Rufen wir uns einmal die einleitenden Szenen von „Conan –der Barbar“ in Erinnerung, in der der junge Conan den Tod seiner Eltern erleben
muss und versklavt wird. Wenn wir uns jetzt vorstellen, dass wir auf der
„anderen“ Seite – auf der Seite der „Riders of Doom“ – stehen, befinden wir uns quasi im
Szenario von „Tyranny“ (Gamestar;
Wikipedia|englisch)
– einem Computer-Rollenspiel von Obsidian, das an trisometrische
„old-school“-Zeiten mit teils rundenbasiertem Kampf erinnert.
Dort schlüpfen wir in die Rolle eines Invasors, der am
Anfang im Namen des Herrschers Kyros die Spielwelt erobert und dann als „Schicksalsbinder“
– Ankläger, Richter und Vollstrecker in einer Person (also eine Art „Judge
Dredd“) – u.a. damit beschäftigt ist, den verbleibenden Widerstand zu
bekämpfen. Dabei kann der Anschluss an eine der beiden – einander geradezu
hasserfüllt gegenüberstehenden – Invasions-Armeen gesucht werden, die
„Geächteten“ und der „Scharlachroten Orden“. In diesem Sinne stehen wir auf der
Seite der Bösen und können im Dienste Kyros dem Eroberungshandwerk nachgehen.
Dabei sind wir in ein Geflecht aus Beziehungen eingewoben, das viele
Handlungsmöglichkeiten mit entsprechenden Konsequenzen verbindet: Wie wir auf
Fragen antworten, ob wir Gewalt anwenden, ob wir lügen, was wir (wie) sagen usw., das alles
kann Auswirkungen auf den Ruf haben. Entscheidungen sind hier aber auch nicht immer
einfach, d.h. es gibt durchaus Dilemmata – also Situationen, in denen nicht das
eine „richtig“ und das andere „falsch“ ist.
Das sorgt für eine dichte Struktur der Geschichte, die
Spaß machen kann. Die Stimmung im Spiel ist in meinen Augen düster und verstörend,
was insbesondere der Ausganssituation zu verdanken ist und dies aber auch gut
rüberbringt – wir stehen schließlich auf der Seite „des Bösen“. Das kann dann,
wie in manchen Überschriften zu Artikeln über „Tyranny“ – das Bild vermitteln,
im Spiel ginge es darum, eine stereotyp-böse Ader ausleben zu können. In der
Tat mag das für einzelne zutreffen und das Spiel gibt vom Hintergrund her
durchaus diese Möglichkeit an die Hand, wenngleich es aufgrund des
Reputations-Systems nicht ganz so billig daherkommt, als zunächst
angenommen.
Insofern mag das Spiel auf Grund es Themas und des Hintergrunds Geschmackssache sein: Wer will schon in die
Rolle eines Invasors schlüpfen und dann virtuell den üblen Schleimbolzen
spielen wollen? Was soll daran reizen, die „böse“ Gegenseite zu spielen, wo sonst in normalen Rollenspielen gerne die Seite des Lichts bevorzugt wird? Das gilt erst Recht, wo
wir real in einer Welt leben, in der wir die „dunkle Seite“ immer wieder erleben bzw. wir uns auf der
Seite der „guten Invasoren“ stehen sehen, die ebenfalls „nur“ Ordnung bringen
möchte.
Es gibt jedoch noch eine andere Perspektive auf das Spiel, die eine
andere Sicht zulässt und auf eine äußerst interessante Meta-Ebene führt. Zwar
stehen die „Schicksalsbinder“ auf „der Seite des Bösen“, aber sie können
natürlich auch Gnade walten lassen, den „Widerstand“ stützen und somit gegen
Kyros opponieren. Und genau hier wird es sehr interessant.
Ich dann bin ich nicht allein damit konfrontiert, das „Richte“ auf der „bösen“ Seite zu tun - mich also vor den eigenen Leuten in Acht nehmen zu müssen. Die Sache wird nämlich wesentlich vielschichtiger. Kann ich dem
Widerstand, dem ich helfe, wirklich vertrauen? Vertraut der Widerstand mir? Wie
gehe ich mit den verfeindeten Invasions-Armeen um? Selbst dort, wo ein Schicksalsbinder
„Gutes“ tun möchte, kommt es zu moralisch fragwürdigen Entscheidungen, etwa,
wenn die zwei verfeindeten Invasions-Armeen gegeneinander aufgebracht werden,
um Kyros zu schwächen; oder wenn sich der Schicksalsbinder für eine von zwei
bestimmten Fraktionen im Widerstand entscheiden muss, weil die eine nicht mit
der anderen zusammenarbeiten möchte. Es gibt auch einen Gefährten, den kann ein
Schicksalsbinder nur dann für sich gewinnen, wenn ihm erst einmal Gewalt
angetan wird.
Das macht das Spiel unheimlich interessant, auch und
gerade in Kombination mit diesem teils verstörend düsteren Hintergrund.
Ich selbst habe es noch nicht durchgespielt, d. h. ich
sitze noch dran. Aber mich hat das Spiel trotz anfänglicher Bedenken (Will ich
wirklich Invasor spielen?) doch ziemlich gepackt. Und zwar deutlich mehr als
Pillars of Eternity, was wohl hier konkret mit dem Setting und der Geschichte in
diesem Setting zu tun hat. Und trotz der durchaus etwas geradlinigen Geschichte. Zwar gibt es auch immer wieder ein örtliches Hin und Her, aber das stört
hier weniger als in anderen Spielen, weil es einer gewissen Logik folgt. Vor
allem das Reputationssystem gibt dem Spiel eine gewisse Würze: Viele
Antwortoptionen haben halt verschiedene Konsequenzen. Eine Besonderheit ist: Am
Anfang kann festgelegt werde, wie die ersten Jahre der Eroberung vor sich gehen
und das hat dann im Spiel auch Auswirkungen, die ein Schicksalsbinder
zu spüren bekommt und die in meinen Augen auch den Spielreiz ausmachen (ebenso
das Potenzial, das Spiel mit anderer Ausgangslage noch einmal zu spielen).
Leider ist das Spiel bezüglich Reputation und Diplomatie nicht
ganz so konsequent wie damals Arcanum,
wo jemand als diplomatische Quasselstrippe einer ganzen Reihe von
handgreiflichen Konflikten aus dem Weg gehen konnte. Insofern frag‘ ich mich
schon, was es mir hilft, dass ich als diplomatischer Schicksalsbinder durch
die Lande ziehe, wenn ich ständig auch in Kämpfe verwickelt werde. Aber dessen
ungeachtet machen sich bestimmte Fähigkeiten (List, Athletik und Wissen) in
diversen Dialogen deutlich bemerkbar. Alles in allem also ein Spiel, das einen
Blick wert ist – zumindest für jene, die ein wenig mit old-school-RPGs und
rundenbasierte Kämpfen keine Probleme haben.
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