Dienstag, 28. Juni 2011

Presseschau: ARGE

Gestern bin ich über einen Artikel von Ingrid Müller-Münch aus der Frankfurter Rundschau gestolpert: "Der Beziehungskiller Hartz IV". Dort beschrieb die Autorin, wie der eigene Partner oder die eigene Partnerin trotz ausreichendem Einkommens ins Visir der Arbeitsagentur (ARGEn) geraten kann.

Zugegebenermaßen schwächelt dieser Beitrag in der Frage, inwiefern die dort erwähnte Partnerin des sozial Bedürftigen nicht auch hilfsbedürftig ist: Schließlich kann es sein, dass das Einkommen, das diese Frau verdiente, so gering ist, dass auch sie hilfsbedürftig im Sinne des Sozialgesetzbuches wäre. Obwohl es sich im Text angedeutet findet, ist meines Eindrucks leider nicht deutlich genug klargestellt worden, dass die Partner als Bedarfsgemeinschaft zählen und es nach dieser Logik (!) keine einzelnen Einkommen, sondern einen gemeinsamen Einkommenspool gibt.

Nichtsdestotrotz zeigt der Beitrag sehr eindrücklich, wie problematisch diese Sichtweise ist: Obwohl es auf der einen Seite verständlich ist, wenn die im Haushalt zusammen lebenden Personen auch finanziell füreinander einstehen und dies auch mit Blick auf die Sozialtransfers beachtet wird, ist es eine bodenlose Frechheit und eine Beschneidung von Freiheitsrechten, wenn die finanziell gesunde - die arbeitende - Partei durch die Hilfsbedürftigkeit des Partners/der Partnerin durch die ARGE gegängelt wird. Hier zeigen sich die Schwächen in dem Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft, die schleunigst gelöst gehören. Die Alternative dazu praktizieren offenbar eine Reihe von Partnerschaften bereits: Die leben nicht zusammen, zumindest nicht auf dem Papier.

Ein zweiter Artikel zu Hartz IV: "Schwarz arbeiten, Hartz IV kassieren" hieß es bei Thomas Öchsner in der Süddeutschen. Laut Angaben der Bundesagentur für Arbeit sei die Zahl derer, die neben Hartz IV noch einem Job nachgehen und das nicht angeben, gestiegen. Schon der Titel ist tendenziös. Und selbst der Hinweis auf die fehlerhaften Bescheide im Text korrigieren nicht den Eindruck, der mit dem Titel und praktisch OT-artig vermittelt wird.

Ich habe den Text trotzdem verlinkt, weil er sehr gut zeigt, welche Nebelkerzen geworfen werden und wie manipulativ solche Artikel zum Teil verfasst sind. Gleich am Anfang wird dort z.B. erwähnt, dass es sich um Verdachtsfälle handelt. Es ist also noch nicht einmal entschieden, ob überhaupt "Sozialbetrug" (wie es im Artikel heißt) vorliegt. Dann wurde eine Vertreterin der Bundesagentur zitiert: Die erhöhte Zahl ginge nicht zwangsläufig darauf zurück, dass die Bedürftigen mehr schwarz arbeiten als vorher, sondern heute wären die MitarbeiterInnen der ARGEn sensibler.

Im Klartext heißt das: Die haben schon vorher so viel schwarz gearbeitet, wir konnten das nur noch nicht "ahnden". Im Grunde verschärft das sogar den im Titel erwähnten Eindruck.

Jetzt ging es aber noch weiter: Klammheimlich wurde eingeschoben, dass die Ordnungswidrigkeiten insgesamt zunahmen. Auch hier wurde zwar wieder erwähnt, dass es sich um Verdachtsfälle handelte, aber erneut vermittelten die Formulierungen den Eindruck, dass es sicher nicht nur Verdachtsfälle waren.

Verschärft wird dies erneut mit einem recht hinterhältigen Argument: Eine Reihe solcher Fehler gingen ja auf "grob fahrlässige" und richtige wie unvollständige Angaben der AntragsstellerInnen zurück. Also wieder die Bedürftigen, die entweder zu doof zum Ausfüllen der Anträge wären oder aber im Ruch des "Sozialbetruges" stehen.

Tja und dann kam ein Zahlenspiel, dass die Problematik der Widersprüche wieder relativierte. Die ARGE arbeitet tadellos - so könnte das Fazit lauten. Aber komisch: Angeblich wurden 158.000 Widersprüche mit Klage angefochten und gleichzeitig hieß es, dass von den gesamten Widerspruchsverfahren 164.000 Fälle auf Fehler in der Grundsicherungsstelle zurückgingen. Wenn die Zahl der korrigierten Widersprüche sogar über jener Zahl liegt, die von den Sozialgerichten korrigiert werden, sieht mir das nicht sehr nach einer guten Arbeit aus.

Irgendwie passt das auch nicht in das Bild, das Fachleute angesichts mangelhafter Gesetze schon länger beklagten: Dank der schwammigen Gesetze hätten Widersprüche und Klagen gegen die Bescheide der ARGEn gute Aussichten auf Erfolg, was allerdings dazu führt, dass die Sozialgerichte heilos überfordert - d.h. überbeansprucht - werden. Zu den Bescheiden und den Klagen vor dem Sozialgericht meinten zwei Sozialrichter (Schnitzler und Schlüter), die in der taz interviewt wurden:

"Die Bundesagentur für Arbeit sagt, dass sich 2009 1,4 Prozent der Hartz-IV-Bescheide nach Widersprüchen oder Klagen als fehlerhaft erwiesen haben.

Schnitzler:
Die Zahl bezieht sich nur auf den Anteil der Bescheide, die korrigiert, weil angefochten wurden. Das sagt nichts darüber aus, wie viele Bescheide tatsächlich falsch waren.

Schlüter: Die Bescheide, die wir sehen, sind überwiegend nicht korrekt: Die Klagen haben in über der Hälfte der Fälle - zumindest in Teilen - Erfolg".

Ähnlich ließe sich auch ins Feld führen, dass mit Blick auf die verhängten Sanktionen der ARGEn fast 2/3 der Klagen gegen derartige Bescheide Erfolg haben (siehe eine kleine Anfrage im Bundestag von 2009, S. 4, PDF).

Im April 2011 gab Wolfgang Lieb von den NachDenkSeiten dazu den interessanten Hinweis, dass die ca. 800.000 Sanktionen (laut Bundesagentur für Arbeit) nicht frei von Mehrfachzählungen sind. Vor diesem Hintergrund scheint es berechtigt, zu fragen, wieviele Bescheide der ARGE auf solchen Überlagerungen basieren.

Davon abgesehen ist mein wesentlicher Kritikpunkt aber, dass sich Thomas Öchsner in seinem Text allein auf die Angaben der Bundesagentur für Arbeit stützte und es nicht für nötig hielt, dem eine entsprechende Kritik gegenüberzustellen. Mit qualitativem Journalismus hat das herzlich wenig zu tun. Im Grunde hätte er sich auch gleich als PR-Schreibfink der Bundesagentur ausgeben brauchen. Das wäre auf das Gleiche hinausgelaufen.

Abschließend möchte ich auf "Wut und Dauerdämpfung" von Rudolf Stumberger auf Telepolis verweisen. Er erinnerte dort an die traurigen Ereignisse vom 19. Mai 2011, als eine junge Frau in einem Frankfurter Jobcenter ein Messer zog, einen Polizisten verletzte und von dessen Kollegin erschossen wurde (siehe auch die Frankfurter Rundschau vom 19.05.2011). Stumbergers Artikel bietet dazu eine gute, rückblickende Einordnung des gesamten Problems.

3 Kommentare:

Hansi hat gesagt…

Was denkst Du, sind die Ursachen für diese Tendenz in der Berichterstattung? Unfähigkeit? Mangelnde Reflexionsbemühungen? Ministeriale Gefälligkeit?

Arbo Moosberg hat gesagt…

Schwer zu sagen. Soweit, wie ich es bisher erlebt habe, würde ich meinen, mangelnde Empathie und Reflektionsfähigkeit.

Vielleicht sollte mensch dabei auch die mangelnde soziale Mobilität im Hinterkopf behalten. Für gewöhnlich diskutieren ja Leute darüber, die kaum wirklich was mit der Lebenswirklichkeit der Betroffenen zu tun haben. Hinzu treten dann noch ein paar komplexe soziale, sich selbst verstärkende Prozesse, wenn z.B. Erwerbslose andere Erwerbslos, Studierende usw. denunzieren.

Wenn Du so willst, ein bunter Blumenstrauß an Gründen.

Hansi hat gesagt…

Also ist es ein zwischenmenschliches und nicht zuletzt auch ein kommunikatives Problem? Fragt sich dann natürlich: Wie dem begegnen als Stimmloser?