Samstag, 18. Oktober 2008

Elitäre Menschenhetzer im ZDF?

Oh ja, der Marcel Reich-Ranicki (MRR), der hat Mut! Den Deutschen Fernsehpreis ablehnen, und zwar nicht einfach so, sondern mit mächtig Krawall!! Grandios!

Das Fernsehen sei schlecht und das, was er bei der Preisverleihung hatte erleben müssen, wäre vergeudete Zeit. Meine Güte, was hatte MRR damit für einen Schub der Entrüstung ausgelöst! Die einen, die gleich vom Sessel aufsprangen, ihm zuprosteten und sich selbstbeschämt gaben, weil sie ja selbst im ZDF tätig sind. Und dann die anderen, die mit deutlichem Amusement ein blumiges Verständnis dafür äusserten, wie ein alter Urmacher die Zahnräder in einem digitalen Taschenchronometer zu ersetzen sucht.

Um es klar zu stellen: Ich selbst finde das Programm der ÖR zum Teil (!) nicht wirklich gut und das der Privaten noch viel weniger. In gewisser Weise hat MRR auch mir aus dem Herzen gesprochen. Gleichwohl: Wer sich die Rede anschaute, wird wohl in gleich harscher Weise Kritik an MRRs Gespür für Dramaturgie üben wollen. Mit zunehmender Länge spülte MRR seine „Brandrede“ so weich, dass er am Ende einem Tiger glich, der seine Zahnprothese wieder ins Wasserglas plumpsen lässt! Jetzt war er auf einmal mit dem Laudator, Herrn Thomas Gottschalk (TM), per Du. Hossa! Eine Sendung zu diesem Anlass sollte es auch geben! Prima!

Gestern war also dieser „große Tag“. Ich will's gleich vorweg nehmen: Unterhaltsam war daran wenig. TM wies auf den Erfolgsdruck hin, dass „die Zuschauer“ bestimmte Dinge sehen wollen und bei intellektuellem Programm, welches er selbst auch gerne sieht, abschalten. O-Ton: Die Zuschauer wollen halt auch unterhalten werden. MRR konterte mit Shakespeare und Schiller, die ja auch Pro-Unterhaltung gewesen wären. Was MRR aber heute im TV erlebt, das war schreckliches Zeug. Und das, was er bei der Preisverleihung hatte durchmachen müssen, das wäre Blödsinn gewesen: Das muss nicht gezeigt werden.

So ging das faktisch die ganze Zeit. Hin und her. Unterhaltsam war das nicht. Eher sogar erschreckend!

Erschreckend zum Einen, wie TM sich immer mit dem Erfolgsdruck rechtfertigte. Wer, bitteschön, macht denn den Erfolgsdruck? Für das ÖR zahlen wir Gebühren, die ÖR haben also nicht den Druck, dem die Privaten ausgesetzt sind – zumindest, was Werbeeinnahmen betrifft. Warum soll es denn nicht möglich sein, mal mit etwas mehr Mut ein paar mehr und eigene Formate zu entwickeln? Wer bestimmt überhaupt darüber, was „erfolgreich“ ist und was nicht? Die Zahl der Zuschauer bei TMs Wett-Sendung ist doch sicher anders zu bewerten als die einer Opern-Übertragung auf 3Sat! So gesehen, kann ich der Kritik von MRR durchaus etwas abgewinnen. Denn, wenn ich mir ansehe, was für Sendeformate bisher liefen, dann rekrutiert sich doch zumindest ein Teil aus einem medialen Nachahmerverhalten.

Ganz, ganz, ganz schrecklich – zum Zweiten –, welch arrogantes Übermenschentum in der Sendung zelebriert wurde. Der Vorwurf von TM, dass MRR mit seinen Ansprüchen eine elitäre Intellektuellen-Schicht vertritt, mag ja richtig sein, aber DAS dann mit dem Argument zu unterfüttern, dass eine Reihe von Zuschauern gar nicht in der Lage ist, das zu verstehen, das ist schon sehr fragwürdig. Schon mal auf die Idee gekommen, dass es Leute gibt, die das auch gar nicht sehen WOLLEN? Jaja, ich weiß: Hier hat TM dann auf das Thema Unterhaltung umgeschwenkt, in dem etwas Ähnliches anklang. Aber trotzdem stand die Aussage im Raum, dass manche Zuschauer dem intellektuellen Zeug gar nicht folgen können. Und das ist stark diskriminierend, weil es die typischen Klischees vom Unterschichtlertum bedient. Wer bitteschön sagt denn, dass eine normale Kassiererin, ein Gebäudereiniger, eine KFZ-Schlosserin oder ein Koch z.B. dem Woyzeck von Büchner nicht auch etwas abgewinnen können? Ich komme z.B. aus einem typischen „Arbeiterhaushalt“ und da wurde schon Wert drauf gelegt, das ein oder andere „Kulturelle“ mitzubekommen. Nach TM werde ich dann aber gleich völlig abgeschrieben und darf mich mit seichter Unterhaltung (aka „Müll“) vergnügen. Womöglich steht mir das Abitur gar nicht zu. Und mein Diplom noch viel weniger!

Als ob das nicht schon reichen würde, setzte MRR dem noch eins drauf, indem er von „primitiven Menschen“ sprach. Ähm, hallo? Hat dem jemand etwas ins Wasserglas getan? Das ist doch ein Vokabular, welches ich eher aus einer ganz, ganz anderen Ecke vermutet hätte. Solch eine Begrifflichkeit von einem, der doch ein gewisses Alter besitzt und bestimmte historische Momente, vor allem der deutschen Geschichte, erlebt hat? Aber gut, wer munter auf die Fäkalien schlägt, darf sich nicht über den braunen Anstrich wundern. Da hätte MRR auch gleich vom „Untermenschen“ sprechen können. Klingt ja fast schon so ähnlich wie „Unterschicht“ und es wäre ehrlicher gewesen. Schließlich meinen beide Begriffe den „niederen Menschen“.

Nach Heitmeyer ist es nicht wirklich verwunderlich, dass es eine menschenfeindliche Tendenz auch hinsichtlich des sozialen Status gibt. Davon bleiben natürlich auch „intellektuelle Kreise“ nicht verschont. Aber das dies mit einer Selbstverständlichkeit und Einvernehmlichkeit im ÖR Fernsehen zelebriert wird, das liegt unterhalb meiner Geschmacksgrenze. So berechtigt die Kritik von MRR war, so emsig hat er sich damit selbst disqualifiziert. Wer meint, in ihm einen wahren Fürsprecher für bessere TV-Qualität gefunden zu haben, setzt auf das falsche Pferd: Auf einen voreingenommenen, menschenfeindlichen Typen! Das Gleiche gilt für TM, denn natürlich waren auch seine Argumente zumindest nachvollziehbar. Aber auch der lies durchaus die Tendenz einer sozialen Abwertung durchleuchten. Just darin liegt m.E. die „wahre“ Kritik am ÖR Fersehen: Dass offenbar die „elitären“ Kreise unserer Gesellschaft ganz ungeniert - dazu noch in aller Öffentlichkeit - die Menschen in „primitiv“ und „intellektuell“ einteilen und ihnen nach dieser Schablone ein TV-Angebot zurechtschustern.

Im Grunde ist dies auch nur eine Bevormundung – eine ziemlich menschenfeindliche noch dazu!!! Ich persönlich empfinde sie als in Höchstem Maße beleidigend!

Link
“Der vegetarische Metzger“, Kommentar von Christian Kortmann in der Süddeutschen.

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