Samstag, 19. Februar 2011

Googleberggate

In den letzten Tagen ist ja schon viel um Herrn Googleberg Guttenbergs Dissertation geschrieben worden. Fast stündlich gibt es neue Hinweise. Federführend sind hier vor allem die Frankfurter Rundschau und die Süddeutsche Zeitung:


Wurden die anfangs acht Textstellen in der Dissertation noch als harmloses Versehen heruntergespielt, traten im weiteren Verlauf eine Reihe weiterer nicht angezeigter Übernahmen von anderer Werke ans Licht. Die SZ (18.02.2011) berichtete z.B. von 19 Autorinnen und Autoren, die nicht korrekt referenziert sind. Besonders dreist darf hier natürlich das fast wortgleiche Abschreiben in der Einleitung der Dissertation gewertet werden: Dort wurden offenbar Textteile ohne Kenntlichmachung übernommen (SZ vom 17.02.2011).

Für eine akribische Erhellung sorgt die im Internet organisierte "kollaborative Dokumentation" zu den Plagiaten: das sogenannte GuttenPlag Wiki. Mittlerweile sind dort über 200 kritische Textstellen gelistet:



Bisher möchte Guttenberg wegen dieser Plagiat-Vorwürfe nicht zurücktreten, sondern lässt zunächst erst einmal seinen Doktortitel ruhen (FAZ vom 18.02.2011). Für Empörung sorgte vor allem, dass Guttenberg am Freitag den 18.02.2011 nur ausgewählten Journalisten eine Erklärung zu den Vorwürfen gab. Der Vorgang findet sich u.a. im Fokus beschrieben, wo es u.a. auch hieß:
Einen ähnlichen Eklat hat es in der über 60-jährigen Geschichte der Bundespressekonferenz noch nicht gegeben. Aus lauter Ärger über das Verhalten von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) verließen mehrere Dutzend Hauptstadtkorrespondenten am Freitag unter Protest die Regierungspressekonferenz. Zurück blieben die verdutzten Sprecher von Kanzleramt und Ministerien.

Obwohl sich Guttenberg für sein Verhalten entschuldigte, lag Bettina Gauss von der taz sicher nicht ganz falsch, als sie ihm - ob seines Verhaltens - einen deutlichen Realitätsverlust attestierte und fragte: "Wer schützt Guttenberg vor sich selbst - und wer schützt die Bundeswehr vor einem wie ihm?".

Auch in der Blogger-Szene wird der Fall Guttenberg kommentiert. Eine kurze wie präzise Kritik lieferte z.B. Joséphine Glenz vom Dossier (17.02.2011). Angesichts der (wachsenden) Zahl an kritisierbaren Textstellen in der Arbeit von Guttenberg ließe sich nicht mehr einfach von einem Versehen ausgehen. Außerdem erinnerte sie daran, dass Guttenberg schon öfters falsche Behauptungen in die Welt streute. Der jetzige Fall runde das Bild des Lügenbarons nur ab.



Verschiedene Kommentare finden sich ebenso in den täglichen Hinweisen der NachDenkSeiten vom 18.02.2011. Albrecht Müller machte auf der gleichen Seite - bereits am 17.02.2011 - darauf aufmerksam, dass der Fall Guttenberg ganz allgemein für den mangelnden Anstand der Konservativen steht:
Zu Guttenberg hat abgeschrieben oder abschreiben lassen, er hat das geistige Eigentum Dritter übernommen, ohne die Quelle zu nennen, er hat es geklaut. Das soll einem Konservativen einschließlich der als liberal gedachten Justizministerin nicht reichen?

Die Konservativen, genauer diese Konservativen, haben keinen Anstand. Insofern ist dieser Vorgang wieder eine Lehrstunde. Wie so oft schon in der deutschen Geschichte. Sie haben mit Hitler paktiert. Sie haben die Machtergreifung Pinochets und die Ermordung Allendes gefeiert. Sie haben Mubarak in Ägypten gestützt und tun dies bei einer Serie von anderen Diktatoren. Bei ihren Gesinnungsgenossen sind sie großzügig. – Auch im kleinen: so lassen sie zu Guttenberg durchgehen, dass er jetzt schon wieder flieht.
Mit der Kritik von Müller ist breits angesprochen, dass die Plagiat-Vorwürfe natürlich an der Glaubwürdigkeit des Verteidigungsministers Guttenberg nagen. Kritiker(innen) mögen hier einwenden, dass bisher jeder Vorwurf an dem teflongestählten Minister abprallte. Seiner Beliebtheit schien das nicht viel auszumachen. Dagegen wird von anderer Seite in Stellung gebracht, dass sich Guttenberg in diesem Fall nicht mehr hinter anderen verstecken könne: Jetzt müsse er die Verantwortung schon selber tragen.

Insofern sollte mensch davon ausgehen können, dass die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in Guttenberg nachhaltig erschüttert ist. Die Zahl der kritischen Textstellen in seiner Dissertation lässt jedenfalls jeglichen Versuch, das als Bagatelle herunterzuspielen, unglaubwürdig wirken.

Als Minister ist Guttenberg damit nicht tragbar. Für die CDU/CSU birgt das ein besonderes Problem, weil das Absägen dieses Ministers womöglich das Ansehen der gesamten Regierung und mithin der Partei(en) schädigt. Sie befindet sich da aber wirklich in einer Zwickmühle: Sie kann Guttenberg weder fallen lassen, noch behalten, ohne dass es einen Ansehensverlust gibt. Gleichwohl sei eingeräumt, dass der Posten des Verteidigungsministers ohnehin der "schwarze Peter" war und Guttenberg offenbar aus parteiinternen Strategieüberlegungen dieser Posten zugeschanzt wurde: Guttenberg hat ja sicher nicht überall Freunde. Dazu sei nur mal an die Diskussion um "Guttenberg kann Kanzler" erinnert. Damit hätten sich Guttenbergs Widersacher(innen) also durchaus des Risikos eines größeren Glaubwürdigkeitsverlustes bewusst sein müssen.

Allerdings liegt der Fall jetzt etwas problematischer: Es könnte durchaus ein Imageverlust für die Politik im Allgemeinen befürchtet werden. Denn nun geraten mehr oder minder die Doktorentitel bekannter Politiker(innen) ins Fadenkreuz. Wenn schon nicht so akribisch wie bei Guttenberg, so dennoch mit merklich erhöhtem Interesse stehen Personen wie Dr. Helmut Kohl, Dr. Guido Westerwelle oder Dr. Kristina Schröder in der Schusslinie der medialen Aufmerksamkeit (z.B. SZ und Stern). Dabei durfte vor allem Frau Schröder sicher recht froh gewesen sein, dass etwas Gras über die Diskussion ihrer Dissertation gewachsen war. Wie weit solch ein Imageschaden tatsächlich gehen mag und wie lange er dann anhält, das muss sich noch zeigen. Doch dürfte klar sein, dass sich mit einem "Dr." im Moment kein Blumentopf gewinnen lässt. Das gilt für Politiker(innen). Aber sicher wohl auch allgemein für Wissenschaftler(innen).

Damit wird eine andere - sicher ebenso wichtige - Dimension angesprochen, die in der aktuellen Debatte um den Fall Guttenberg leider aus dem Blick zu geraten droht. Denn was beudet dieser Vorgang für die deutschen Hochschulen und die Abschlüsse, die dort erworben werden können?

Der normale Mensch von der Straße muss doch angesichts dieser Vorgänge den Eindruck haben, dass einem die Dissertation regelrecht hinterhergeschmissen wird. Das wird verstärkt, wenn einzelne Medien in Dissertationen vom Typ-I (wirkliches Interesse) und Typ-II (Titel, Geld) unterscheiden: Es wird der Eindruck erweckt, dass es da Doktortitel gibt, die irgendwie recht einfach zu erhalten sind. Wir wisse schon genau, von welchem Typ der Dr., der gerade vor einem steht, ist?

Dieses ganze Bohei um solche Typ-II-Dissertationen wäre noch zu tolerieren, wenn das wirkliche Forscherinteresse - die Identifikation mit dem Forschungsobjekt - zu einer qualitativ höherwertigen Dissertation führen könnte. Wenn nun aber jemand wie Guttenberg mit "summa cum laude" - dem höchsten Prädikat - abschließt, fragt sich zu Recht, wie eine Arbeit, die sich tatsächlich um die Sache bemüht, genau das noch toppen kann. Wie soll sich ehrliche Wissenschaft vom reinen Geltungsbedürfnis qua Doktortitel unterscheiden? Anders formuliert: Die ehrliche Wissenschaftsarbeit wird durch solche Typ-II-Arbeiten sprichwörtlich entwertet.

Damit sollen keineswegs jene disqualifiert sein, denen es bei ihrer Dissertation hauptsächlich um den Titel geht. Tatsächlich mag dieser ja eine Eintrittskarte für bestimmte Berufe sein. Das geht in Ordnung. Doch wenn ein "summa cum laude" schon durch eine eher mäßige Motivation zur wissenschaftlichen Arbeit zu erreichen ist, dann stimmt etwas mit der Leistungsgerechtigkeit nicht (um mal ganz böse einen neoliberalen Grundsatz heranzuziehen).

Genau damit fällt Herrn Prof. Peter Häberle, dem Doktorvater von Herrn Guttenberg, ein ziemlich schwerer Stein auf die Füße. Dieser bekundete schließlich, dass die Doktorarbeit von Guttenberg "eingehend kontrolliert" worden sei (FAZ vom 16.11.2011). Folglich wäre also alles in Ordnung. Entsprechen groß also das Unverständnis über die Vorwürfe an dieser "erstklassigen" Arbeit von Guttenberg.

Dem gegenüber kam jedoch Andreas Fischer-Lescano, der die ersten kritischen Stellen der Dissertation entdeckte, zu folgendem Schluss:

Das Gesamturteil "summa cum laude" erscheine [...] "mehr als schmeichelhaft". Der heutige Minister "zermürbe" die Leser durch seitenlanges "Politsprech"

Nun mag dieses Urteil anfangs noch als typischer Verriss gegolten haben. Doch im Lichte der weit über 200 kritischen Textstellen, die in den letzten Tagen ans Licht kamen, scheint die Kritik an der Guttenberg-Dissertation Hand und Fuß zu haben.

Was damit so unheilig wie unausgesprochen im Raum schwebt, ist der Eindruck, dass es sich bei der Verleihung des Doktortitels - und vor allem bei dem Prädikat "summa cum laude" - um eine Art Gefälligkeit gehandelt habe. Angesichts der bisher aufgefundenen Fehler fragt sich, wie diese Arbeit überhaupt durchgehen konnte. Genau dieser Umstand dürfte für Herrn Häberle und die Universität Bayreuth - an der Guttenberg promovierte - mehr als peinlich sein.

Doch gleichzeitig wirft dieser Vorfall ebenso seinen Schatten auf die allgemeine Praxis an den Universitäten. Der Fall Guttenberg führt nämlich vor Augen, dass es offenbar nicht nur die wissenschaftlich-intellektuelle Fähigkeit der Promovierenden ist, die zu einem besonders guten Doktortitel führt. Warum sollte das, was wir gerade bei Guttenberg erleben, ein Einzelfall sein?

In diesem Sinne lässt sich die Kritik von Albrecht Müller ergänzen und allgemein nach dem Anstand in der Wissenschaft, Lehre, Politik und Wirtschaft fragen. Die sogenannte Finanzkrise und deren Nachwehen geben genügend Anlass, die Redlichkeit der Wissenschaft in Zweifel zu ziehen. Genau das tat der Evolutionsökonom Geoffrey M. Hodgson in einer Ausgabe des Cambridge Journal of Economics (2009): Dort machte dieser die Verquickung von Wirtschaftswissenschaftlern und Finanzindustrie mitverantwortlich für das Ausblenden etwaiger Finanzrisiken und einer möglichen Kritik am Finanzmarkt, was letztlich die Finanzkrise begünstigte.

Wer die gängigen Suchmaschinen mit den Stichworten "AWD Rürup Riester" und "Raffelhüschen Versicherungsindustrie" oder "Weidmann Weber Asmussen" füttert, wird Beispiele finden, wie offenbar auch in Deutschland das Zusammenspiel von Wirtschaft, wirtschaftlichen Organisationen und Wissenschaft funktioniert.

Der Fall Guttenberg stößt uns somit auf die ernsthafte Frage nach den Kompetenzen unserer "Führungseliten". Denn wenn Leute wie Guttenberg so leichtfertig ihre "summe cum laude" erhalten und dabei auch noch von anerkannten Fachleuten den Rücken gestärkt bekommen, wie verhält es sich dann mit anderen "Fachleuten" in "Führungspositionen"? Wer "regiert" uns eigentlich. Oder in Anlehnung an Bettina Gauss gefragt: Wer schützt uns vor diesen Leuten?

Wie bereits angedeutet, geht davon nicht nur ein Imageschaden für die Politik aus, sondern ebenso für Dissertationen vom Typ-I. Wissenschaftlicher Wettbewerb, wie er uns immer wieder als Leitbild gepredigt wird, verkommt somit zur reinen Worthülse: Mit Wettbewerb haben die Typ-II-Promotionen nicht viel zu tun. Wer im Moment unter den aktuellen Bedingungen an den Universitäten - womöglich noch als "Externer" - promoviert, kann die derzeitige Situation deshalb wohl nur mit Humor nehmen und hoffen, dass sich ehrliche Arbeit doch irgendwie durchsetzen wird. In dem Sinne hoffe ich, dass Albrecht Müller die Flasche Rotwein verliert, die er dagegen setzte, dass Guttenberg seinen Doktortitel behalten darf.

1 Kommentar:

Michael K hat gesagt…

Es gibt ja regelmäßig Fälle von unrechtmäßig geführten Titeln in der Politik. Mit fallen jetzt nur welche von der CDU ein und immer höchstens auf Landesebene. Da vergisst sich sowas schnell.
Pauschal kann man ja sagen, dass es normal ist wenn Politiker schummeln; anderen Parteien, Ausschüssen, dem Wähler gegenüber. Im kleinen Ausmaß ist es wohl auch nötig. Die Grenze ist aber erreicht wenn man in einer nicht verplichtenden wissenschaftlichen Arbeit abschreibt. Das ist einfach ein anderer Maßstab weil man da niemanden der Taktik wegen täuschen muss! Das ist dann ganz Eigenleistung und bewusster Wille.