Mittwoch, 29. Juni 2011

Syrien: Ein Zwischenruf

Ursprünglich wollte ich einen etwas längeren Beitrag zu Syrien schreiben, habe mich aber dazu entschlossen, das doch etwas kürzer zu halten.

Es war das Frühjahr 2009, als ich mich anschickte, dieses Land - Syrien - zu besuchen. Dort angekommen, erging es mir - vermutlich - wie vielen Westeuropäer(inne)n: Den Orient, den ich zu finden hoffte, fand ich nicht. Ich lernte einen anderen Orient kennen, einen nach vielen Grauschattierungen hin differenzierten und in seiner Widersprüchlichkeit faszinierenden Orient.

Typisch dafür war Tartus, wo ich unbedarft mit der örtlichen Queer-Community in Berührung kam und eine leise Ahnung davon erhielt, wie "reserviert" ihr die syrische Gesellschaft gegenübersteht: Das an einem Ort, der doch zunächst geradezu liberal wirkte, wenn auf der Strandpromenade schon mal Bier getrunken werden konnte und die Damenmode dort nicht gerade an "züchtige" Glaubenskleidung erinnerte.

Tartus
(c) 2011 KrAutism

Spätestens seit April diesen Jahres wird hierzulande gehäuft über Syrien berichtet. Ursache ist der arabische Frühling, der nach Syrien schwappte und seit April für Revolten sorgte (für eine Übersicht siehe Wikipedia 2011). Am 9. April war z.B. im Spiegel zu lesen, dass die syrische Armee in Latakia auf Demonstrant(innen) schießen ließ. Aber nicht nur dort: Auch in Homs kam es zu Auseinandersetzung mit, so wurde berichtet, Todesopfern. Über weitere Zusammenstöße berichtete u.a. die SZ vom 25.04.2011. Vor dem April war u.a. auf Telepolis von Zusammenstößen von Militär und Demonstrant(inn)en sowie Todesfällen zu lesen. Ebenfalls dort findet sich ein Artikel, in dem über die Hinrichtung von Soldaten berichtet wird, die sich weigerten, auf Demonstrant(inn)en zu schießen (Telepolis).

Anders als im Falle Ägyptens ist die Berichterstattung über Syrien meiner Beobachtung nach unaufgeregter. Möglicherweise liegt das an weniger spektakulären Bildern, was wiederum der politischen Situation Syriens geschuldet sein kann. Oder aber, "wir" sind durch Libyen, Tunesien und Ägypten medial einfach übersättigt.

Im Falle Syriens von Desinteresse zu sprechen, greift aber insofern zu kurz, als z.B. Barack Obama schon im April 2011 das gewaltsame Vorgehen der Armee kritisierte. Angesichts der drohenden Flüchtlingsströme fand ebenso der türkische Ministerpräsident Erdogan deutliche Worte: Das Vorgehen Syriens wäre "barbarisch" (Focus vom10.06.2011). Auch Außenminister Westerwelle sparte nicht mit Kritik (Welt).

Letztlich verhängte die EU Anfang Mai Sanktionen gegen Syrien (Faz), die gegen Ende Mai 2011 sogar ganz konkret auf den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad ausgeweitet wurden: Dieser erhielt ein Einreiseverbot und eine Vermögenssperre (SZ).


Davon unbeeindruckt setzte Bashar al-Assad das gewaltsame Vorgehen gegen die Demontrant(inn)en fort (SZ vom 11.06.2011, ASP, FR vom 10.06.2011, Zeit vom 18.06.2011, Focus vom 25.06.2011).

Obwohl das in Europa entschieden abgelehnt zu werden scheint, ergeben sich einerseits bestimmte Widersprüche: Während gegen Gadaffi ein Haftbefehl beantragt wurde, weil er gegen Demonstrant(inn)en vorging, steht ein solcher mit Blick auf Bashar al-Assad noch aus (Telepolis 28.06.2011). Auf der anderen Seite scheint mir die Europäische Verurteilung und Berichterstattung zu Syrien seltsam routiniert und abgeklärt. Mensch scheint sich an diese Dinge gewöhnt zu haben.

Angesichts solcher Zeiten sind Beiträge wie "Syrische Wahrheiten" von Damir Fras (FR, 25.06.2011) eine wirkliche Wohltat, denn sie bringen diesen für "uns" so abstrakten und entfernten Konflikt auf eine begreifbare Ebene, auf der wir - aus meiner Sicht - für das Thema sensibilisiert werden können. Zugegebenermaßen berührte mich Fras Artikel auch deshalb, weil dort von Latakia die Rede war, der letzten syrischen Küstenstadt, die ich auf meiner Reise durch Syrien besuchte und wo meiner Meinung nach die besten Plätzchen und Kekse im Nahen Osten gebacken werden.

Latakia
(c) 2011 KrAutism

Wie auch immer: Angesichts der Berichterstattung zu Syrien hatte ich das Gefühl, dass etwas fehlt. Mir schienen die Demonstrationen in Syrien einfach in den medialen Topf mit der Aufschrift "Arabischer Frühling" geworfen zu werden, um es dann dabei zu belassen. Wer das Thema etwas stärker vertiefen will, sei auf die folgenden Hintergrundberichte, Interviews und Einschätzungen verwiesen:
Obsthändler in Latakia
(c) 2011 KrAutism

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