noch erheblich schwerer. Und ja, der Interviewer hätte vielleicht auch eine andere Partei ins Spiel bringen können (Grüne/ B90, Piraten).

Trotzdem ist es bemerkenswert, mit welcher traumwandlerischen Sicherheit Herr Wehler sich selbst ins Knie schießt: Erst "linke" Vorstellungen in den Raum werfen und dann von der Linken behaupten, diese Vorstellungen würden sich nicht durchsetzen.

Aber das ist ja nicht genug: Die Krone setzt Wehler dem Ganzen noch auf, in dem er tatsächlich behauptet, dass Peer Steinbrück ein guter Ökonom sei und "er das kann", die soziale Gerechtigkeit zurück bringen. Steinbrück müsse dazu nur "diese ganzen anderen Sachen mit den Nebenhonoraren und so weiter sofort aufgeben und sich ganz auf diese Probleme der sozialen Ungleichheit werfen" (FR).

Woher nimmt Herr Wehler nur seinen Optimismus? Und vor allem: Woher nimmt er die Kompetenz, einzuschätzen, ob Steinbrück ein guter Ökonom sei?

Ich will dazu einfach mal Albrecht Müller (Freitag) zitieren:
"Steinbrück ist ein miserabler Makroökonom. Noch im Jahr 2008, als die Signale schon erkennbar auf eine Konjunkturabschwächung hindeuteten, polemisierte er als Finanzminister gegen Konjunkturprogramme. Wenige Wochen später beschloss er sie dann im Kabinett Merkel mit. [...] Steinbrück hat als früherer Finanzminister auch die gravierenden Mängel auf den Finanzmärkten mit zu verantworten, für die er in seinem Papier nun wieder Korrekturen vorschlägt. In der Koalitionsvereinbarung 2005 wird der Deregulierung das Wort geredet". 

Bereits 2010 schrieb Müller auf seinen NachDenkSeiten:
"Peer Steinbrück hat als Finanzminister die Finanzmärkte in Fortsetzung von Eichels Arbeit dereguliert und die Spekulation mit Vermögenswerten erleichtert; er ist zusammen mit der Bundeskanzlerin verantwortlich für eine extrem teure Bankenrettung, speziell von IKB, HRE, Commerzbank und einigen Landesbanken; er hat in der Konjunkturpolitik versagt und war maßgeblich an der systematisch betriebenen Verarmung der öffentlichen Körperschaften beteiligt".

Das alles ist bekannt. Aber ein Autor, der ein Buch über die soziale Ungleichheit geschrieben hat und sich ob der Deregulierungen in "neoliberaler" Zeit wütend zeigt, der braucht sich offenbar nicht mit solchen Kleinigkeiten zu beschäftigen. Steinbrück ist der Mann der Stunde. Tja, den "Historiker" gab's dann wahrscheinlich als Trostpreis in der Tombola.

Sonntag, 17. März 2013

Lesenswertes (Februar/ März 2013)

Es ist mal wieder soweit: In den letzten Tagen/ Wochen durfte ich ein paar interessante Artikel lesen, auf die ich hier kurz in einer Presseschau hinweisen möchte.

1. Existenzminimum: Wolfgang Neskovic hat Anfang März einen äußerst lesenswerten Beitrag zum bundesdeutsch-politischen Umgang mit dem soziokulturellen Existenzminimum verfasst: "Minimiertes Menschenrecht" (Neues Deutschland, 9.3.2013). Zitat: "Sanktionen sind Verhaltensnoten, bloß dass statt der Versetzung die Existenz gefährdet ist". Treffender hätte es mensch nicht formulieren können!

2. Zehn Jahre "Hartz-Reformen": Wer KrAutism kennt, weiß, dass das zehnjährige Jubiläum der "Reformen" hier nicht wirklich zum Jubeln einlädt. Deshalb ein paar kritische Töne:

3. Rechtspopulismus: Thorsten Denkler von der Süddeutschen nimmt sich in "Henkel von Rechts" die marktradikalen Nationalchauvinisten vor. Und zum Echo-Aufreger um eine bestimmte Rockband gab es ein interessantes Interview mit dem Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs in der Zeit . Im Störungsmelder der Zeit war außerdem der Alltagsrassismus wieder Thema.

4. Wandern: "Camping mit Grizzly-Besuch" von Stefan Nink (Zeit) bringt in leichter Weise einige kritische Töne zum verwöhnten "Wir-brechen-jetzt-aus-Wir-wollen-Natur"-Tourismus zur Sprache.

5. Esoterik an Hochschulen: Darüber, welch esoterischer Blödsinn es bisweilen an unsere Universitäten geschafft hat, berichtete Bernd Kramer in "Die Zauberschule an der Oder" (taz). Im Grunde ist dieser Blödsinn (Homöopathie, Hellseherei usw.) nur möglich, weil die Unis chronisch unterfinanziert sind und deshalb Drittmittel einwerben müssen, die wiederum von Firmen - die u. a. mit Homöopathie ihr Geld verdienen - dann natürlich gerne verausgabt werden.

6. Vierter Armuts- und Reichtumsbericht: Mit "Eure Armut kotzt uns an!" brachte Marcel Malachowski den vierten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung treffend auf den Punkt. Ebenso treffend "Thesen zum 4. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung – Wer vom Reichtum nicht reden will, sollte auch von der Armut schweigen" von Christoph Butterwegge.

7. Elite-Journalismus: Ronnie Grob rezensiert mit "In und mit der Elite" (Carta) das Buch "Meinsungsmacht" von Uwe Krüger. Dort geht es um Elitejournalisten und ihre Netzwerke. Zum gleichen Thema "Journalismusforschung: 'Ganz auf Linie mit den Eliten'" von Marcus Klöckner (Telepolis).

Freitag, 15. März 2013

Marktradikaler Nationalchauvinismus

Jens Berger (Spiegelfechter, NachDenkSeiten), ist dafür zu danken, dass er sich kürzlich in einem - wie ich finde - faktenreichen Beitrag der "Alternative für Deutschland" (AfD) widmete (Können Marktradikale und Nationalchauvinisten eine „Alternative für Deutschland“ sein?).

Er führt dort die Hintermänner und Hintergründe auf und zeigt, welches marktradikales und national-chauvinistisches Gedankengut dort wirkt: Starbatty und Lucke sind nur einige der tragenden Personen - und sie sind schon länger dafür bekannt, ihre Ziele im Schein der Wissenschaft in die Öffentlichkeit zu tragen, sei es durch Verfassungsklagen gegen den Euro oder durch medienstarkes Auftreten wie im "Hamburger Appell" (übrigens im Dunstkreis der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft).

Berger sieht sehr starke Parallelen zur Tea-Party-Bewegung in den USA und meint folglich auch, dass die Tea-Party nun in Deutschland angekommen sei (wobei er natürlich auch auf die wesentlichen Unterschiede eingeht). Nach außen wird diese Partei aber vornehmlich als "Anti-Euro-Partei" verkauft. Berger enttarnt das völlig zu recht als "Eurokritik[, die] vielmehr eine Art Lockvogel ist, mit der Unzufriedene aus dem bürgerlichen Lager eingefangen werden sollen – ein trojanisches Pferd mit einem äußert radikalen Inhalt".

Im Wahlprogramm der AfD äußer sich diese Euro-Kritik in einem geradezu verächtlichen Tonfall gegenüber den EU-Gremien (Brüsseler Bürokratie, Abgeordnete des Europa-Parlaments usw.). Was die AfD gegen die zentralistischen und bürkratischen Tendenzen, die sie mit dem derzeitgen Europa verbindet, in Stellung bringen will, das ist eine schlanke EU-Organisation mit mehr (!) Wettbewerb und Eigenverantwortung. Wortwörtlich heißt es dort: "Wir unterstützen nachdrücklich die Positionen David Camerons, die EU durch mehr Wettbewerb und Eigenverantwortung zu verschlanken".

Mit Wettbewerb und Eigenverantwortung kann aber letztlich nur gemeint sein, dass die EU-Länder im Wettbewerb stehen und mit den Verlusten oder Gewinnen (Vorteilen oder Nachteilen) ihrer Politik (auch gegenüber den anderen EU-Staaten) in eigener Regie entscheiden sollen. Letzteres bedeutet, dass kein Nationalstaat für sein Tun Rechenschaft ablegen muss - er ist der Verantwortung gegenüber seinen EU-Nachbarn praktisch entbunden.

Was im ersten Moment noch nach Gauck'scher Freiheit klingt und vermeintlich Liberale vor Freude jauchzen lässt, konterkariert aber die Idee eines gemeinsamen Europas. Denn in einem gemeinsamen Europa muss es möglich sein, für die Harmonisierung der Steuern, für eine Angleichung der Lebensverhältnisse und Sozialstandards etc. zu sorgen.

Anders formuliert: Die Idee "Europa" soll gerade den Wettbewerb zwischen den Staaten verringern und statt schwache Staaten "eigenverantwortlich" ihrem Schicksal zu überlassen, geht es in einem gemeinsamen Europa auch um Solidarität. Deshalb ist das Wahlprogramm der AfD in dem Punkte sogar "europa-feindlich", weil es der Idee eines gemeinsamen Europas in letzter Konsequenz eine Absage erteilt.

Ein Land kann dann seine "Wettbewerbsfähigkeit" auf Kosten der Europäischen Nachbarn erhöhen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen werden zu können.

Dieser Vorwurf ist heute bereits gegenüber der deutschen Wirtschaftspolitik zu hören, z. B. von Heiner Flassbeck oder auch vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (PDF).

"Die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse sind nach wie vor so groß, dass sie unsere Handelspartner in der europäischen Währungsunion und auch außerhalb unter großen Druck setzen, und das macht es so schwer, die Krise im Euroraum zu bewältigen" (Gustav Horn vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (PDF))


Wie ein Europa "in Freundschaft und guter Nachbarschaft" (AfD) mit mehr Wettbewerb und Eigenverantwortung überhaupt funktionieren soll, das bleibt deshalb ein Geheimnis der AfD. Vermutlich (!) wird die AfD dann auf den Segen einer mysteriösen "unsichtbaren Hand" (des Marktes) verweisen.

Ein solcher marktradikale Kern offenbart sich den kritischen Beobachterinnen und Beobachtern aber auch beim Durchstöbern der zahlreichen Hintergrundinformationen, die Jens Berger am Ende seines Beitrages über einzelne Unterstützer der AfD zusammentrug.

Abschließend möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Kritik an dem Euro oder der Organisation der Europäischen Union natürlich kein Tabu darstellen sollte. Um es eindeutig klarzustellen: Wer sich kritisch zu Europa oder dem Euro äußert, ist nicht automatisch ein Europafeind, ein Rechtspopulist, Nationalchauvinist oder Neonazi.

Allerdings sollte es auch nicht zu schwer fallen, festzustellen, dass Kritik von z. B. Amnesty International, der Occupy-Bewegung, LobbyControl oder Attac einfach anders geartet ist, als die Europa- und/ oder Euro-Kritik der Rechtspopulisten. Letztere mögen Gift und Galle spucken, wenn dann darauf hingewiesen wird, welche Stilmittel sie mit dem rechten Rand teilen (Nationalchauvinismus, Etabliertenvorrechte, Elitismus usw.). Für gewöhnlich ist es aber genau das, was sie auch bereits bei der oberflächlichen Kenntnisnahme ihrer Inhalte und Forderungen von eher pluralistischen Euro- und Europakritiker(inne)n unterscheidet.

Mittwoch, 6. März 2013

Veränderung und Silver Tongue

Nachdem es mich bereits geraume Zeit beschäftigte und ich immer und immer wieder darüber nachdachte, habe ich mich am Freitag vor zwei Wochen endlich dazu durchgerungen und meine bisherige Band verlassen.

Von den äußerlichen Symptomen ließe sich sagen, dass ich den Eindruck hatte, das musikalische Pferd wäre bereits seit ca. einem Jahr totgeritten. Es wird sicher auch an mir und meiner eigenen Situation im letzten Jahr gelegen haben (Erwerbslosigkeit, längere Abwesenheiten usw.), dass mir das Proben oft keinen Spaß mehr bereitete. Doch der eigentliche Anlass meiner Entscheidung findet sich letztlich darin, dass ich irgendwie eine musikalische Veränderung brauche - mich dürstet es förmlich nach anderen musikalischen Gefilden.



Tja und weil ich gerade dabei bin, möchte ich auf "Silver Tongue" von Light Bearer hinweisen: Es ist wieder ein extrem feiner Zug von den Jungs, das komplette Album beim Bandcamp einzustellen; außerdem haben sie es auf einem sharehoster hinterlegt (siehe hier).

Eigentlich verbietet es sich bei solch einem Konzeptalbum einzelne Anspieltipps zu geben, denn es braucht Zeit zum Atmen. Für das schnelle Durchhören ist das nichts, zumal dann die Wechsel mit anderen Instrumenten (u. a. Streicher und Klavier), fetten Gitarren und schnelleren Teilen nicht genossen werden können. Wer aber unsicher ist, sollte "Aggressor & Usurper" oder "Silver Tongue" anspielen.

Die Parallelwelten des Wolfgang C.

Vor zehn Jahren – also 2003 – traten die ersten Hartz-Gesetze in Kraft (BPD). Grund genug für „Hart aber Fair“ (ARD) am Montag (04.03.2013) eine Sendung zu diesem Thema zu veranstalten. Geladen waren Wolfgang Clement, Christian Lindner (FDP), Ursula Engelen-Kefer, Ulrich Schneider (Hauptgeschäftsführer „Der Paritätische") und Christiane Weimar (gelernte Bibliotheksassistentin, ehemalige Arbeitslosengeld-II-Bezieherin).

Frank Lübberding hat in der FAZ vom 05.03.2013 dazu bereits eine „Frühkritik“ verfasst, die ich gerne um ein paar Dinge ergänzen möchte.

„Tatsächlich existieren schon längst jene sozio-ökonomischen Parallelwelten, wie in einem Einspieler mit Sichtweisen aus zwei Düsseldorfer Stadtteilen deutlich wurde. Wo in Düsseldorf-Garath, einem Ortsteil mit einem niedrigen Durchschnittseinkommen, Hartz IV als Demütigung beschrieben worden ist, ist es in besseren Wohnlagen wie Düsseldorf-Oberkassel ein Indiz für individuelles Versagen, sprich Faulheit“ (Lübberding 2013).

Diese rohe Bürgerlichkeit (Heitmeyer) war in der Tat der interessanteste Teil der Sendung, der leider auch viel zu kurz wegkam. Dies hätte vertieft werden müssen: Erst recht, wenn mensch sich die Studie der Bundesagentur für Arbeit in Erinnerung ruft, die sie letztes Jahr in Auftrag gab und aus der hervorging, dass ca. 35 Prozent der Deutschen der Meinung sind, dass die Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II "nicht arbeiten wollen" (SZ).

„Clement hat von den Folgen dieser Politik bis heute nichts begriffen. Für ihn reduziert sich der Arbeitsmarkt auf ein simples Modell von Anreizen, wo Demütigung, Einschüchterung und Repressalien als „Fördern und Fordern“ vorgestellt werden“ (Lübberding 2013).

Da möchte ich widersprechen und eine Passage zitieren aus einer Broschüre jenen Ministeriums, das Herr Clement damals führte:

„Biologen verwenden für 'Organismen, die zeitweise oder dauerhaft zur Befriedigung ihrer Nahrungsbedingungen auf Kosten anderer Lebewesen – ihren Wirten – leben', übereinstimmend die Bezeichnung 'Parasiten'. Natürlich ist es völlig unstatthaft, Begriffe aus dem Tierreich auf Menschen zu übertragen. Schließlich ist Sozialbetrug nicht durch die Natur bestimmt, sondern vom Willen des Einzelnen  gesteuert“.

(Quelle: Vorrang für die Anständigen - Gegen Missbrauch, „Abzocke“ und Selbstbedienung im Sozialstaat. Ein Report vom Arbeitsmarkt im Sommer 2005. Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit August 2005, S. 10.)

Das mag zwar oberflächlich auch einem „Anreizschema“ entsprechen, kaschiert aber im eigentlichen Kern nur das sozialverächtliche Bild gegenüber den Bedürftigen, das mit Herrn Clement offenbar auch in höchst ministerialen Kreisen kursiert. Im Grunde hat Clement mit seiner Broschüre die negativen Zuschreibungen (Abwertungen) kultiviert. Paradox ist, dass die Bedürftigen im von ihm zu verantwortendem Neusprech „Kunden“ genannt werden, diese aber nicht etwa „König“ sind, sondern dank solcher Broschüren, wie sie das Bundesministerium damals druckte, quasi als „Sozialparasiten“ erscheinen.

Wie bereits angedeutet wäre es tatsächlich an der Zeit gewesen, dieses vergiftete Gesellschaftsklima, das mit Hartz Einzug gehalten hat, zu thematisieren. Die Chance wurde leider vertan.

Übrigens: Wer einen Blick auf den Fakten-Check der obigen Sendung wirft, wird sich in der Vermutung bestätigt sehen, dass Clement in einer Parallel-Welt zu leben scheint. Der Fakten-Check zeigt auch deutlich, wo die Fachleute saßen – nämlich im Paritätischen (Ulrich Schneider) und in der Gewerkschaft (Frau Engelen-Kefer). Wer die nächste Sozial- und/ oder Arbeitsmarkt-„Reform“ in Angriff nehmen möchte, sollte auf diese Stimmen hören.