Sonntag, 21. Oktober 2012

Zornigst in den Herbst

Mittlerweile sollte mensch die Nachrichten tunlichst vermeiden, sonst hebt sich der Blutdruck in ungeahnte Höhen.

Ich sage nur „Fachkräftemangel“. Da schreibt die Zeit „richtig“, dass es trotz vorgeblichen Fachkräftemangels Arbeitslosigkeit gibt – auch bei Ingenieuren. Aber dann kommt sie mit einer Erklärung um die Ecke, die einen aber sowas von selten dämlichen Vergleich enthält:
„»Mismatch« nennen Ökonomen dieses Nichtzusammenpassen von Angebot und Nachfrage. Es ist ein bisschen wie früher im Sportunterricht: Schüler gibt es genug, aber wenn die Fußballmannschaft gewählt wird, bleiben immer welche auf der Bank, die Dicken, die Unsportlichen, die Unbeliebten. Die, die vielleicht vieles sehr gut können, aber eben nicht Fußballspielen.
Es gibt zwei Möglichkeiten, mit dem Mismatch umzugehen: Man kann die Unsportlichen trainieren, so lange, bis sie gute Fußballer sind. Oder man lässt sie sitzen und holt sich gute Spieler aus der Nachbarklasse“ (Quelle: Zeit).

Gut, der Artikel lässt dann noch kritische Töne anklingen. Aber trotzdem der Vergleich: Geht‘s noch? Sind jetzt die 20.000 Ingenieure, die laut Zeit in Deutschland derzeit arbeitslos sind, „dick“ und „unsportlich“? Das hat schon was vom „Wohlstandsmüll“ eines Herrn Maucher, was völlig zu Recht 1997 zum Unwort des Jahres gewählt wurde.

Am Ende dann wieder die endlose Geschichte von der niedrigen Arbeitslosenquote unter Akademikern:

„Dass Ingenieurstudenten wie Dana Sommerfeld nach dem Studium vielleicht vor einem Loch stehen, das sehr viel kleiner ist als in der Zeitung steht. Statt des F-Worts würde dann das A-Wort drohen: die Arbeitslosigkeit. Beiden Wörtern wohnt eine Wucht inne, mit der sich Panik machen lässt. Zu Unrecht, zumindest, was Akademiker betrifft. Deren Arbeitslosenquote liegt konstant bei etwa vier Prozent – seit mehr als 50 Jahren“ (Quelle: Zeit).

Gut, auch in der FAZ war zu lesen, dass die Arbeitslosenquote bei AkademikerInnen zwischen zwei und drei Prozent liege. Aber irgendwie deckt sich das nicht mit meinen Erfahrungen. Einer meiner Bekannten erzählte mir kürzlich, dass er sich für eine Koordinatoren-Stelle an einer Uni bewarb. Ich vermute, es war eine dieser Stellen, die im Rahmen des Qualitätspaktes für Lehre geschaffen werden. Jedenfalls war er einer von 400 bis 500 BewerberInnen. Wenn die Lage auf dem Arbeitsmarkt wirklich sooooo rosig ausschaut, frage ich mich, wie es zu solchen Zahlen kommen kann.

Hinzu tritt, dass wenig bis gar nicht über die Zustände an den Universitäten berichtet wird. Mir ist kürzlich ein Beitrag über einen Physiker und Astronomen über den Weg gelaufen, der zwar etwas älter ist, aber der aber eine Situation beschreibt, die m. E. heute immer noch an den Universitäten anzutreffen ist. Und wer Augen hat, zum Lesen, der oder die wird sich wundern, was zumindest in der Wissenschaft alles an Stellen angeboten wird: Befristungen, so weit das Auge reicht. Viel zu häufig auch noch gestückelt, was das Zeug hält: 1/2- oder 3/4-Stellen sind längst keine Seltenheit mehr. Mache das mal jemand in einer Großstadt wie München, Düsseldorf oder Hamburg. Viel Spaß! Von dem ganzen anderen Mist, der z. B. an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig läuft, ganz zu schweigen (siehe student!, dort vor allem im Kommentarbereich).

Aber gut, ein anderes Thema, bei dem sich die Faust in der Tasche ballt. Als ob ich es nicht schon vor Wochen geahnt hätte, jetzt haben die Deppen der SPD den Steinbrück wirklich zum Kanzlerkandidaten gemacht (siehe Albrecht Müller im Freitag).

Liebe SPD, hat Euch jemand die letzten verbliebenen Krümel Hirn durch seine Exkremente substituiert?!

Meine Fresse, wie dämlich muss mensch sein. Die große Koalition ist damit schon beschlossene Sache. Also ab nächstem Jahr weitere vier Jahre Stillstand bzw. eine schädliche Politik für Europa und Deutschland. Kurz: Zögerliche Umsetzung von Richtlinien zur Transparenz, Zögerlichkeit in der Einführung einer Finanztransaktionssteuer und weiterer Finanzmarktregulierungen, eine weitere Einkommensspreizung und Hofierung des Kapitals etc.

Ist sonst noch etwas passiert? Ja, der Verein für Socialpolitik hat sich einen Ethik-Kodex gegeben. Was, der Verein für Socialpolitik (VfS) ist nicht bekannt? Dann gut, als Kurzfassung: Das ist DIE Vereinigung im Bereich der deutschen Volkswirtschaftslehre. Da ist alles drin, was Rang und Namen hat, der Rürup, Wolfgang Franz usw. Jetzt haben die sich also auf ihrer Jahrestagung in Göttingen einen Ethik-Kodex gegeben.

Klingt gut, ist es irgendwie auch. Naja, besser als nüscht, wird mensch sagen. Denn erstens kommt der Kodex - gelinde gesagt - reichlich spät – JournalistInnen, SoziologInnen, PolitikwissenschaftlerInnen usw. haben das schon längst und außerdem gibt noch allgemeine Vorschriften zur wissenschaftlichen Arbeit von der DFG.

Zweitens haben die Damen und Herren auch reichlich lange gebraucht: Angeblich soll laut eigenen Angaben schon seit 2010 eine Kommission damit beauftragt gewesen sein. Und drittens ist das Ergebnis für die zwei Jahre Arbeit mehr als nur dürftig: Lauter Selbstverständlichkeiten, dehnbare Begrifflichkeiten, nichts wirklich Konkretes, keine Sanktionen und letztlich geht der Kodex offenbar auch an Kräfteverhältnissen der Hochschulen vorbei (siehe Kritik hier).

Interessanterweise gab‘s zur gleichen Zeit, in der der VfS seine Jahrestagung abhielt, eine Ergänzungsveranstaltung, auf der u. a. der Ethik-Kodex des VfS diskutiert wurde. Die gesamte Tagung wurde dokumentiert und die entsprechenden Vorträge lassen sich auf den Seiten der Real World Economics als Video (z. T. auch nur als Audio-Mitschnitt) abrufen. Ich selbst finde auch nicht an allen Beiträgen Gefallen, aber eine Reihe interessanter Vorträge sind dort schon vorzufinden, u. a. der von Michael Kumhof, der beim Internationalen Währungsfond tätig ist und in letzter Zeit mit der Vollgeldidee in den Medien war; auch Jens Berger, der Spiegelfechter von den NachDenkSeiten, ist dort mit einen interessanten Vortrag über Island zu erleben; tja und Max Otte ist allein schon ob seiner Star Wars-Anleihen recht lustig anzusehen.

Allerdings genoss diese Veranstaltung wenig öffentliche Aufmerksamkeit. Es war zwar ein cleverer Coup, dort Oskar Lafontaine auftreten zu lassen (während Gerhard Schröder vor dem VfS sprach), doch letztlich blieben die Medien eher an diesem Polit-Ereignis haften, statt sich mit den Inhalten der Ergänzungsveranstaltung auseinanderzusetzen. Aber so ist das immer.

Sonst noch etwas? Wie wär‘s mit Anne Will: Am 17.10.2012 gab‘s eine Sendung zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Was mir zunächst erst einmal negativ auffiel, das war der suggestive Unterton, der letztlich für eine Verlängerung des Bundeswehreinsatzes plädierte. Irgendwie schien das auch auf Linie mit Herrn Thomas de Maizière zu sein, der sehr stark danach klang, für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan etwas mehr Zeit einzukalkulieren, sprich – die Bundeswehr soll dort länger vor Ort bleiben, was aber unter einer Reihe von Schönfärbebegriffen verdeckt wird (so zumindest die Lesart von Florian Rötzer auf Telepolis). Was hier empört, ist, dass jene, die von Anfang an gegen den Einsatz war und diesen auch weiterhin nicht gutheißt, wieder einmal übergangen und in der Sendung als realitätsferne Fundis dargestellt wurden.

Das zweite, was mich allerdings noch mehr aufregt, das ist dieser de Maizière: Wie kann mensch diesen Vollpfosten überhaupt noch als seriösen Talkgast einladen, nachdem er es nur als „unsensibel“ bezeichnete, den NSU-Untersuchungsausschuss nicht darüber in Kenntnis gesetzt zu haben, dass er vom Kontakt des MAD zu einem der NSU-Mitglieder wusste (SZ, Tagesspiegel und ZEIT). Mit dem verschleppen von Informationen hat Herr de Maizière offenbar Erfahrung (SZ, siehe auch Plutokraten). Also Hallo? Wäre das nicht mal ein Grund für einen Rücktritt oder gar für kritische Fragen? Hallo, investigativer Journalismus, wo bist du? Stattdessen also die nette Wohlfühlecke, mit Plüschfaktor, die aus einem Stachelschwein das nette Meerschweinchen von nebenan werden lässt. Also wenn schon nicht vernebeln, dann wenigstens mit Wattebällchen so zupflastern, dass nichts mehr erkennbar ist.

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