Donnerstag, 30. Juni 2011

Allgemeine Presseschau (Juni 2011)

Mein Job bringt mit sich, dass ich hin und wieder quer durch die Welt gurke. Letzter Montag war wieder solch ein Tag, der, angesichts der angekündigten Hitze, zu leicht in ein bahnzügliches Martyrium hätte münden können.

Tatsächlich fiel die Klimaanlage in einem Abteil meines Intercitys aus. Ich selbst fand das nun aber nicht wirklich zu warm dort. Eher bequem, wo da doch nicht so viele Leute saßen. Aber nichts da: Laut Verordnung XYZ dürfe ich mich da nicht breit machen. Also musste ich in ein anderes Abteil und mir dort den Zug mit Hechtsuppe gönnen. Toll!

Aber ein guter Anlass, hier einmal auf meine Lieblingskolumne hinzuweisen: Denn Mely Kiyak motzte am Samstag (25.06.2011) wieder in ihrer herrlich, rotzfrechen Art über eben diese Deutsche Bahn. Ich selbst mag, nein: liebe, ihre Texte. Vielleicht nicht alle. Aber ich würde meinen, fast alle.

Der häufig widerspenstige Humor ihrer Kolumne, die erfrischend jugendlich rüberkommt, gehört für mich einfach zu den Wonnemomenten der Woche. Davon abgesehen schrieb sie auch sehr ernste Beiträge, die ebenfalls einen eigenen Charme versprühen und gerade dadurch zum Nachdenken anregen. Auch, wenn ich sicher bin, dass sie's nie lesen wird: Danke dafür!

Damit zu einem ersteren Thema: Dem Steuerbauch. Jens Berger, der Spiegelfechter, hat auf den NachDenkSeiten einen interessanten Beitrag zu eben diesem Thema geschrieben, den ich jedem und jeder gerne ans Herz legen möchte. Vor allem auch deshalb, weil ein gewisser Professor aus Heidelberg derzeit wieder mit seinen Reformvorschlägen zur Besteuerung in den Zeitungen ist.

Heute ist der 30.06.2011 und damit leite ich über zu Tom Strohschneider im Freitag (26.06.2011), der die Verschleppung der Wahlrechtsreform kritisierte: Drei hingeworfene Jahre, so sein Fazit. Passend dazu der am 29.06.2011 getwitterte Hinweis von Bettina Hammer (Telepolis):

"Wie stark sich die nervenaufreibende Situation für die Abgeordneten bemerkbar macht, zeigt sich deutlich daran, dass neben der Verlängerung der "Antiterrorgesetze" nicht einmal Zeit, Nerven und Kraft vorhanden waren, um ein Wahlrecht zu formulieren, dass den Vorgaben von Karlsruhe Stand hält. Der jetzige Entwurf wird nach der Sommerpause bearbeitet werden - die Frist, die das BVerfG setzte, endet am 30. Juni diesen Jahres."

Ich hatte zwar schon vor ein paar Tagen darauf hingewiesen, aber ich denke, an diesem Tage sollte mensch nochmals auf dieses unrümliche Stück Politik aufmerksam machen. Sollte sich heute nichts ändern, können Sie, werte Leserschaft, den heutigen Tag als historisches Ereignis im geschichtsträchtigen Kalender notieren: Der 30.06.2011, der Tag, an dem sich die deutsche Politik von der Demokratie verabschiedete.

Passend dazu gleich nochmal die Erinnerung an die Dresdner Datensammlungssauerei. Wie die Frankfurter Rundschau (22.06.2011) berichtete, hatte die Dresdner Polizei nicht nur anlässlich einer Anti-Nazi-Demo im Februar 2011 eine Funkzellenauswertung vorgenommen, sondern bereits 2009. Die Daten wurden natürlich nicht gelöscht.

Wer sich dazu die Diskussion um die Aufbewahrung der Daten in Erinnerung ruft, wird hier all jene bestätigt finden, die damals schon vor Begehrlichkeiten warnten und kritisierten, dass weder die Datensicherheit noch die Löschung der Daten bei elektronischen Überwachungen gewährleistet sei.

Zum gleichen Sachverhalt berichtete die taz (29.06.2011), dass nicht nur Bewegungsdaten aufgezeichnet wurden, sondern auch ganze Gespräche. Der Innenminister Ulbig (CDU) bestritt das allerdings. Überhaupt warf die Sächsische "c"DU Nebelkerzen, indem sie zum "Gegenangriff" überging und behauptete, dass mit den Vorwürfen zur Handy-Überwachung von linken Gewaltorgien abgelenkt werden sollte. Dagegen kritisierte selbst der Koalitationspartner FDP - vereinzelt - diese Überwachungsmethoden.

Damit zu einem anderen Thema: Antiziganismus. Während mensch hierzulande für den Antisemitismus reichlich sensibel zu sein scheint, fristet der Antiziganismus - die "Zigeunerfeindlichkeit" - ein regelrecht stiefmütterliches Schattendasein. Dabei reicht ein Blick in die östlichen Gefilde Europas, um einfach nur empört zu sein. Aber auch in unserer unmittelbar westlichen Nachbarschaft spielt sich Fragwürdiges ab: Erst letztes Jahr, als Frankreichs Präsident Sarkozy mit den Räumungen sogenannter Roma-Lager den antiziganistischen Einstellungen der Französinnen und Franzosen Vorschub leistete.

Jedenfalls berichtete Jeroen Kuiper im Freitag (18.06.2011) über die aktuelle Lage der Roma und Sinti in Ungarn. Sicherlich keine einfache Situation. Aber ich denke, gerade wir als Europäer haben da eine gewisse historische Verantwortung gegenüber diesen Minderheiten, die im Grunde schon immer von der Mehrheitsgesellschaft diskriminiert wurden. Offen gestanden: Die - auch moderne - Fortsetzung dieses Zustands halte ich für unerträglich.

Nun will ich nicht zu einem Ungarn-Bashing anregen. Das wäre mir zu einfach, zumal die Ungarische Fidesz-Regierung "dank" ihres Mediengesetzes in letzter Zeit ohnehin in der (Europäischen) Kritik stand (Zeit, 08.03.2011). Auf der anderen Seite schießt die Ungarische Regierung einen Bock nach dem anderen: Jetzt wird gerade ein Gesetzesentwurf diskutiert, laut dem Erwerbslose schon mal zur Arbeit z.B. auf den Bau verpflichtet werden können. So berichtete Ralf Leonhard in der taz (30.06.2011):

"Ein bereits im Ministerrat präsentierter Plan sieht vor, die Arbeitslosenunterstützung von derzeit neun Monaten auf 180 Tage zu begrenzen. Ein erster Entwurf zog sogar drei Monate in Betracht. Wer dann keinen Job hat, soll im Rahmen eines 'Ungarischen Arbeitsplans' zwangsverpflichtet werden können - unabhängig von der Qualifikation.

Die Rede ist von großen Bauvorhaben, wie der Errichtung des neuen Stadions von Debrecen, der größten Stadt Ostungarns. Eine zweistündige Anreise zur Baustelle wird als zumutbar erachtet. Wer mehr als zwei Stunden entfernt wohnt, würde dann für die Dauer des Einsatzes in einer Containerstadt, also einem Lager, untergebracht werden."

Das dürfte Vertreter(inne)n der FDP und CDU/CSU regelrecht das Wasser in die Augen treiben. Vom hierzulande üblichen Ein-Euro-Job zu solchen Ideen ist es ja nur ein kleiner Schritt. Sollte sich Ungarn am Ende als Experimentierwiese einer westlich-"neoliberalen" Politik erweisen?

Zu einem anderen Thema: Florian Rötzler (Telepolis, 30.06.2011) berichtete über ein Papier zweier Wirtschaftswissenschaftler, die sich mit Kriegen, Globalisierung und Demokratie beschäftigten. Zugegebenermaßen könnte der Artikel etwas detaillierter sein. Dennoch gibt er ein paar interessante Ergebnisse dieser Stude preis:

"Die Globalisierung hat keineswegs das Interesse an kriegerischen Auseinandersetzungen schrumpfen lassen und auch die Hoffnung, dass Demokratien die Lust am Krieg schwinden lassen, scheint zu trügen. Zwar sind Handel und Demokratisierung angestiegen, gleichzeitig aber auch Kriege. Zwischen Demokratie und Kriegen haben die Wissenschaftler keine Beziehung feststellen können, während Handelsoffenheit ein klein wenig die Bereitschaft zum Krieg zu mindern scheint."

Insgesamt ein guter Anlass, sich etwas mehr mit dieser Studie und dem Thema zu befassen.

Nun noch etwas zum Thema Kultur. Als ich letzte Woche auf Zeit-Online rumstöberte, traute ich meinen Augen kaum: Atari-Teenage-Riot scheinen wieder ein Album produziert zu haben. Für alle, die nicht wissen, wer ATR ist: Eine linke Anarcho-Techno-Kapelle aus Berlin. Zugegebermaßen ist deren Musik gewöhnungsbedürftig. Nicht jedeR wird sie lieben. Aber mit ihrer "Hetzjagd auf Nazis" wurden ATR am Anfang der 1990er regelrecht Kult.

Um einen etwas anderen Medien-Kult ging es bei Toms Wochenschau. Passend zum Ende der Wetten-das-Gottschalk-Ära fragte er: Wann verschwinden Sie endlich von der Mattscheibe, Herr Gottschalk? Bei dem ganzen Hype, der in den Wochen davor um Gottschalk gemacht wurde, denke ich, dass Tom hier einen gut argumentierten Kontrastpunkt setzte. Das dort verlinkte Interview mit Kinsky zeigt, dass Gottschalk den Hype überhaupt nicht wert ist.

Tja und zum Schluss ein kleiner Nachruf: Peter Falk alias "Columbo" ist am 23.06.2011 gestorben. Zwar wirkte Falk auf mich nie wie ein großer Star, aber er hatte dieses unerklärliche Etwas, das ihm meine Sympathie einbrachte. Das gelang ihm vor allem mit seinem Columbo, der ständig etwas schnuddelig und verstreut wirkte, damit aber seinen Schwejkschen Scharfsinn zu seinen Gunsten zu verstecken verstand. Was da häufig aufeinander prallte, war der Habitus der der gut gebildeten "oberen Zehntausend" und das gutmütig, proletarisch angehauchte Staunen des Angestellten Columbo. Das machte Spaß. Regelrecht legendär sein "Just another thing" (Ich habe da noch eine Frage ...).


Nun verstarb Peter Falk am 23.06.2011. Mit ihm geht ein interessanter und engagierter Schauspieler. Lesenswerte Nachrufe auf Peter Falk gibt es von Daniel Kothenschulte (Frankfurter Rundschau) und auf dem Zeitgeistlos-Blog.




Nicht ohne Grund fiel diese Presseschau etwas umfangreicher aus. Es wird zwar ggf. noch einen kleinen Beitrag geben, aber da ich in den nächsten Tagen wieder außer Landes bin, wird es jetzt erstmal etwas ruhiger werden. Ich bin mir aber sicher, dass es nach dem 12. Juli wieder etwas zu berichten gibt. Smilie by GreenSmilies.com

Mittwoch, 29. Juni 2011

Syrien: Ein Zwischenruf

Ursprünglich wollte ich einen etwas längeren Beitrag zu Syrien schreiben, habe mich aber dazu entschlossen, das doch etwas kürzer zu halten.

Es war das Frühjahr 2009, als ich mich anschickte, dieses Land - Syrien - zu besuchen. Dort angekommen, erging es mir - vermutlich - wie vielen Westeuropäer(inne)n: Den Orient, den ich zu finden hoffte, fand ich nicht. Ich lernte einen anderen Orient kennen, einen nach vielen Grauschattierungen hin differenzierten und in seiner Widersprüchlichkeit faszinierenden Orient.

Typisch dafür war Tartus, wo ich unbedarft mit der örtlichen Queer-Community in Berührung kam und eine leise Ahnung davon erhielt, wie "reserviert" ihr die syrische Gesellschaft gegenübersteht: Das an einem Ort, der doch zunächst geradezu liberal wirkte, wenn auf der Strandpromenade schon mal Bier getrunken werden konnte und die Damenmode dort nicht gerade an "züchtige" Glaubenskleidung erinnerte.

Tartus
(c) 2011 KrAutism

Spätestens seit April diesen Jahres wird hierzulande gehäuft über Syrien berichtet. Ursache ist der arabische Frühling, der nach Syrien schwappte und seit April für Revolten sorgte (für eine Übersicht siehe Wikipedia 2011). Am 9. April war z.B. im Spiegel zu lesen, dass die syrische Armee in Latakia auf Demonstrant(innen) schießen ließ. Aber nicht nur dort: Auch in Homs kam es zu Auseinandersetzung mit, so wurde berichtet, Todesopfern. Über weitere Zusammenstöße berichtete u.a. die SZ vom 25.04.2011. Vor dem April war u.a. auf Telepolis von Zusammenstößen von Militär und Demonstrant(inn)en sowie Todesfällen zu lesen. Ebenfalls dort findet sich ein Artikel, in dem über die Hinrichtung von Soldaten berichtet wird, die sich weigerten, auf Demonstrant(inn)en zu schießen (Telepolis).

Anders als im Falle Ägyptens ist die Berichterstattung über Syrien meiner Beobachtung nach unaufgeregter. Möglicherweise liegt das an weniger spektakulären Bildern, was wiederum der politischen Situation Syriens geschuldet sein kann. Oder aber, "wir" sind durch Libyen, Tunesien und Ägypten medial einfach übersättigt.

Im Falle Syriens von Desinteresse zu sprechen, greift aber insofern zu kurz, als z.B. Barack Obama schon im April 2011 das gewaltsame Vorgehen der Armee kritisierte. Angesichts der drohenden Flüchtlingsströme fand ebenso der türkische Ministerpräsident Erdogan deutliche Worte: Das Vorgehen Syriens wäre "barbarisch" (Focus vom10.06.2011). Auch Außenminister Westerwelle sparte nicht mit Kritik (Welt).

Letztlich verhängte die EU Anfang Mai Sanktionen gegen Syrien (Faz), die gegen Ende Mai 2011 sogar ganz konkret auf den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad ausgeweitet wurden: Dieser erhielt ein Einreiseverbot und eine Vermögenssperre (SZ).


Davon unbeeindruckt setzte Bashar al-Assad das gewaltsame Vorgehen gegen die Demontrant(inn)en fort (SZ vom 11.06.2011, ASP, FR vom 10.06.2011, Zeit vom 18.06.2011, Focus vom 25.06.2011).

Obwohl das in Europa entschieden abgelehnt zu werden scheint, ergeben sich einerseits bestimmte Widersprüche: Während gegen Gadaffi ein Haftbefehl beantragt wurde, weil er gegen Demonstrant(inn)en vorging, steht ein solcher mit Blick auf Bashar al-Assad noch aus (Telepolis 28.06.2011). Auf der anderen Seite scheint mir die Europäische Verurteilung und Berichterstattung zu Syrien seltsam routiniert und abgeklärt. Mensch scheint sich an diese Dinge gewöhnt zu haben.

Angesichts solcher Zeiten sind Beiträge wie "Syrische Wahrheiten" von Damir Fras (FR, 25.06.2011) eine wirkliche Wohltat, denn sie bringen diesen für "uns" so abstrakten und entfernten Konflikt auf eine begreifbare Ebene, auf der wir - aus meiner Sicht - für das Thema sensibilisiert werden können. Zugegebenermaßen berührte mich Fras Artikel auch deshalb, weil dort von Latakia die Rede war, der letzten syrischen Küstenstadt, die ich auf meiner Reise durch Syrien besuchte und wo meiner Meinung nach die besten Plätzchen und Kekse im Nahen Osten gebacken werden.

Latakia
(c) 2011 KrAutism

Wie auch immer: Angesichts der Berichterstattung zu Syrien hatte ich das Gefühl, dass etwas fehlt. Mir schienen die Demonstrationen in Syrien einfach in den medialen Topf mit der Aufschrift "Arabischer Frühling" geworfen zu werden, um es dann dabei zu belassen. Wer das Thema etwas stärker vertiefen will, sei auf die folgenden Hintergrundberichte, Interviews und Einschätzungen verwiesen:
Obsthändler in Latakia
(c) 2011 KrAutism

Dienstag, 28. Juni 2011

Presseschau: ARGE

Gestern bin ich über einen Artikel von Ingrid Müller-Münch aus der Frankfurter Rundschau gestolpert: "Der Beziehungskiller Hartz IV". Dort beschrieb die Autorin, wie der eigene Partner oder die eigene Partnerin trotz ausreichendem Einkommens ins Visir der Arbeitsagentur (ARGEn) geraten kann.

Zugegebenermaßen schwächelt dieser Beitrag in der Frage, inwiefern die dort erwähnte Partnerin des sozial Bedürftigen nicht auch hilfsbedürftig ist: Schließlich kann es sein, dass das Einkommen, das diese Frau verdiente, so gering ist, dass auch sie hilfsbedürftig im Sinne des Sozialgesetzbuches wäre. Obwohl es sich im Text angedeutet findet, ist meines Eindrucks leider nicht deutlich genug klargestellt worden, dass die Partner als Bedarfsgemeinschaft zählen und es nach dieser Logik (!) keine einzelnen Einkommen, sondern einen gemeinsamen Einkommenspool gibt.

Nichtsdestotrotz zeigt der Beitrag sehr eindrücklich, wie problematisch diese Sichtweise ist: Obwohl es auf der einen Seite verständlich ist, wenn die im Haushalt zusammen lebenden Personen auch finanziell füreinander einstehen und dies auch mit Blick auf die Sozialtransfers beachtet wird, ist es eine bodenlose Frechheit und eine Beschneidung von Freiheitsrechten, wenn die finanziell gesunde - die arbeitende - Partei durch die Hilfsbedürftigkeit des Partners/der Partnerin durch die ARGE gegängelt wird. Hier zeigen sich die Schwächen in dem Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft, die schleunigst gelöst gehören. Die Alternative dazu praktizieren offenbar eine Reihe von Partnerschaften bereits: Die leben nicht zusammen, zumindest nicht auf dem Papier.

Ein zweiter Artikel zu Hartz IV: "Schwarz arbeiten, Hartz IV kassieren" hieß es bei Thomas Öchsner in der Süddeutschen. Laut Angaben der Bundesagentur für Arbeit sei die Zahl derer, die neben Hartz IV noch einem Job nachgehen und das nicht angeben, gestiegen. Schon der Titel ist tendenziös. Und selbst der Hinweis auf die fehlerhaften Bescheide im Text korrigieren nicht den Eindruck, der mit dem Titel und praktisch OT-artig vermittelt wird.

Ich habe den Text trotzdem verlinkt, weil er sehr gut zeigt, welche Nebelkerzen geworfen werden und wie manipulativ solche Artikel zum Teil verfasst sind. Gleich am Anfang wird dort z.B. erwähnt, dass es sich um Verdachtsfälle handelt. Es ist also noch nicht einmal entschieden, ob überhaupt "Sozialbetrug" (wie es im Artikel heißt) vorliegt. Dann wurde eine Vertreterin der Bundesagentur zitiert: Die erhöhte Zahl ginge nicht zwangsläufig darauf zurück, dass die Bedürftigen mehr schwarz arbeiten als vorher, sondern heute wären die MitarbeiterInnen der ARGEn sensibler.

Im Klartext heißt das: Die haben schon vorher so viel schwarz gearbeitet, wir konnten das nur noch nicht "ahnden". Im Grunde verschärft das sogar den im Titel erwähnten Eindruck.

Jetzt ging es aber noch weiter: Klammheimlich wurde eingeschoben, dass die Ordnungswidrigkeiten insgesamt zunahmen. Auch hier wurde zwar wieder erwähnt, dass es sich um Verdachtsfälle handelte, aber erneut vermittelten die Formulierungen den Eindruck, dass es sicher nicht nur Verdachtsfälle waren.

Verschärft wird dies erneut mit einem recht hinterhältigen Argument: Eine Reihe solcher Fehler gingen ja auf "grob fahrlässige" und richtige wie unvollständige Angaben der AntragsstellerInnen zurück. Also wieder die Bedürftigen, die entweder zu doof zum Ausfüllen der Anträge wären oder aber im Ruch des "Sozialbetruges" stehen.

Tja und dann kam ein Zahlenspiel, dass die Problematik der Widersprüche wieder relativierte. Die ARGE arbeitet tadellos - so könnte das Fazit lauten. Aber komisch: Angeblich wurden 158.000 Widersprüche mit Klage angefochten und gleichzeitig hieß es, dass von den gesamten Widerspruchsverfahren 164.000 Fälle auf Fehler in der Grundsicherungsstelle zurückgingen. Wenn die Zahl der korrigierten Widersprüche sogar über jener Zahl liegt, die von den Sozialgerichten korrigiert werden, sieht mir das nicht sehr nach einer guten Arbeit aus.

Irgendwie passt das auch nicht in das Bild, das Fachleute angesichts mangelhafter Gesetze schon länger beklagten: Dank der schwammigen Gesetze hätten Widersprüche und Klagen gegen die Bescheide der ARGEn gute Aussichten auf Erfolg, was allerdings dazu führt, dass die Sozialgerichte heilos überfordert - d.h. überbeansprucht - werden. Zu den Bescheiden und den Klagen vor dem Sozialgericht meinten zwei Sozialrichter (Schnitzler und Schlüter), die in der taz interviewt wurden:

"Die Bundesagentur für Arbeit sagt, dass sich 2009 1,4 Prozent der Hartz-IV-Bescheide nach Widersprüchen oder Klagen als fehlerhaft erwiesen haben.

Schnitzler:
Die Zahl bezieht sich nur auf den Anteil der Bescheide, die korrigiert, weil angefochten wurden. Das sagt nichts darüber aus, wie viele Bescheide tatsächlich falsch waren.

Schlüter: Die Bescheide, die wir sehen, sind überwiegend nicht korrekt: Die Klagen haben in über der Hälfte der Fälle - zumindest in Teilen - Erfolg".

Ähnlich ließe sich auch ins Feld führen, dass mit Blick auf die verhängten Sanktionen der ARGEn fast 2/3 der Klagen gegen derartige Bescheide Erfolg haben (siehe eine kleine Anfrage im Bundestag von 2009, S. 4, PDF).

Im April 2011 gab Wolfgang Lieb von den NachDenkSeiten dazu den interessanten Hinweis, dass die ca. 800.000 Sanktionen (laut Bundesagentur für Arbeit) nicht frei von Mehrfachzählungen sind. Vor diesem Hintergrund scheint es berechtigt, zu fragen, wieviele Bescheide der ARGE auf solchen Überlagerungen basieren.

Davon abgesehen ist mein wesentlicher Kritikpunkt aber, dass sich Thomas Öchsner in seinem Text allein auf die Angaben der Bundesagentur für Arbeit stützte und es nicht für nötig hielt, dem eine entsprechende Kritik gegenüberzustellen. Mit qualitativem Journalismus hat das herzlich wenig zu tun. Im Grunde hätte er sich auch gleich als PR-Schreibfink der Bundesagentur ausgeben brauchen. Das wäre auf das Gleiche hinausgelaufen.

Abschließend möchte ich auf "Wut und Dauerdämpfung" von Rudolf Stumberger auf Telepolis verweisen. Er erinnerte dort an die traurigen Ereignisse vom 19. Mai 2011, als eine junge Frau in einem Frankfurter Jobcenter ein Messer zog, einen Polizisten verletzte und von dessen Kollegin erschossen wurde (siehe auch die Frankfurter Rundschau vom 19.05.2011). Stumbergers Artikel bietet dazu eine gute, rückblickende Einordnung des gesamten Problems.

Sonntag, 19. Juni 2011

Kleine Presseschau

Mir sind in den letzten Tagen ein paar interessante Beiträge über den Weg gelaufen, die ich hier - so kurz vorm offiziellen Wochen-Ende - fix verlinken wollte.

(1) Sozusagen als Nachtrag zu meinem letzten Blogeintrag über die Griechenlandkrise: "Die Neue Deutsche Kapitulation" auf Weissgarnix.de. Die Griechenlandkrise als Aufhänger nehmend, wird dort generell das politische Hickhack der letzten Zeit unter die Lupe genommen.

Inhaltlich findet eine Menge dessen, was gemacht wird, meine Zustimmung. Aber dennoch kann ich es kaum fassen, wie sehr sich die Politik angesichts ihrer eigenen, ursprünglichen Absichten jetzt als Getriebene präsentiert; als Grashalm im Wind, der sich stets dahin neigt, wohin es ihn bläst. Unglaublich!



(2) "Messerstich: Mitten ins Herz" von Petra Speck-Fehling in der Berliner Zeitung. Es geht um eine Messerattacke, die schon ein paar Jahre zurück liegt. Die Autorin interviewte den Täter, was als Grundlage für den Artikel diente. Die Dramaturgie ist zwar leicht vorhersehbar, aber trotzdem nicht nervig. Es ist ein entlarvender Text. Und ich finde, angesichts der Länge, ist es durchaus mal zu würdigen, dass mensch solch einen Text lesen darf. Das Thema selbst ist natürlich ebenso empörend.

(3) "'Krieg' im Gefangenenlager Guantanamo" (Telepolis). Laut US-Administration sind Blut, Sperma und andere Körperflüssigkeiten (u.ä.) die Waffen der mutmaßglichen Terroristen in Guantanamo. Irgendwie absurd, zeigt aber, wie weit der Vorwurf des "Terrorismus" ausgedehnt werden kann.

(4) "Sächsischer Hochschulentwicklungsplan: Kein Ziel, keine Vision - Hauptsache sparen" von Ralf Julke in der liz. Ein längerer, vielleicht nicht ganz so gut lesbarer Artikel, aber dennoch mit vielen Informationen zum aktuellen Hochschulentwicklungsplan der Sächsischen Landesregierung. Wirklich Neues gibt's nicht. Im Grunde führt der Titel "Hochschulentwicklungsplan" auch völlig in die Irre.

(5) "Militanz muss vermittelbar sein" (taz). Anlässlich des "Kongress für Autonome Politik" in Köln ein Interview mit bekennenden Autonom(inn)en. Ich finde den Text vor allem deshalb interessant, weil er ein Thema aufgreift, das meiner Meinung nach derzeit ein Tabu darstellt: Es geht um die Frage der Gewalt im politischen Protest.

Damit ich nicht falsch verstanden werde, weise ich ausdrücklich darauf hin, dass ich keinen Terror meine. Doch wer sich in den Europäischen Ländern umschaut, wird häufig auf gewaltsame Formen des Protests bzw. des Widerstands treffen. Ich denke da vor allem an die gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen in Frankreich, wo mit der Sprengung von Fabrikanlagen gedroht wurde. Ich denke, an einer Auseinandersetzung mit diesen Fragen kommen wir über kurz oder lang nicht vorbei.

Soweit meine presselandwirtschaftlichen Eingebungen. Viel Spaß beim Lesen!

Spreng hat keine Meinung ...

Michael Spreng war u.a. Bildredakteuer und Politikberater von Jürgen Rüttgers. Jetzt mögen einzelne vielleicht schon die Nase rümpfen. Aber der Mann schreibt bisweilen doch mal ein paar ganz vernünftige Sätze. Insbesondere an den Politikern lässt er kaum ein gutes Haar. Tja und nun das: Spreng hat keine Meinung. Und Vertrauen hat er auch nicht. Jedenfalls bloggte er das auf Sprengsatz.de.

Und um was ging's dabei? Um Griechenland. Spreng findet, dass es zu viele Meinungen, zu viele Pros und Contras gäbe. Entsprechend bekannte er:

Ich habe keine Meinung, weil ich nicht weiß, auf welcher Grundlage ich sie mir bilden, wem und welchen Argumenten ich vertrauen kann. Und ich ärgere mich über mich selbst, weil ich so hilflos bin.



Protestierende Griechen
(Quelle: WDR)

Fast wäre ich geneigt gewesen, seinem Artikel zuzustimmen.

Doch wer ab und an mal außerhalb des Euro-Währungsraumes zu tun hat, wird recht schnell die Vorzüge des Euros zu schätzen wissen und allen Überlegungen an die  Abspaltung Griechenlands und die Wiedereinführung der Drachme eine Absage erteilen. Schließlich fallen außerhalb des EURO-Raumes exorbitant hohe Gebühren für Überweisungen, bürokratischer Extras (Formulare usw.), Zeit sowie Währungsrisiken an.

Ich bitte diesen Kritikpunkt auch nicht auf reine Bequemlichkeit zurückzuführen. Die gemeinsame Währung ist schließlich ein Teil der Freizügigkeit, die wir innerhalb der Europäischen Union genießen, d.h. die Freiheit, den Lebens- und Arbeitsbereich selbst wählen zu können.

Abgesehen davon befinden sich auch Vorschläge in der Diskussion, zu denen mensch durchaus eine Meinung haben kann. Beispiel: Der heutige Presseclub (19.06.2011).

Da saßen wieder mal Journalist(inn)en zusammen, debattierten über die Rettung Griechenlandes und schienen sich tatsächlich darüber einig zu sein, dass sich die Banken freiwillig an den Kosten der Krise beteiligen müssen.

Hallo? Die Banken? Freiwillig? Geht's noch?! Smilie by GreenSmilies.com

Angesichts dessen, dass die Damen und Herren der Banken heute recht unbeeindruckt der Banken- undm Finanzkrise weitermachen, hat es schon eine Schildbürgerqualität, die Banken zur Freiwilligkeit aufzufordern. Wie bescheuert müssen die sein, sowas fordern? Oder: Für wie bescheuert halten die einen?

Was mir ebenso bitter aufstößt, ist dieses Gequatsche von der "geordneten Insolvenz". Da haben ein paar Leute Angst, dass dort "Chaos" ausbricht. Ja bitte, was für ein Chaos denn? Wenn die Griechen selbst das Hefter in die Hand nehmen, klar, dann ist das vielleicht nicht ganz so "kontrollierbar" für die EU. Da wäre dann vor allem für die hier ansässige Wirtschaft blöd. Klar. Aber Chaos?

Und überhaupt: Dieses ganze abstrakte Niveau. Wenn es wirklich um die Griechen ginge, warum begleitet mensch die Griechische Entwicklung nicht einfach mit einer Art Hilfsfond, der Gelder an von Bürgern organisierte Projekte ausschüttet? Direkt an der Basis ansetzen. Bestimmte Dinge dezentralisieren und Nachhaltigkeit fördern, z.B. kommunale Agrarbetriebe.

Und in dem Sinne stimme ich Spreng ausdrücklich nicht zu. Es ist nicht nur der Planlosigkeit und Unsicherheit der politischen Klasse geschuldet, dass wir in der Frage so rumeiern. Das Problem liegt in der mangelnden Originalität und dem geistigen Inzest der politischen Klasse. Aber was ist schon anderes von einer politischen Klasse zu erwarten, die in letzter Zeit vermehrt durch Plagiatierungen von sich Reden machte?

Samstag, 18. Juni 2011

Linke Antisemiten

Ein heikles Thema geistert seit ein paar Wochen durch die Gazetten: Der Antisemitismus in der LINKEN.

Angestoßen wurde diese Debatte durch ein Papier (PDF) von Samuel Salzborn (Uni Giessen) und Sebastian Voigt (Uni Leipzig). (Siehe auch das Interview mit Sebastian Voigt vom 17.06.2011 in der LVZ). Die Frankfurter Rundschau vom 18.05.2011 berichtete, dass dort behauptet wird, in der LINKEN würden verstärkt antisemitische Haltungen toleriert. Zunehmend würden dort Antisemiten dominanter und diese würden, so behaupten die Autoren der "Studie", das Bild der LINKEN in der Öffentlichkeit prägen.

Der ganze Vorgang selbst wurde in zahlreichen Tageszeitungen thematisiert, z.B. im Spiegel , im Fokus und in der SZ. Sogar zu einer Anhörung im Bundestag kam es.

Die Reaktion der LINKEN folgte prompt: In einem geradezu kopflosen Anflug von Aktionismus wurde am 08.06.2011 schnell ein Beschluss durchgepeitscht, der den Antisemitismus mal wieder geißeln sollte, gleichzeitig aber wegen des Prozederes bereits innerparteilich auf Kritik stieß (siehe Spiegelfechter und taz).


Bittere Ironie: Das Prozedere um diesen Beschluss wurde z.B. in der SZ (13.06.2011) wiederum mit der Kritik als "undemokratisches Vorgehen" in die Schlagzeilen gebracht. Ähnlich auch die taz (18.06.2011), wo linke Parteigängerinnen mit den Worten "Gysi hat uns erpresst" zitiert wurden.

Anlässlich dieser Vorgänge gab es ebenfalls ein paar Interviews mit Peter Ullrich von der Universität Leipzig, der sich mit der Linken, Israel und Palästina beschäftigte und sogar in der "Studie" von Salzborn/Voigt zitiert wurde.

Der Transparenz halber und zur besseren Einordnung sei angemerkt, dass Peter Ullrich für die Rosa-Luxemburg-Stiftung forschte – also eine Stiftung, die der LINKEn nahe steht. Trotzdem fallen seine Äußerungen erstaunlich differenziert aus. Die durchweg interessanten Interviews von ihm sind auf Telepolis (11.06.2011) und im Freitag (17.06.2011) nachzulesen. Zudem gibt es einen Kommentar von ihm in der taz (18.06.2011).

Nun zu meinem Eindruck. Ich beschäftige mich zwar auch mit der Abwertung von Menschen, bin aber selbst kein Antisemitismusforscher. Trotzdem fielen mir in der sogenannte "Studie" von Salzborn/Voigt schon gleich zu Anfang ein paar ziemlich unangenehme Sachen auf.

Bereits im Titel wird gefragt "Antisemiten als Koalitionspartner?", was mich ehrlich gesagt auf eine – sagen wir mal vorsichtig – normative Vorprägung, eine politische Stoßrichtung, schließen ließ. Zwar wurde bekundet, dass es vornehmlich darum ginge, ein "junges Phänomen" zu untersuchen, dem bisher noch nicht so viel Aufmerksamkeit geschuldet wurde.

Aber was ist davon zu halten, wenn Voigt in einem Interview mit der LVZ meinte, dass die Beschlüsse der LINKEn zum Thema Antisemitismus "reine Rhetorik" sind? Unter dem Strich kann und konnte die LINKE machen, was sie wollte, ihr wird das offenbar nur als "reine Rhetorik" angerechnet. Statt die Strömungen und Probleme differenziert zu benennen, wie es u.a. Peter Ullrich tut (und tat), wird da einfach der ganzen Partei Antisemitismus unterstellt. Und zwar offensichtlich aus einer parteipolitischen Gesinnungsduselei heraus.

Diese politische Motivation drückt sich auch darin aus, dass die LINKE über die Haltung zum Antisemitismus ganz grob in Realos und Fundis sortiert wurde. Es wurde der Eindruck erweckt, dass die "reformerischen" Positionen in der LINKEn frei von Antisemitismus seien, während die "orthodox-kommunistischen" Positionen recht freimütig mit Antisemitismus vermengt wurden. Kann da vielleicht eine gewisse Prise Antikommunismus für verantwortlich sein?

Solch ein offensichtlich politisch motiviertes Vorgehen ist wenig wissenschaftlich und hilfreich ist es noch viel weniger. Viel mehr erinnert es mich an den Eifer fleißiger Wandzeitungsagitatoren, wie "wir" sie noch aus DDR-Zeiten her kennen.

Zudem weiß ich ehrlich gesagt nicht, was ich von dem Antisemitismusbegriff halten soll. In der "Studie" wird einerseits immer wieder von Israel gesprochen und kritisiert, dass antisemitische Haltungen "alle Juden kollektiv für Handlungen des Staates Israel verantwortlich" machen (EUMC 2004, zitiert nach Salborn/Voigt 2011, S. 3); in ihrem Resümee leisten die Autoren dem aber insoweit selbst Vorschub, als sie von der "Politik des jüdischen Staates" schrieben. Über soviel Widersprüchlichkeit lässt sich nur mit dem Kopf schütteln. Smilie by GreenSmilies.com

Zudem habe ich meine Zweifel, inwiefern es tatsächlich gerechtfertigt scheint, das Eintreten für eine Ein-Staaten-Lösung als antisemitisch zu bezeichnen. Das Argument von Voigt, damit würde indirekt das Existenzrecht Israels aberkannt, scheint mir recht spekulativ, konstruiert und wieder einer rhetorischen Immunisierungsstrategie zu folgen.

Ich will an dieser Stelle gerne einräumen, dass es womöglich Antisemiten geben mag, die mit dieser "moderne[n] Form, das Existenzrecht Israels unter emanzipatorischen Vorzeichen [..] verneinen" (LVZ).

Auf der anderen Seite kann ich mir auch gute Gründe für eine Ein-Staaten-Lösung vorstellen. Auch, wenn derzeit in Europa wieder verstärkt nationalistische Tendenzen zu beobachten sind, so sind vor allem wir in Europa vom alten Bild der Nationalstaaten ein Stück weit abgerückt. Zumindest scheint es heute doch etwas anachronistisch, in einer Zeit für Nationalstaaten zu werben, in der wir eigentlich näher zusammenrücken und nationalstaatliche Gewalt an übergeordnete Institutionen abzugeben versuchen.

Gut, ich weiß, dass dies ein sehr europäischer - vielleicht auch typisch deutscher - Blickwinkel ist und dieser angesichts der aktuellen Situation in Europa auf Einzelne utopisch wirken mag. Doch für mich bedeutet Europa ein Stück weit den Abschied von der Idee des alten Nationalstaates (die ohnehin eine nicht gerade unproblematische Geschichte besaß). Und deshalb tue ich mich schwer damit, eine auf nationalstaatliche Differenzierung hinauslaufende Lösung nach außen hin anzuempfehlen, wo es eigentlich gelten müsste, über Grenzen, Religion, Geschlecht, Kultur usw. hinweg zusammenzuleben.

Das ist ein Punkt, der gerade den kürzlich gefassten Beschluss der LINKEn so problematisch macht. Denn geradezu an der "Studie" klebend, wurde dort eine Ein-Staaten-Lösung förmlich in den Ruch des Antisemitismus gestellt. Wie halbseiden die Argumentation dabei ist, ließ sich in einem Interview mit Gysi in der taz nachlesen: Eine konsistene Aussage war das nicht; eine rhetorisch genügsame Leistung stellte seine Rumeierei auch nicht dar!

Abschließend lässt sich festhalten, dass diese ganze Debatte schwer politisch aufgeladen ist. Die unverkennbar politisch gefärbten Begrifflichkeiten der "Studie" lassen vermuten, dass dieses Papier mehr oder weniger die LINKE als politische Kraft diskreditieren und schwächen sollte. Dafür spricht einerseits der Arbeitstitel. Andererseits wird das durch das fast schon freche Eingeständnis der Autoren belegt, sie wollten keine empirische Studie vorlegen, um dann auch noch selbst einzuräumen: "Ohne umfangreiche empirische Untersuchung, ist es schwer, darüber eine Aussage zu treffen, was sich bei den einzelnen Parteimitgliedern oder auf den unteren Ebenen vollzieht" (LVZ). Was sollte die Studie denn dann sein? Smilie by GreenSmilies.com

Selten dämlich fiel dazu natürlich die Reaktion der LINKEn aus. Viel besser als mit ihrem Beschluss hätte die sich nicht ins Knie schießen können.

Alles in allem bleibt ärgerlich, dass mit halbseidene Studien unter dem Label "Wissenschaft" ganz ungeniert (Partei-) Politik betrieben wird. Ernst nehmen kann das niemand. Leider zu Lasten von Leuten, die wissenschaftlich wirklich was zu sagen haben. Aber das würde dann wohl differenzierter ausfallen und für die Medien weit weniger interessant sein. Leider!

Donnerstag, 16. Juni 2011

Tiere streicheln Menschen (Horns Erben)

Was ist unter einer "Actionlesung" zu verstehen? Diese Frage sollte sich für mich am Samstag, den 11.06.2011, im Leipziger Horns Erben endgültig klären.

"Tiere streicheln Menschen" hieß das Programm von Martin "Gotti" Gottschild und Sven van Thom. Immer im Wechsel mit Svens musikalischen Einlagen las "Gotti" jeweils eine seiner Kurzgeschichten vor. Klingt langweilig? Verkopft sogar?


Nun, im Gegenteil. Es war ein echter Spaß. Dank Gotti muss ich jetzt bei Personen, die chic und fein Kleidungsstücke von "Northface" tragen, ständig an einen gewissen amerikanischen "Schauspieler" denken. Smilie by GreenSmilies.com Die weitern Stories aus seinem neuen Werk "Die Schwarte Mamba" waren ebenfalls super!

Tja und dank Sven van Thom weiß ich nun mehr über den Spreewald.



Kurz: Die beiden "on stage" zu sehen, war herrlich. Da blieb kein Auge trocken. Herrlich schwarzer Humor made in Börlin. Wer die Möglichkeit hat, den Spaß zu erleben, sollte das unbedingt tun! Smilie by GreenSmilies.com


Link: www.tierestreichelnmenschen.de

Wahlrechtsversagen

Einzelne Postillen berichteten ja bereits darüber. Aber weil mir das Thema wichtig ist, will ich nochmal gesondert drauf aufmerksam machen: Die bisher vernachlässigte Reform des Wahlrechts. Christian Bommarius von Berliner Zeitung schrieb dazu am 16.06.2011:

Wahlen sind [...] die Bedingung, ohne die Demokratie nicht gedacht werden kann. Entsprechend ist das Gesetz, nach dem sich die Wahl vollzieht, das Fundament des demokratischen Systems. Fehlt das Fundament, bricht das System zusammen. In wenigen Tagen, am 30 . Juni, droht der deutschen Demokratie der Zusammenbruch.

Denn ab diesem Tag hat Deutschland kein verfassungsgemäßes Bundeswahlgesetz mehr. Das Bundesverfassungsgericht hat vor drei Jahren wesentliche Teile des Gesetzes für verfassungswidrig erklärt und den Bundestag bis spätestens 30. Juni 2011 zur Neuregelung verpflichtet. Aber was kümmert es die Politik, wenn das höchste deutsche Gericht ihr befiehlt, das Fundament des Systems zu sanieren?

(Quelle: BZ)
Nachdem die Bundesregierung samt Bundesrat bereits die Neuregelung der Hartz-Gesetze ins neue Jahr verschleppten, wundert mich diese Missachtung des Bundesverfassungsgerichtes nicht wirklich.


Im Gegensatz zu den verschleppten Hartz-Gesetzen finden einzelne prominente Politiker diese drohende Missachtung des Bundesverfassungsgerichtes ziemlich kritikwürdig. So z.B. Norbert Lammert (CDU), der Bundestagspräsident, der diesen Vorgang "ärgerlich" und "peinlich" nannte, aber gleichzeitig die Angst vor einer "Staatskrise" entschieden zurückwies (siehe SZ und Handelsblatt). Auch im Spiegel wird diese Chose als "Blamage" der Parteien bezeichnet.

Wesentlich harscher ging dagegen Christian Bommarius von Berliner Zeitung mit der Regierung ins Gericht:
Die Weigerung vor allem der Fraktionen von Union und FDP, das Wahlrecht in der vorgegebenen Zeit zu reformieren, ist ein gezielter Anschlag auf die Verfassung dieses Landes, eine bewusste Missachtung des Bundesverfassungsgerichts und - nicht zuletzt - eine Verhöhnung der Wähler.

(Quelle: BZ)
Mal abgesehen von der Missachtung des Bundesverfassungsgerichtes. Was ist das Problem?

Nun, ein wesentliche Problem ergibt sich vor allem dann, wenn es zu einer Wahl kommt, aber noch kein neues Wahlrecht existiert. In den Medien wird dazu an die Situation von Gerhard Schröder erinnert und darauf hingewiesen, dass Frau Merkel mit ihrer derzeitigen Situation an einer Vertrauensfrage scheitern kann, die wiederum zu einer Neuwahl führt.

Würde dann eine Wahl nach dem alten Wahlrecht abgehalten, könnte es sehr leicht angefechtet werden. Was dann? Dann muss das Bundesverfassungsgericht das Ganze regeln.

Jetzt rekapitulieren wir mal: Die letzten Bundesregierungen haben häufig genug Gesetze ersonnen, die vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft wurden. Vielleicht wäre das mal eine gute Möglichkeit, endlich mal ein sauberes Gesetz zu bekommen. Erst recht, in einer solch wichtigen Frage, wie sie mit dem Wahlrecht verbunden ist. Smilie by GreenSmilies.com

Donnerstag, 9. Juni 2011

Black No. 1

Aus gegebenem Anlass ...



... es ist ja wieder Pfingsten und da sind schließlich wieder "dunkle Tage" in Leipzig. Smilie by GreenSmilies.com

Wenn der Milchmann ...

Mir ist Marc Beise von der SZ schon häufiger durch seine "liberalen" und "wirtschaftsfreundlichen" Behauptungen aufgefallen. Für gewöhnlich ignoriere ich solch paläoliberales Gewäsch. Allerdings hat die SZ jetzt so eine Art "Mediathek", in der sich Herr Beise offenbar schon länger die Ehre gibt und dessen neuster Erguss mich von der "Frontseite" der SZ förmlich ansprang.

Für sein neustes Agitationsstück (Summa Summarum 55) hatte er sich an einer Privatuni (Fresenius Hochschule, München), in eine Vorlesung über Wirtschaftspolitik gesetzt, "um sich mal auf den neusten Stand zu bringen".

Den Studierenden wurde dort etwas über die "Marktwirtschaft" und die "Zentralverwaltungswirtschaft" (ZVW) beigebracht.

Nun gebe ich zu, dass mensch aus dem Video vielleicht nicht die besten Schlüsse aus der entsprechenden Vorlesung ziehen kann. Aber einem ausgebildeten Ökonomen dürfte es Bauchschmerzen bereiten, wenn der Eindruck entsteht, das die Marktwirtschaft und die ZVW tatsächlich für bare Münze genommen werden; wenn dort der Hinweis auf Idealtypen und Realtypen fehlt.

Im Video meldete sich sogleich Herr Beise zu Wort und meinte, dass sich inhaltlich nicht sonderlich im Vergleich zu seiner Studienzeit geändert hätte. Die Grundprinzipien der Marktwirtshaft in Abgrenzung zur ZVW wären gleich geblieben.

Das darf auch nicht verwundern, denn das, was der Dozent dort vortrug, waren die Merkmale der Idealtypen. Und die werden sich nicht ändern, denn sie stellen eben ein Ideal dar.

Entweder hatte Herr Beise noch nie etwas von dieser Unterscheidung gehört, was nicht sehr für seine wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung spräche. Oder aber er hatte es einfach vergessen. Egal, ärgerlicher ist, dass er mit seinem Halbwissen nun ganz munter eine Diskussion über Idealtypen anstieß.

Und wie sollte es anders sein: Er übertrug diese Idealtypen einfach so auf die reale Wirtschaftswelt. Sein Beispiel: Die Energiewende, die von der Politik beschlossen wurde, wobei er natürlich die ganzen "massiven" und unabsehbaren Auswirkungen dieser Entscheidung ganz, ganz besonders betonen musste. Sei solch ein Beschluss nicht zentralverwaltungswirtschaftlich?

Es ist natürlich klar, dass dies ein zentralverwaltungswirtschaftliches Element ist. Aber real erlebbare Wirtschaftsordnungen, die Realtypen, können sowohl Elemente der ZVW besitzen, als auch der Marktwirtschaft. Mit dem Unterton, den Beise hier anschlug, musste fast schon gefürchtet werden, dass jeder noch so kleine Hauch staatlicher Eingriffe eine ZVW unvermeidbar herbeiführt.

Das ist aber absoluter Humbug!

Davon abgesehen befürworteten Liberale wie Adam Smith immer schon staatliche Eingriffe, ohne dass dabei bereits das Gespenst der real existierenden ZVW existierte. Ebenso waren Personen wie Friedrich List und Bruno Hildebrand durchaus Liberale, die klar auch für staatliche Interventionen eintraten, ohne eine sozialistische ZVW einläuten zu wollen.


Selbst die Soziale Marktwirtschaft, basierend auf den Ideen von Alfred Müller-Armack, beinhaltete zentralverwaltungswirtschaftliche Elemente, ohne eine ZVW zu sein.

Gerade mit Blick auf die Soziale Marktwirtschaft ist es auch unangemessen, Freiheit und soziale Gerechtigkeit - die beiden obersten Ziele der Sozialen Marktwirtschaft - gegeneinander auszuspielen. Doch genau das tat Beise, als er am Ende des Videos resümierte, es wäre immer einfach staatliche Interventionen zu fordern, aber besser, sich im Zweifel für die Freiheit zu entscheiden.

Beise outete sich damit klar als Fürsprecher der Marktwirtschaft, nicht als Advokat der Sozialen Marktwirtschaft. Gut, mensch muss die Soziale Marktwirtschaft nicht mögen. Aber ein richtiges Argument hätte ich von ihm schon gerne mal gehört.

Dessen ungeachtet waren die Ausführungen und Statements im Video derartig verkürzt, dass der Eindruck entstand, Wirtschaftspolitik könne auch bei "Britt – Der Talk um eins" gelehrt werden. Dazu passt auch der anbiedernde Hinweis des Dozenten, ganz am Anfang des Videos, dass Beises "Summa Summarum"-Reihe häufig Bestandteil der Vorlesung wäre.

Wer sich aber Beises pseudowirtschaftlichen Schund (z.B. hinsichtlich der Studiengebühren) ansieht, erlebt ein Bildniveau, das einfach nur Bauchschmerzen bereitet. Aber das reicht ja nicht: Der ökonomische Milchmann Beise muss auch noch in Lehrveranstaltungen hofiert werden. Als ob das tatsächlich ein Experte wäre.

Was der aber bietet, sind nur runtergespulte Dogmen: Lehrsätze, die er wohl noch von damals im Hinterstübchen behalten konnte, weil sie nicht zu differenziert und kompliziert waren. Vielleicht sollte er sein "Summa Summarum" demnächst verstärkt vom Katheder zedern. Das Zeug zum Kathederkapitalisten hätte er.




P.S.: Eine immernoch lesenswerte Kritik an Beises ideologischen Blödsinn findet sich in einem Beitrag von Christian Sickendieck (2008) auf Fixmbr: "Marc Beise — der Untergang des kritischen Journalismus am Beispiel eines SZ-Redakteurs".

Mittwoch, 1. Juni 2011

Nebensächliche Erwähnung, schlechtes Wetter, Mugge und Asche

Kürzlich durfte ich feststellen, dass KrAutism in der Leipziger Studierendenzeitung "student!" erwähnt wurde. Unter dem Titel "Bloggen und Bloggen lassen: Ein kurzer Spaziergang durch Leipzigs studentische Online-Tagebücher"* schrieb Martin Peters:

Weiter geht es zu krautism.blogsport.com, ebenfalls ein interessanter Blog eines angehenden Diplom-Volkswirts, der sich mit Politik, Rollenspiel, Leipzig, Musik und anderen Dingen beschäftigt.


Natürlich bin ich für jede Publicity dankbar und möchte dies hiermit auch zum Ausdruck bringen. Mir ist selbstverständlich auch klar, dass der besagte Artikel - zumal in der Dezemberausgabe - womöglich eh ein "Lückenfüller" war. Allerdings hätte ich es prima gefunden, wenn mensch mich dazu mal kontaktiert hätte. Dann hätte ich z.B. ergänzen können, dass ich längst kein "angehender" Volkswirt mehr bin. Smilie by GreenSmilies.com

Aber nun zu einem ganz anderen Thema. Ist eigentlich jemandem aufgefallen, dass das Wetter am heutigen Kindertag reichlich feucht war, obwohl der Kachelmann gestern freigesprochen wurde? Smilie by GreenSmilies.com

O.K., das ist jetzt eine wahnsinnig schlechte Überleitung. Aber zu diesem eher düsteren Regenwetter passt ganz gut schwermütige Musik. Und was könnte da besser sein als eine gute Dosis Crowbar.

Wie dem auch sei, offenbar gaben sich die Herren Windstein & Co. Ende März in Denver / Colorado die Ehre, was auf einem großen Videoportal begutachtet werden kann. Wer genau hinhört wird sich ein Schmunzeln nicht verkneifen können, da Mr. Windstein "Planets Collide" recht zackig einzählte. Smilie by GreenSmilies.com



Und wo ich gerae bei musikalischer Schwermut bin: Asche auf mein Haupt! Am 14. April des letzten Jahres ging ein im sprichwörtlichen Sinne ganz Großer von uns und eigentlich hätte ich genau das angemessen würdigen sollen. Grund genug das nachzuholen und an Pete sowie Type O Negative zu erinnern.



Danke Pete! Smilie by GreenSmilies.com

* Die gesamte Dezember-Ausgabe vom "student!" lässt sich auch als PDF herunterladen. Dort befindet sich der besagte Artikel auf Seite 10.

Die männerfreundliche Frau Ebeling

Vor ein paar Wochen war vom Fall der ehemaligen Gleichstellungsbeauftragen von Goslar, Frau Ebeling, zu lesen. Zunächst eine kurze Auswahl an Beiträgen, deren Titel schon erahnen lassen, um was es konkret ging.

  1. "Frauenbeauftragte angeblich zu männerfreundlich" (Welt)
  2. "Männer werden benachteiligt" ein Interview mit Frau Ebeling (SZ)
  3. "Zuviel Herz für Männer" (Junge Welt)
  4. "Falsche Frau, falscher Platz" (Focus)

Als ein Grund für die Abwahl von Frau Ebeling führten viele Berichte an, dass Frau Ebeling eine Veranstaltung zur "Gewalt gegen Frauen" nicht unterstützen wollte, weil es ja schließlich auch Gewalt gegen Männer gebe.

Das Problem ist nur, dass die Medien - allen voran die großen Tageszeitungen - kaum bis gar nicht näher auf die besagte Verstanstaltung eingingen. Wer etwas zeitlichen Aufwand in Kauf nahm, konnte recherchieren, dass mit der Veranstaltung wohl die Ausstellung "Gegen Gewalt in Paarbeziehungen" des LKA Niedersachsens gemeint war. Auf der entsprechenden Seite ist auch eine Broschüre bzw. ein Begleitheft herunterzuladen (oben rechts).

Schon angesichts des Titels müsste sich die kritische Leser(innen)schaft die Augen reiben, denn aus dem Titel "Gegen Gewalt in Paarbeziehungen" ist noch gar nicht ersichtlich, dass dort allein Gewalt gegen Frauen thematisiert werden sollte.

Beim Sichten der oben erwähnten Lektüre stellt sich natürlich heraus, dass der Fokus der Ausstellung auf der männlichen Gewalt liegt. Wer aber mal etwas genauer hineinschaut, kommt an der Vermutung nicht vorbei, dass diese vermeintliche Einseitigkeit der Statistik geschuldet ist. Frauen sind laut Statistik nun einmal die größte Opfergruppe.

Dessen ungeachtet steht der vermeintlichen Einseitigkeit entgegen, dass im erwähnten Begleitheft auch Gewalt gegen Männer angespochen wird, sogar mit ausdrücklichen Verweis auf eine Studie aus dem Bundesfamilienministerium! Zudem gibt es noch einen Abschnitt über Gewalt gegen andere Opfergruppen.

Frau Ebeling mag an dieser Broschüre eine nicht ge-genderte Sprache monieren, aber Aussagen wie diese hier ...

Das ist ein wichtiges Thema, aber das Handbuch zur Ausstellung fand ich den Grundsätzen der Gleichberechtigung nicht entsprechend. [...] Der Täter ist immer der Mann, das Opfer immer die Frau. Das fand ich nicht zeitgemäß. Es gibt auch männliche Opfer häuslicher Gewalt.

(Quelle: SZ)


sind angesichts der Broschüre des LKA schlicht überzogen.

Gut, im Begleitheft mag mensch vielleicht etwas zu zögerlich mit dem Thema "Gewalt gegen Männer" umgegangen sein. Aber aus meiner Sicht lag trotzdem der spürbare Versuch vor, das Thema Gewalt gegen Männer nicht auszuklammern. Mehr noch: Im Gegensatz zu Frau Ebeling, die bei häuslicher Gewalt offenbar nur an Gewalt gegen Männer/Frauen denkt, finden sich dort Hinweise auf andere Opfergruppen häuslicher Gewalt.

Freilich, wie die Veranstaltung dann tatsächlich ausgesehen hätte, lässt sich aus den oben verlinkten Angaben des LKA Niedersachsen nicht ersehen. Aber ich denke, selbst wenn mensch es etwas einseitig empfunden hätte, wären immer noch genügend Anknüpfungspunkte gegeben gewesen, um in der konkreten Ausstellung in Goslar bestimmte Inhalte zu akzentuieren. Das Infomaterial, das das LKA bereitstellte, bietet ausreichend Möglichkeiten.

Insofern scheinen mir die Argumente von Frau Ebeling auf der Unkenntnis der tatsächlichen Infomaterialien und/oder auf Basis eigener ideologischer Verbortheit zu basieren und deshalb nur vorgeschoben zu sein.

Für die Presse ist es übrigens ein Armutszeugnis, was über den Fall für spekulativer Müll geschrieben wurde. Die Info zum LKA als Veranstalter habe ich neben dem Hinweis aus einem Forum nur einem FAZ-Artikel entnehmen können, der bei der FAZ aber nicht mehr gelistet war (aber auf anderen Seiten, die ich nicht verlinken möchte, zitiert wurde). Auch der genaue Titel der Veranstaltung war aus den Medien nicht herauszubekommen.

Ein wenig mehr Recherche hätte dem Ganzen daher gut getan. Das gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass die konkreten Infos zum Inhalt beim LKA Niedersachsen ohne große Probleme zu beziehen waren. Das Interview in der SZ hätte dann sicher auch kritischer verlaufen können: Zum Beispiel hätte mensch fragen dürfen, wie diese Diskrepanzen in der Sichtweise von Ebeling und den Infos des LKA zu Stande kamen.

Nun ist mir heute der Artikel "Entlassene Gleichstellungsbeauftragte " (SZ) in die Hände gefallen, wo noch einmal nachgelegt wurde.

Dabei will ich zunächst gerne eingestehen, mir sehr gut vorstellen zu können, dass bestimmte "Kreise" womöglich gereizt reagieren, wenn jemand auf die Gewalt gegen Jungen/Männer aufmerksam macht. Machen wir uns nichts vor: Das Thema ist in ein politisches Umfeld eingebettet, in dem ideologische Bornhiertheiten zu erwarten sind.

Aber das Bild, das die Süddeutsche im eben erwähnten Artikel von jenen zeichnete, die mutmaßlich für die Abwahl von und das negative Klima gegen Frau Ebeling verantwortlich sind, ist schlicht und ergreifend tendenziös! Das betrifft die Bürgermeisterin Luksch, von der es heißt, sie wäre nur per SPD-Ticket ins Amt gekommen; natürlich durfte nicht unerwähnt bleiben, was sie für ein Auto fährt; auch die Grüne Ratsfrau Juranek kommt nicht sonderlich gut weg; ebenfalls die Vorsitzende des Frauenhaus-Vereins Goslar.

Während sich der Knatsch um Frau Ebeling einst u.a. um die oben erwähnte Veranstaltung rankte, wird er in dem aktuellen Artikel auf einen Dissens bezüglich einer Brötchentüte mit der Aufschrift "Gewalt gegen Kinder und Frauen kommt nicht in die Tüte" reduziert. Ebeling wäre dagegen gewesen, weil es ja auch Gewalt gegen Männer gebe. Im zweiten Teil des Artikel wird Frau Ebeling deshalb zur Kritikerin eines ideologischen Feminismus gekürt. Damit ist die Katze aus dem Sack: Gegen einen vermeintlich ideologischen Feminismus - vertreten durch die oben erwähnten Gegnerinnen - sollte es gehen. Frau Ebeling quasi als Opfer einer ideologischen Feminismusverschwörung?

Der rhetorische Kniff ist, dass diese Verschwörungstheorie in den Artikeln selten direkt angesprochen wurde. Wer zwischen den Zeilen las, konnte aber genau das herauslesen. Genau das war O-Ton der meisten Artikeln, die ich zu diesem Fall gelesen habe.

Aus meiner Sicht waren die Artikel aber häufig genug eine grobe Verkürzung, tendenziös und extrem (!) schlecht recherchiert.

Ich rechne es den sogenannten Journalist(innen) außerdem als wirklich miese Leistung an, dass sie in ihren Artikeln so taten, als ob sich das Genderthema allein auf die Frauenfrage reduzieren lasse.

Denn "Gleichstellung", das betrifft eine Reihe von Menschengruppen: Menschengruppen, die in unserer Gesellschaft aus welchen Gründen auch immer benachteiligt werden. Dazu gehören u.a. auch Alte oder körperlich und geistig Benachteiligte. Ebenso ist dort spürbar das Thema der gleichgeschlechtlichen Lebensweisen angesiedelt. Das wird wohl auch der Grund dafür sein, weshalb z.B. das entsprechende Referat des Studierendenrats der Uni Leipzig thematisch entsprechend breit aufgestellt ist.

Es wäre schön gewesen, wenn die Medien, die sich aktuell in dem Fall Ebeling so groß hervortun, genau diese Themen- und Problemvielfalt, die mit der "Gleichstellung" verbunden ist, angesprochen hätten. Kritisch hätte mensch Frau Ebeling ihr recht beschränktes Verständnis der Gleichstellungsarbeit vorhalten können. Dass dies alles nicht geschah, zeigt einmal mehr, wie viel Engagement in diesem Gebiet noch notwendig ist.

Arbo zum Kachelmann

Gestern wurde Kachelmann freigesprochen. Nun gut, über diese Chose will ich eigentlich keine großen Worte verlieren. Außer: Es geht mir mächtig auf den Docht, das vor allem die öffentlich rechtlichen Medien seit Montag offenbar nicht ohne eine groß angelegte Kommentierung dieses Gerichtsprozesses auskommen.

Bereits am Sonntag, den 22.05.2011, kam das Thema bei Anne Will zur Sprache, wobei dort der Aufhänger die Affaire um Strauss-Kahn war, es der Natur der Sache nach aber nicht aus blieb, über die Causa Kachelmann zu orakeln. Eine Woche und einen Tag später setzte der von mir ansonsten sehr geschätzte Herr Leif (2+Leif, SWR) das Thema auf die Agenda. Dienstag, am Tag des Urteils, Maischberger; auch der Lanz vom ZDF durfte nicht fehlen. Tja und heute, Mittwoch, geht's weiter mit "Hart aber Fair" (ARD).

Was mir bei der ganzen Kommentierung bitter aufstößte, sind insbesondere die angestaubten Rollen- und Geschlechterbilder, die da transportiert werden. Nein, ich will damit nicht die "Männerrechts"-Schiene fahren, auf der ohnehin recht obskure Persönchen ihr noch obskureres Verschwörungssüppchen kochen.

(Näheres zu Letzterem u.a. in Dr. Thomas Gesterkamps Expertise "Geschlechterkampf von rechts" von der Friedrich-Eber-Stiftung (PDF). Kurz angesprochen wird dieses Thema auch in einem Interview mit Gesterkamp in der Zeitschrift "Die Demokratische Schule" der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft vom Februar 2011 (PDF).)

Um was es mir geht, ist, dass da mehr oder minder blind eine ganz bestimmte Partnerschaftskonstruktion propagiert wird. Dass es auch zu Gewalt von Männern gegen Männer, Frauen gegen Frauen usw. kommen kann, war und ist kaum Thema. Wie sollen vor allem Männer aus gleichgeschlechtlichen Partnerschaften damit klar kommen, wenn, wie bei Maischberger ganz stolz vorgestellt, ein Sonderdezernat der Staatsanwaltschaft "Gewalt gegen Frauen" heißt und dort auch nur Frauen angestellt sind? Von Frauen aus gleichgeschlechtlichen Partnerschaften mal ganz zu schweigen. Und was soll das überhaupt heißen? Dass Männer keine misshandelten Frauen beraten dürfen sollen (und umgekehrt)? Warum?

Mir ist natürlich klar, dass diese Problematik sehr komplex ist. Ohne Experte zu sein, kann ich mir gut vorstellen, dass es vielleicht nicht die beste Idee ist, eine von einem Mann misshandelte Frau von einem Mann untersuchen/befragen zu lassen.

Mir ist ebenso klar, dass gerade in einem Quasi-Familienbereich, wie es die gängige Stereotype der eheähnlichen Partnerschaft nahe legt, Gewaltdelikte eine besondere Problematik aufweisen.

Aber machen wir uns mal nichts vor: Andere Lebensstile und Beziehungsformen werden innerhalb unserer Gesellschaft immer noch bisweilen negativ abgewertet, so dass ich meine berechtigten Zweifel habe, ob die in den Talkshows häufig zur Schau gestellte Einseitigkeit a) diese negativen Abwertungen verringert und b) den Betroffenen aus diesen abgewerteten Bereichen bei Problemen wirklich hilft.

Mir wäre es deshalb deutlich lieber, wenn die u.a. bei Maischberger so stolz vorgestellten Sonderdezernate derartig breit aufgestellt und ausgebildet sind, dass sie möglichst viele der Gewaltdelikte angemessen behandeln können. Dazu gehört für mich die Gewalt im heterosexuellen Haushalt ebenso wie die Misshandlung unter Gleichgeschlechtlichen (ob in Partnerschaft oder nicht!) oder die Misshandlung von alten Menschen.