Mittwoch, 6. März 2013

Die Parallelwelten des Wolfgang C.

Vor zehn Jahren – also 2003 – traten die ersten Hartz-Gesetze in Kraft (BPD). Grund genug für „Hart aber Fair“ (ARD) am Montag (04.03.2013) eine Sendung zu diesem Thema zu veranstalten. Geladen waren Wolfgang Clement, Christian Lindner (FDP), Ursula Engelen-Kefer, Ulrich Schneider (Hauptgeschäftsführer „Der Paritätische") und Christiane Weimar (gelernte Bibliotheksassistentin, ehemalige Arbeitslosengeld-II-Bezieherin).

Frank Lübberding hat in der FAZ vom 05.03.2013 dazu bereits eine „Frühkritik“ verfasst, die ich gerne um ein paar Dinge ergänzen möchte.

„Tatsächlich existieren schon längst jene sozio-ökonomischen Parallelwelten, wie in einem Einspieler mit Sichtweisen aus zwei Düsseldorfer Stadtteilen deutlich wurde. Wo in Düsseldorf-Garath, einem Ortsteil mit einem niedrigen Durchschnittseinkommen, Hartz IV als Demütigung beschrieben worden ist, ist es in besseren Wohnlagen wie Düsseldorf-Oberkassel ein Indiz für individuelles Versagen, sprich Faulheit“ (Lübberding 2013).

Diese rohe Bürgerlichkeit (Heitmeyer) war in der Tat der interessanteste Teil der Sendung, der leider auch viel zu kurz wegkam. Dies hätte vertieft werden müssen: Erst recht, wenn mensch sich die Studie der Bundesagentur für Arbeit in Erinnerung ruft, die sie letztes Jahr in Auftrag gab und aus der hervorging, dass ca. 35 Prozent der Deutschen der Meinung sind, dass die Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II "nicht arbeiten wollen" (SZ).

„Clement hat von den Folgen dieser Politik bis heute nichts begriffen. Für ihn reduziert sich der Arbeitsmarkt auf ein simples Modell von Anreizen, wo Demütigung, Einschüchterung und Repressalien als „Fördern und Fordern“ vorgestellt werden“ (Lübberding 2013).

Da möchte ich widersprechen und eine Passage zitieren aus einer Broschüre jenen Ministeriums, das Herr Clement damals führte:

„Biologen verwenden für 'Organismen, die zeitweise oder dauerhaft zur Befriedigung ihrer Nahrungsbedingungen auf Kosten anderer Lebewesen – ihren Wirten – leben', übereinstimmend die Bezeichnung 'Parasiten'. Natürlich ist es völlig unstatthaft, Begriffe aus dem Tierreich auf Menschen zu übertragen. Schließlich ist Sozialbetrug nicht durch die Natur bestimmt, sondern vom Willen des Einzelnen  gesteuert“.

(Quelle: Vorrang für die Anständigen - Gegen Missbrauch, „Abzocke“ und Selbstbedienung im Sozialstaat. Ein Report vom Arbeitsmarkt im Sommer 2005. Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit August 2005, S. 10.)

Das mag zwar oberflächlich auch einem „Anreizschema“ entsprechen, kaschiert aber im eigentlichen Kern nur das sozialverächtliche Bild gegenüber den Bedürftigen, das mit Herrn Clement offenbar auch in höchst ministerialen Kreisen kursiert. Im Grunde hat Clement mit seiner Broschüre die negativen Zuschreibungen (Abwertungen) kultiviert. Paradox ist, dass die Bedürftigen im von ihm zu verantwortendem Neusprech „Kunden“ genannt werden, diese aber nicht etwa „König“ sind, sondern dank solcher Broschüren, wie sie das Bundesministerium damals druckte, quasi als „Sozialparasiten“ erscheinen.

Wie bereits angedeutet wäre es tatsächlich an der Zeit gewesen, dieses vergiftete Gesellschaftsklima, das mit Hartz Einzug gehalten hat, zu thematisieren. Die Chance wurde leider vertan.

Übrigens: Wer einen Blick auf den Fakten-Check der obigen Sendung wirft, wird sich in der Vermutung bestätigt sehen, dass Clement in einer Parallel-Welt zu leben scheint. Der Fakten-Check zeigt auch deutlich, wo die Fachleute saßen – nämlich im Paritätischen (Ulrich Schneider) und in der Gewerkschaft (Frau Engelen-Kefer). Wer die nächste Sozial- und/ oder Arbeitsmarkt-„Reform“ in Angriff nehmen möchte, sollte auf diese Stimmen hören.

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