Samstag, 25. Februar 2017

Kognitive Dissonanzen im Hochschulsystem


Es gibt so Dinge, da weiß ich nicht mehr, was ich sagen soll. Dazu gehört z.B. der ministeriale Umgang mit dem neuen Bundesbericht zur Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses (BBSdwN 2017, PDF). Bildungsministerin Wanka von der „christlich demokratischen“ Union lässt ihr Ministerium verkünden: „Wissenschaftliche Karrieren werden immer attraktiver“. Das wird mit scharfem Verstand aus dem Umstand geschlossen, dass der wissenschaftliche Nachwuchs seit 2000 zugenommen hat:
„Waren im Jahr 2000 noch rund 82.400 Nachwuchswissenschaftler hauptberuflich als wissenschaftliches und künstlerisches Personal an Hochschulen beschäftigt, lag die Zahl im Jahr 2014 bei fast 145.000 – ein Plus von 76 Prozent.“ (BMBF 2017)
Klingt gut, hat aber das Zeug zum Prädikat „Fake News“. Denn genau das Gegenteil ist der Fall (ausführlich dazu Leander F. Badura, Freitag 2017).


Mal ein paar Fakten…

Während der Nachwuchs – also Personen mit Promotion (Postdocs) – ab 2000 um 76 Prozent zunahm, seien die Professoren-Stellen nur um 21 Prozent gewachsen. Es besteht also eine erheblich personelle Lücke. Das liest sich im Bericht so:
„Demnach steht einer hohen Anzahl an Nachwuchswissenschaftlerinnen und - wissenschaftlern eine vergleichsweise niedrige Zahl vakanter oder frei werdender Professuren gegenüber.“ (BBSdwN 2017: 27)
Die Lehre – aber auch die Forschung – wird zunehmend und hauptsächlich von befristeten, äußerst prekär angestellten, aber hoch qualifizierten Personen bewerkstelligt. 93 Prozent des wissenschaftlichen Nachwuchses ist befristet angestellt, die Befristung betrifft zunehmend auch „grundfinanziertes wissenschaftliches Personal“ (BBSdwN 2017: 29-30). Die Zahlen beziehen sich auf 2014, die zudem mit 2013 verglichen wurden: Insgesamt waren 2013 84 Prozent des „hauptberuflichen“ Universitätspersonals befristet, im Vergleich zu 2014 haben die Befristungen um neun Prozentpunkte zugenommen (BBSdwN 2017: 129).

Interessant sind die Angaben zu den Promotionen. Die durchschnittliche Dauer der Doktorarbeit liegt hier zwischen 3,5-4,5 Jahren (BBSdwN 2017: 32). 67 Prozent der Promovierenden ist zudem in die Lehre eingebunden, mit durchschnittlich 4,2 Semesterwochenstunden (BBSdwN 2017: 35). Ein richtiger Knaller ist aber die „Erfolgsquote“, die eigentlich eine Misserfolgsquote bezeichnet werden muss: 57-67 Prozent der Doktorarbeiten werden erfolgreich abgeschlossen, d.h. dass die Abbruchquote zwischen 43-33 Prozent liegt (BBSdwN 2017: 32).

Warum die Abbruchquote so hoch ist, das lässt sich intuitiv mit einer anderen Zahl erklären: ca. 19 Prozent der Promovierten unter 45 Jahren verbleiben an den Hochschulen (BBSdwN 2017: 33). Auch dafür gibt es weitere Hinweise: Wer ProfessorIn werden will, sollte nämlich früh habilitieren und viele Publikationen vorweisen (BBSdwN 2017: 34). Also schlechte Nachrichten für alle die, die auf dem zweiten Bildungsweg an die Hochschule kommen, vorher im Beruf tätig waren usw. Wird die Medizin nicht mitgerechnet gelangt nur eine habilitierte Person von fünf habilitierten Personen in eine Professur (BBSdwN 2017: 34). Ökonomisch gesprochen ein wenig effizienter Umgang mit der Ressource Humankapital. Und gesellschaftlich wird damit die soziale Mobilität weiter verschärft. Die Elite bleibt unter sich. 

Tenure-Track als Lösung?

Was Frau Wanka einfällt, das ist u.a. ein Mehr an Tenure-Track-Stellen. Dumm nur, dass auch ein Tenure-Track – also eine feste Karrierelaufbahn in der Wissenschaft – mal zur Professur führen sollen, deren Finanzierung sich die Länder aber bisher verweigern. Die hätten nämlich schon längst für entsprechende Professuren sorgen können. Wie bzw. wer diese zusätzlichen Stellen bezahlt, das ist für mich deshalb unklar – zumal an den Hochschulen bislang immer gespart wurde und niemand wirklich Stellen expandiert. Besonders hart trifft es die von Badura im Freitag erwähnten Geistes- und Sozialwissenschaften, die im nach ökonomischer Verwertung strebenden Gesellschaftssystem gerne verächtlich als „brotlose Kunst“ betitelt sind.

Tatsächlich muss noch viel mehr passieren als ein paar Tenure-Tracks. Auch deshalb, weil mE die Juniorprofessuren offenbar nicht wirklich die Situation des Nachwuchses verbessert haben. Im Grunde müsste knallhart an die ProfessorInnen-Privilegien heran, der ganze Mittelbau ausgeweitet werden usw. Das will natürlich niemand.

Ein anderes Problem ist damit auch nicht gelöst: Die Situation des Nachwuchses ist nicht nur prekär, sondern auch in manchen Disziplinen selbst liegt einiges im Argen. Erinnert sei an den Internationalen Aufruf zur Pluralisierung in der Ökonomik (ISIPE 2014). Ein paar Tenure-Tracks und Professuren bringen dort nicht viel, sondern es würde mit einer einfachen Ausweitung der Stellen – im Gegenteil – die aktuelle Situation nur zementiert bzw. verschlimmert.

Da ist aber noch eine Sache: Im Grunde ist die schlechte Situation an den Hochschulen schon sehr, sehr lange bekannt. Da waren ursprünglich die Probleme mit den PrivatdozentInnen, die um ihre Habilitation zu behalten, auch lehren müssen, was die Hochschulen natürlich toll zu nutzen wussten. Darüber hinaus ist alles, was den prekären Nachwuchs betrifft, schon lange und immer wieder von Gewerkschaften diskutiert worden. Außerdem hat die die DFG selbst bereits beklagt, dass Drittmittel zur „Zweitwährung“ im Hochschulsystem geworden sind und die DFG zunehmend die Rolle der Grundfinanzierung übernimmt. Ja, richtig, was früher vielleicht mal zur Förderung von Randthemen usw. gedacht war, muss jetzt den regulären Betrieb an den Hochschulen stemmen.

Passend dazu finden sich übrigens bei FeFe ein paar „schöne“ krasse Beschreibungen aus dem Bereich IT/Informatik, zwar nicht mit Blick auf die DFG, aber auf die Fördergelder seitens der EU: Um sich halbwegs zu finanzieren wurden da einfach ein paar FakeProjects entworfen – Folien und so, die den Forschungsfortschritt „dokumentieren“, aber offenbar ohne jede Substanz. Auch das ist ein Ergebnis der tollen Situation an den Hochschulen, die angeblich sowas von attraktiv für den wissenschaftlichen Nachwuchs sind.

Ich selbst kenne den Betrieb ja auch von Innen. Wer mit offenen Augen durch die Universitäten geht, wird das Elend greifen können. Es ist auch klar, dass unter den derzeitigen Bedingungen die Qualität in Lehre und Forschung leiden muss. Die gesamte Situation liest sich wiederum geradezu als Widerlegung der sogenannten Humankapital-Theorie (Wikipedia), gemäß der Bildung eine Investition ist und aus rationalen Gründen erfolgt, weil die erwarteten Erträge die Investitionen mindestens kompensieren. Aber trotzdem hören wir ständig, Bildung lohne sich.

Der eigentliche Knackpunkt liegt jedoch in der Ökonomisierung der Hochschulen, die üblicherweise heute als unternehmerische Hochschulen begriffen werden. Wenn ich Wissenschaft als Wettbewerb organisiere und diesen auf wirtschaftliche Verwertbarkeit ausrichte, muss ich mich nicht wundern, wenn das in prekäre Beschäftigung und bisweilen mangelhafte Qualität in Wissenschaft und Forschung führt. Dieses System wird aber nicht angetastet, so dass es sich letztlich bei allen anderen Änderungen nur um Flickwerk handeln kann.

Fazit

Mir soll daher keiner damit kommen, dass niemand hätte von den Missständen und den Mängeln der wettbewerblich-unternehmerischen Hochschullandschaft wissen können. Wer es sehen will, konnte das längst sehen. Dazu hätte mensch auch keine neue Studie gebraucht.

Warum das nicht „gewusst“ wurde, das zeigt die Reaktion aus dem Ministerium. Da werden die erschütternden Ergebnisse einfach umgedeutet. Probleme sind Herausforderungen und so. Besser wäre damit auch die DDR-Regierung in ihren letzten Tagen nicht umgegangen. Gut, das ist im Grunde auch nichts Neues. Besonders krass ist das für mich jedoch im Bereich Wissenschaft und Forschung. Es zeigt aber erneut: Wer darauf baut, dass gesellschaftliche Veränderungen durch „Aufklärung“ bedingt sein sollen, wird sich eines Besseren belehren lassen müssen. Dass darin auch eine gehörige Portion gewaltsames Konfliktpotenzial liegt, scheint offenbar niemanden zu stören. Gute Nacht!

(Update 25.02.2017, 10.07 Uhr, inhaltliche Präszisierung: PrivatdozentInnen, die ihre Habilitation behalten (statt erhalten) müssen.) 

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