Montag, 21. Februar 2011

Empörend

Ich glaube, ich sehe nicht recht: Im ARD bei Beckmann sind heute zum Thema "Empört Euch! Wie Bürgerwut die Welt verändert" eingeladen Stéphane Hessel, der für sein "Empört Euch!" (Indignez-vous!) bekannt ist, Daniel Domscheit-Berg (Ex-WikiLeaks-Sprecher) und Klaus von Dohnanyi.

Quelle: DasErste.de

Gleich im ersten Moment habe ich mich gefragt, was der Dohnanyi dort zu verlieren hat. Das, was der als "Bürgergesellschaft" vertritt, ist im Grunde die Umkehrung genau dessen und ein Schlag ins Gesicht jedes Bürgers. Hinzu tritt die Sympathie, die Dohnanyi letztes Jahr gegenüber Sarrazin aufbrachte.

Zur Erinnerung: Dohnanyi ist Sarrazin zur Seite gesprungen und hat versucht, ihm den Rücken zu stärken (FR, Welt und SZ). Dohnanyi hat Sarrazin zu einer Art Kämpfer für die Meinungsfreiheit stilisiert. Dabei wiesen die von Sarrazin verwendeten Begriffe und Argumentationsmuster eine deutliche Nähe zu rassistischen Ideologien auf (siehe die Kritik von Wolfgang Lieb und beim Spiegelfechter).

Mit Blick auf Stéphane Hessel rieb sich Jakob Augstein daher verwundert die Augen und stellte fragend fest:

"In Frankreich wurde ein Buch der Hoffnung zum Bestseller. In Deutschland ein Buch der Niedertracht. Wie kommt es, dass die deutsche Empörung etwas Böses hat und die französische etwas Befreiendes? Wie kommt es, dass die Franzosen Stéphane Hessel haben und wir Thilo Sarrazin?"

Vor diesem Hintergrund frage ich mich, ob es gegenüber Stéphane Hessel nicht taktlos ist, ihn mit Dohnanyi in eine Sendung zu packen. Wäre ich Hessel, ich wäre empört!

Olaf, der "Lightbringer" ...

In Hamburger wird Olaf Scholz von der SPD mit seinem Wahlergebnis von um die 48% als Eroberer (FR) gefeiert, fast so, als ob er die "alte Tante" (SPD) wieder auf den "rechten" Pfad der Tugend brächte. Allerdings: Bei Scholz scheint das "Soziale" allein im Titel seines Parteibuch groß geschrieben zu werden.

Zur Erinnerung. 2001 drängte Scholz als damalige Innensenator von Hamburg zur "zwangsweisen Brechmittelverabreichung" (siehe auch ein Interview im SPON). Dieses Vorhaben stand in reger Kritk, u.a. seitens der Hamburger Ärzte-Kammer. Dieser Aspekt sei vor allem deshalb erwähnt, weil Scholz sich in dieser "harten" Gangart rein gar nichts von jenen Einstellungen nimmt, die für gewöhnlich die "Konservativen" öffentlich zur Schau stellen. Von einem aus der SPD, auch - oder gerade - wenn er sich als "liberal" einschätzt, müsste mensch eigentlich etwas anderes erwarten dürfen.

Als Bundesminister für Arbeit und Soziales (2007-2009) schlug er 2008 vor: Erstens den Zoll aufzubessern, um ganz besonders effizient gegen "Schwarzarbeit" vorzugehen; und zweitens wolle er die Krankenmeldungen der Langzeitarbeitslosen stärker kontrollieren (siehe Tagesspiegel). Ulrike Herrmann von der taz schrieb damals zu Recht:
Langzeitarbeitslose, so wird suggeriert, täuschten ihre Erwerbslosigkeit nur vor, um den Sozialstaat auszubeuten. Flugs wird die Massenarbeitslosigkeit zu einer optischen Täuschung: Eigentlich seien die meisten beschäftigt - nur eben allzu viele schwarz. [...]
In dieses Muster passt auch der zweite Vorschlag von Scholz, die Krankmeldungen der Langzeitarbeitslosen stärker zu überprüfen. Wieder wird unterstellt, dass Hartz-IV-Empfänger mogeln.
Wie dämlich gerade sein Vorschlag zur Verbesserung der Kontrolle von Schwarzarbeit war, darauf habe ich selbst damals bereits hingewiesen: Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die dafür zuständig ist, untersteht nämlich dem Bundesfinanzministerium und fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, dem Scholz damals vorstand.

Und noch ein Punkt, der "das Soziale" bei Scholz ins Wanken bringt. 2008 war nämlich auch das Jahr, in dem der dritte Armuts- und Reichtumsbericht vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegeben wurde. Als damaliger Bundesminister ist Scholz natürlich dafür verantwortlich und darf sich die entsprechende Kritik um die Ohren hauen lassen. Und die hatte es in sich. Der Caritasverband kritisierte, dass der Bericht schlicht an der Lebensrealität der Menschen vorbei ginge (für die ausführliche Stellungnahme siehe Caritasverband, PDF). Zudem wurde die geradezu beliebige Verwendung der Datenquellen kritisiert: Je nach politischer Couleur hätten sich die damaligen Regierungsparteien die Statistik herausgesucht, die am Besten in den eigenen politischen Kram passte.

Das Ergebnis: Ein ziemlich inkonsequentes Propagandawerk.

Es war ähnlich der neulichen Hartz-IV-Debatte: Reinste Arithmetik, bei der sich die politische Klasse im schöngerückten Licht der Zahlen sonnt. Die davon real betroffenen Menschen blieben und bleiben außen vor. "Sozial" sieht anders aus!

Deshalb sollte sich niemand vom Sieg des Olaf Scholz blenden lassen. Dieser Kerl ist ein Hardliner vom Schlage Steinmeier, Müntefering und Clement. Er steht nicht für das "Soziale", sondern für die Agenda 2010. So lange sich die SPD mit solchen Personen schmückt, ihnen auch noch führende Parteifunktionen zuschanzt, so lange wird das Soziale in der SPD Staub ansetzen. Eine andere Politik, eine (Rück-) Transformation der sPD zur SPD, darf noch lange auf sich warten lassen.

Schlussbemerkung: Über die Wahlbeteiligung war bisher noch nicht viel zu finden. Die Tagesschau meint, dass die Wahlbeteiligung bei etwa 60% der Hamburgerinnen und Hamburger lag, d.h. etwa 40% haben nicht gewählt. Ad sinistram ist etwas präziser und gibt 43% Nichtwähler(innen) an.

Das Existenzminimum auf dem Grabbeltisch

Offenbar ist es nun in Sack und Tüten: Rückwirkend zum 01.01.2011 wird der (Eck-) Regelsatz für das Arbeitslosengeld II (Hartz IV) um fünf Euro erhöht; ab 2012 gibt es dann noch einmal drei Euro mehr (8 Euro), wobei dieser Betrag noch an die Inflation und Lohnentwicklung angepasst werden soll (Stern und Handelsblatt).

Für das "Bildungspaket" sollen ebenfalls in der Summe mehr Mittel zur Verfügung stehen. Und sowohl in der Wach-, Weiterbildungs- und Leiharbeitsbranche soll es allgemein verbindliche Mindestlöhne geben.

Letzteres erscheint mir ehrlich gesagt wie Flickschusterei, die allein dem Umstand geschuldet ist, dass sich die SPD wieder ein wenig "sozialer" geben kann.

Dass diese Mindeslohnregelungen so kleinherzig ausfallen, passt aber ganz gut ins aktuelle Bild: In Hamburg wird ein Olaf Scholz ob seines Wahlergebnisses als Eroberer (FR) gefeiert, im Kern handelt es sich bei ihm aber um jemanden, der geistig nicht weit vom Kurs der Agenda 2010 abweicht und deutliche Schnittmengen mit konservativen "Sicherheitsrambos" aufweist.

Im Grunde sagt es ziemlich viel über die (sozial-) politischen Zustände im Lande aus, wenn so ein sozialpolitischer Analphabet wie Scholz als Rettung der Sozialdemokratie gefeiert wird. Wie sprichwörtlich arm müssen wir in Deutschland dran sein, dass uns sogar solch ein Vollpfosten als "sozial" erscheint?

Damit lässt sich wieder die Brücke zurück zur Hartz-Verhandlung schlagen: Bei den jetzt ausgehandelten Ergebnissen hat sich niemand wirklich einen Zacken aus der Krone gebrochen. Die politischen Verliererinnen sind Schwesig (SPD) und von der Leyen (CDU), weil sie sich im politischen Geschacher schlicht verzockt hatten. Gewonnen haben die Ministerpräsidenten Seehofer (CSU), Böhmer (CDU) und Beck (SPD). So sieht es zumindest ein Großteil der Medien (z.B. Spiegel Online, Frankfurter Rundschau und die ZEIT).

Die wahren Verlierer(innen) sind jedoch die sozial Bedürftigen. Es gebiert sich geradezu als Frechheit, was ihnen als Neuregelung der Hartz-Gesetze vorgelegt wurde. Nicht nur, dass die zunächst ermittelten Regelsätze offenbar schon vorher feststanden - diese wurden nämlich bereits 2008 vom Bundesfinanzministerium im "Existenzminimumsbericht" errechnet (siehe die Kritik vom paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin). Nein, die Berechnung selbst scheint wieder einmal willkürlich und intransparent zu sein: Das fängt bei der Wahl der Referenzgruppen für die Ermittlung der Regelsätze an und reicht wieder bis zur Ermittlung der Regelsätze für Kinder.

Allein das genügt, um die "Verfassungsmäßigkeit" der neuen Regelsätze in Zweifel zu ziehen. So auch die Kritik des Sozialrichters Jürgen Borchert, des Armutsforschers Christoph Butterwegge und vom Paritätischen Wohlfartsverband (21.02.2011). Genau das war es wohl auch, was Bündnis 90/Die Grünen dazu veranlasste, aus den Gesprächen auszusteigen:
Fraktionschefin Renate Künast äußerte „erhebliche Zweifel“ an der Verfassungsmäßigkeit der neu berechneten Regelsätze. Sie verwies auf eine frühere Forderung von SPD und Grünen, sogenannte Aufstocker, die ihr Gehalt mit Hartz IV aufbessern müssen, aus der Berechnung des Regelsatzes herauszunehmen. Das hätte einen weiteren Anstieg der Sätze zur Folge. Diese Bemühung sei jedoch gescheitert.
Diese Mängel werden allerdings noch davon übertroffen, dass den Hilfsbedürftigen zunächst eine Erhöhung von fünf Euro zugebilligt wird, die dann 2012 auf acht Euro steigen soll.

Jetzt könnte jemand natürlich auf die Idee kommen, dass die drei Euro u.a. die Lohn- und Inflationsentwicklung im Jahre 2012 ausgleichen sollen. Wenn es aber stimmt, was der Stern und das Handelsblatt vom 21.02.2011 schreiben, dann werden die Regelsätze im Jahr 2012 zusätzlich zu den drei Euro noch um die Lohn- und Inflationsentwicklung angepasst. Die Regelsätze steigen dann also um drei Euro plus X.

Das mag im ersten Moment nicht all zu negativ klingen. Unter dem Strich führt das aber zu der unterirdischen Situation, dass das soziokulturelle Existenzminimum im Jahre 2011 um drei Euro niedriger liegen soll als 2012. Aber warum? Außerdem ist das soziokulturelle Existenzminimum ein Minimum: Darunter geht nichts mehr!

Folglich sind die drei Euro Erhöhung in 2012 das Ergebnis eines politischen Kuhhandels. Das zeigt, dass das Existenzminimum der Bedürftigen gar nicht im Zentrum der Verhandlungen stand. Deutlicher lässt sich gegen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes gar nicht verstoßen. Mag es auch positiv sein, den Bedürftigen 2012 mehr Geld zur Verfügung zu stellen, so fußt dieser Betrag wieder einmal auf einer intransparenten Willkürlichkeit.

Unter dem Strich ist das schon deshalb eine Sauerei, weil damit die eigentlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes ignoriert wurden. Darüber hinaus sind die Betroffenen, sofern die ausgehandelten Vorschläge in eine Gesetzesform gebracht werden, ganz real damit konfrontiert und müssen, falls es wieder vor dem Bundesverfassungsgericht landet, auf ein entsprechendes Urteil warten. Zur Erinnerung: Das letzte Urteil dazu wurde im Februar 2010 gesprochen - fünf (!) Jahre nach Inkrafttreten von Hartz IV.

Kurz: Den Hartz-Parteien ist ihre sozialpolitische Bodenhaftung sprichwörtlich abhandengekommen. Im so provozierten Rechtsstreit um das soziokulturelle Existenzminimum lassen sie die Bedürftigen an langer Hand verrecken. Auch, wenn die sPD äußert, nicht vollends befreit von allen Zweifeln an der Verfassungsgemäßheit der Neuregelungen zu sein, so war sie hier dennoch wieder mit von der Partie.

Links
"Hartz IV: Insgesamt acht Euro mehr" (FR)
"Erst fünf, dann acht Euro mehr" (SZ)
"8 Euro mehr erst 2012"(Stern)
"Einigung auf Hartz-Gesamtpaket" (Handelsblatt)

Samstag, 19. Februar 2011

Googleberggate

In den letzten Tagen ist ja schon viel um Herrn Googleberg Guttenbergs Dissertation geschrieben worden. Fast stündlich gibt es neue Hinweise. Federführend sind hier vor allem die Frankfurter Rundschau und die Süddeutsche Zeitung:


Wurden die anfangs acht Textstellen in der Dissertation noch als harmloses Versehen heruntergespielt, traten im weiteren Verlauf eine Reihe weiterer nicht angezeigter Übernahmen von anderer Werke ans Licht. Die SZ (18.02.2011) berichtete z.B. von 19 Autorinnen und Autoren, die nicht korrekt referenziert sind. Besonders dreist darf hier natürlich das fast wortgleiche Abschreiben in der Einleitung der Dissertation gewertet werden: Dort wurden offenbar Textteile ohne Kenntlichmachung übernommen (SZ vom 17.02.2011).

Für eine akribische Erhellung sorgt die im Internet organisierte "kollaborative Dokumentation" zu den Plagiaten: das sogenannte GuttenPlag Wiki. Mittlerweile sind dort über 200 kritische Textstellen gelistet:



Bisher möchte Guttenberg wegen dieser Plagiat-Vorwürfe nicht zurücktreten, sondern lässt zunächst erst einmal seinen Doktortitel ruhen (FAZ vom 18.02.2011). Für Empörung sorgte vor allem, dass Guttenberg am Freitag den 18.02.2011 nur ausgewählten Journalisten eine Erklärung zu den Vorwürfen gab. Der Vorgang findet sich u.a. im Fokus beschrieben, wo es u.a. auch hieß:
Einen ähnlichen Eklat hat es in der über 60-jährigen Geschichte der Bundespressekonferenz noch nicht gegeben. Aus lauter Ärger über das Verhalten von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) verließen mehrere Dutzend Hauptstadtkorrespondenten am Freitag unter Protest die Regierungspressekonferenz. Zurück blieben die verdutzten Sprecher von Kanzleramt und Ministerien.

Obwohl sich Guttenberg für sein Verhalten entschuldigte, lag Bettina Gauss von der taz sicher nicht ganz falsch, als sie ihm - ob seines Verhaltens - einen deutlichen Realitätsverlust attestierte und fragte: "Wer schützt Guttenberg vor sich selbst - und wer schützt die Bundeswehr vor einem wie ihm?".

Auch in der Blogger-Szene wird der Fall Guttenberg kommentiert. Eine kurze wie präzise Kritik lieferte z.B. Joséphine Glenz vom Dossier (17.02.2011). Angesichts der (wachsenden) Zahl an kritisierbaren Textstellen in der Arbeit von Guttenberg ließe sich nicht mehr einfach von einem Versehen ausgehen. Außerdem erinnerte sie daran, dass Guttenberg schon öfters falsche Behauptungen in die Welt streute. Der jetzige Fall runde das Bild des Lügenbarons nur ab.



Verschiedene Kommentare finden sich ebenso in den täglichen Hinweisen der NachDenkSeiten vom 18.02.2011. Albrecht Müller machte auf der gleichen Seite - bereits am 17.02.2011 - darauf aufmerksam, dass der Fall Guttenberg ganz allgemein für den mangelnden Anstand der Konservativen steht:
Zu Guttenberg hat abgeschrieben oder abschreiben lassen, er hat das geistige Eigentum Dritter übernommen, ohne die Quelle zu nennen, er hat es geklaut. Das soll einem Konservativen einschließlich der als liberal gedachten Justizministerin nicht reichen?

Die Konservativen, genauer diese Konservativen, haben keinen Anstand. Insofern ist dieser Vorgang wieder eine Lehrstunde. Wie so oft schon in der deutschen Geschichte. Sie haben mit Hitler paktiert. Sie haben die Machtergreifung Pinochets und die Ermordung Allendes gefeiert. Sie haben Mubarak in Ägypten gestützt und tun dies bei einer Serie von anderen Diktatoren. Bei ihren Gesinnungsgenossen sind sie großzügig. – Auch im kleinen: so lassen sie zu Guttenberg durchgehen, dass er jetzt schon wieder flieht.
Mit der Kritik von Müller ist breits angesprochen, dass die Plagiat-Vorwürfe natürlich an der Glaubwürdigkeit des Verteidigungsministers Guttenberg nagen. Kritiker(innen) mögen hier einwenden, dass bisher jeder Vorwurf an dem teflongestählten Minister abprallte. Seiner Beliebtheit schien das nicht viel auszumachen. Dagegen wird von anderer Seite in Stellung gebracht, dass sich Guttenberg in diesem Fall nicht mehr hinter anderen verstecken könne: Jetzt müsse er die Verantwortung schon selber tragen.

Insofern sollte mensch davon ausgehen können, dass die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in Guttenberg nachhaltig erschüttert ist. Die Zahl der kritischen Textstellen in seiner Dissertation lässt jedenfalls jeglichen Versuch, das als Bagatelle herunterzuspielen, unglaubwürdig wirken.

Als Minister ist Guttenberg damit nicht tragbar. Für die CDU/CSU birgt das ein besonderes Problem, weil das Absägen dieses Ministers womöglich das Ansehen der gesamten Regierung und mithin der Partei(en) schädigt. Sie befindet sich da aber wirklich in einer Zwickmühle: Sie kann Guttenberg weder fallen lassen, noch behalten, ohne dass es einen Ansehensverlust gibt. Gleichwohl sei eingeräumt, dass der Posten des Verteidigungsministers ohnehin der "schwarze Peter" war und Guttenberg offenbar aus parteiinternen Strategieüberlegungen dieser Posten zugeschanzt wurde: Guttenberg hat ja sicher nicht überall Freunde. Dazu sei nur mal an die Diskussion um "Guttenberg kann Kanzler" erinnert. Damit hätten sich Guttenbergs Widersacher(innen) also durchaus des Risikos eines größeren Glaubwürdigkeitsverlustes bewusst sein müssen.

Allerdings liegt der Fall jetzt etwas problematischer: Es könnte durchaus ein Imageverlust für die Politik im Allgemeinen befürchtet werden. Denn nun geraten mehr oder minder die Doktorentitel bekannter Politiker(innen) ins Fadenkreuz. Wenn schon nicht so akribisch wie bei Guttenberg, so dennoch mit merklich erhöhtem Interesse stehen Personen wie Dr. Helmut Kohl, Dr. Guido Westerwelle oder Dr. Kristina Schröder in der Schusslinie der medialen Aufmerksamkeit (z.B. SZ und Stern). Dabei durfte vor allem Frau Schröder sicher recht froh gewesen sein, dass etwas Gras über die Diskussion ihrer Dissertation gewachsen war. Wie weit solch ein Imageschaden tatsächlich gehen mag und wie lange er dann anhält, das muss sich noch zeigen. Doch dürfte klar sein, dass sich mit einem "Dr." im Moment kein Blumentopf gewinnen lässt. Das gilt für Politiker(innen). Aber sicher wohl auch allgemein für Wissenschaftler(innen).

Damit wird eine andere - sicher ebenso wichtige - Dimension angesprochen, die in der aktuellen Debatte um den Fall Guttenberg leider aus dem Blick zu geraten droht. Denn was beudet dieser Vorgang für die deutschen Hochschulen und die Abschlüsse, die dort erworben werden können?

Der normale Mensch von der Straße muss doch angesichts dieser Vorgänge den Eindruck haben, dass einem die Dissertation regelrecht hinterhergeschmissen wird. Das wird verstärkt, wenn einzelne Medien in Dissertationen vom Typ-I (wirkliches Interesse) und Typ-II (Titel, Geld) unterscheiden: Es wird der Eindruck erweckt, dass es da Doktortitel gibt, die irgendwie recht einfach zu erhalten sind. Wir wisse schon genau, von welchem Typ der Dr., der gerade vor einem steht, ist?

Dieses ganze Bohei um solche Typ-II-Dissertationen wäre noch zu tolerieren, wenn das wirkliche Forscherinteresse - die Identifikation mit dem Forschungsobjekt - zu einer qualitativ höherwertigen Dissertation führen könnte. Wenn nun aber jemand wie Guttenberg mit "summa cum laude" - dem höchsten Prädikat - abschließt, fragt sich zu Recht, wie eine Arbeit, die sich tatsächlich um die Sache bemüht, genau das noch toppen kann. Wie soll sich ehrliche Wissenschaft vom reinen Geltungsbedürfnis qua Doktortitel unterscheiden? Anders formuliert: Die ehrliche Wissenschaftsarbeit wird durch solche Typ-II-Arbeiten sprichwörtlich entwertet.

Damit sollen keineswegs jene disqualifiert sein, denen es bei ihrer Dissertation hauptsächlich um den Titel geht. Tatsächlich mag dieser ja eine Eintrittskarte für bestimmte Berufe sein. Das geht in Ordnung. Doch wenn ein "summa cum laude" schon durch eine eher mäßige Motivation zur wissenschaftlichen Arbeit zu erreichen ist, dann stimmt etwas mit der Leistungsgerechtigkeit nicht (um mal ganz böse einen neoliberalen Grundsatz heranzuziehen).

Genau damit fällt Herrn Prof. Peter Häberle, dem Doktorvater von Herrn Guttenberg, ein ziemlich schwerer Stein auf die Füße. Dieser bekundete schließlich, dass die Doktorarbeit von Guttenberg "eingehend kontrolliert" worden sei (FAZ vom 16.11.2011). Folglich wäre also alles in Ordnung. Entsprechen groß also das Unverständnis über die Vorwürfe an dieser "erstklassigen" Arbeit von Guttenberg.

Dem gegenüber kam jedoch Andreas Fischer-Lescano, der die ersten kritischen Stellen der Dissertation entdeckte, zu folgendem Schluss:

Das Gesamturteil "summa cum laude" erscheine [...] "mehr als schmeichelhaft". Der heutige Minister "zermürbe" die Leser durch seitenlanges "Politsprech"

Nun mag dieses Urteil anfangs noch als typischer Verriss gegolten haben. Doch im Lichte der weit über 200 kritischen Textstellen, die in den letzten Tagen ans Licht kamen, scheint die Kritik an der Guttenberg-Dissertation Hand und Fuß zu haben.

Was damit so unheilig wie unausgesprochen im Raum schwebt, ist der Eindruck, dass es sich bei der Verleihung des Doktortitels - und vor allem bei dem Prädikat "summa cum laude" - um eine Art Gefälligkeit gehandelt habe. Angesichts der bisher aufgefundenen Fehler fragt sich, wie diese Arbeit überhaupt durchgehen konnte. Genau dieser Umstand dürfte für Herrn Häberle und die Universität Bayreuth - an der Guttenberg promovierte - mehr als peinlich sein.

Doch gleichzeitig wirft dieser Vorfall ebenso seinen Schatten auf die allgemeine Praxis an den Universitäten. Der Fall Guttenberg führt nämlich vor Augen, dass es offenbar nicht nur die wissenschaftlich-intellektuelle Fähigkeit der Promovierenden ist, die zu einem besonders guten Doktortitel führt. Warum sollte das, was wir gerade bei Guttenberg erleben, ein Einzelfall sein?

In diesem Sinne lässt sich die Kritik von Albrecht Müller ergänzen und allgemein nach dem Anstand in der Wissenschaft, Lehre, Politik und Wirtschaft fragen. Die sogenannte Finanzkrise und deren Nachwehen geben genügend Anlass, die Redlichkeit der Wissenschaft in Zweifel zu ziehen. Genau das tat der Evolutionsökonom Geoffrey M. Hodgson in einer Ausgabe des Cambridge Journal of Economics (2009): Dort machte dieser die Verquickung von Wirtschaftswissenschaftlern und Finanzindustrie mitverantwortlich für das Ausblenden etwaiger Finanzrisiken und einer möglichen Kritik am Finanzmarkt, was letztlich die Finanzkrise begünstigte.

Wer die gängigen Suchmaschinen mit den Stichworten "AWD Rürup Riester" und "Raffelhüschen Versicherungsindustrie" oder "Weidmann Weber Asmussen" füttert, wird Beispiele finden, wie offenbar auch in Deutschland das Zusammenspiel von Wirtschaft, wirtschaftlichen Organisationen und Wissenschaft funktioniert.

Der Fall Guttenberg stößt uns somit auf die ernsthafte Frage nach den Kompetenzen unserer "Führungseliten". Denn wenn Leute wie Guttenberg so leichtfertig ihre "summe cum laude" erhalten und dabei auch noch von anerkannten Fachleuten den Rücken gestärkt bekommen, wie verhält es sich dann mit anderen "Fachleuten" in "Führungspositionen"? Wer "regiert" uns eigentlich. Oder in Anlehnung an Bettina Gauss gefragt: Wer schützt uns vor diesen Leuten?

Wie bereits angedeutet, geht davon nicht nur ein Imageschaden für die Politik aus, sondern ebenso für Dissertationen vom Typ-I. Wissenschaftlicher Wettbewerb, wie er uns immer wieder als Leitbild gepredigt wird, verkommt somit zur reinen Worthülse: Mit Wettbewerb haben die Typ-II-Promotionen nicht viel zu tun. Wer im Moment unter den aktuellen Bedingungen an den Universitäten - womöglich noch als "Externer" - promoviert, kann die derzeitige Situation deshalb wohl nur mit Humor nehmen und hoffen, dass sich ehrliche Arbeit doch irgendwie durchsetzen wird. In dem Sinne hoffe ich, dass Albrecht Müller die Flasche Rotwein verliert, die er dagegen setzte, dass Guttenberg seinen Doktortitel behalten darf.

Mittwoch, 16. Februar 2011

Melancholie vom Feinsten ...

Nun zu etwas erfreulichem ... Herr Windstein hat nen Entzug gemacht und rausgekommen ist: "Sever the Wicked Hand". Kurz: Crowbar is back!!!


Obwohl ich zugebe, dass ich die Live+1-Scheibe für die beste Crowbar-Scheibe ever halte, hat Kirk Windstein hier was fabriziert, was ich einfach nur als "herrlich" bezeichnen kann. Düster, verspielt, aggressiv und wunderbar schleppend.


Insgesamt ist ein recht schön abwechslungsreiches Album herausgekommen, das wirklich knallt (Server the Wicked Hand), aber streckenweise auch eine bittersüße Melancholie besitzt (A Farewell to Misery). Kurz, das Album ist so, wie ich Crowbar mag. Es macht mir einfach Spaß! Danke Kirk!


Div. Links
Crowbar Homepage
Crowbar MySpace
The Cemetary Angels (Video)

Rezis
Metalhammer.de
Musikreviews.de
Metalnews.de
Laut.de

Arbo motzt wieder ...

In der letzten Zeit war ich anderweitig ziemlich eingespannt und ehrlich gesagt auch nicht immer in der Muse, hier auf dem Blog etwas zu schreiben. Angesichts der sarrazinären Zustände hier im Lande mag das vielleicht verwundern. Aber einerseits habe ich mich fachlich (!) darüber auslassen dürfen. Andererseits gibt's im Netz ein paar gute Artikel über die ganze Chose, der ich eigentlich kaum etwas hinzufügen kann:


Eine wissenschaftliche Auswertung gibt's mittlerweile auch schon. Titel "Sarrazins Thesen auf dem Prüfstand - Ein empirischer Gegenentwurf zu Thilo Sarrazins Thesen zu Muslimen in Deutschland". Diese wird offenbar ständig erweitert (die aktuelle Version ist vom 01.02.2011).

Zweiter Punkt: Hartz IV. Hier gilt fast das Gleiche. Fast, weil ich mich fachlich ziemlich intensiv mit der Materie auseinandergesetzt habe und so blöd war, zu hoffen, das die Polit-Kasper(innen) es noch gebacken bekommen, die Neuregelungen der Hartz-Gesetze gemäß dem Bundesverfassungsgerichts zum 31.12.2010 fertig zu bekommen.

Also Fehlanzeige ... Für mich ist's auch ein Zeichen purer Ignoranz. Die Hartz-Regelsätze sollen schließlich das soziokulturelle Existenzminimum gewährleisten. Dagegen tun die Damen und Herren Polit-Kasper so, als ob von solch einem soziokulturellen Existenzminimum niemand wirklich existenziell betroffen ist. Um dieses Minimum ging's m.E. schon beim Referenten-Entwurf nicht mehr. Ein Schelm, wer böses dabei denkt, dass das Bundesfinanzministerium bereits im Jahre 2008 genau die 364,00 Euro errechnete, die im Referenten-Entwurf als vermeintlich "neu" berechneter Regelsatz auftauchen (siehe Existenzminimumsbericht, S. 3, PDF ).

Nunja, Heribert Prantl von der Süddeutschen hat die wesentlichen Kritikpunkte ganz gut zusammengefasst: Essen für 2,55 Euro pro Tag.

Allein, weil diese ganzen Kritikpunkte im politischen Geschacher um 5, 11 oder doch nur 8 Euro Erhöhung der Regelsätze untergehen, verkommt eben dieses Hin-und-Her im Bundesrat zum reinen Possenspiel. Leider muss mensch dieses als solches ziemlich ernst nehmen ... denn die Damen und Herren spielen mit dem soziokulturellen Existenzminimum.