Montag, 21. Februar 2011

Das Existenzminimum auf dem Grabbeltisch

Offenbar ist es nun in Sack und Tüten: Rückwirkend zum 01.01.2011 wird der (Eck-) Regelsatz für das Arbeitslosengeld II (Hartz IV) um fünf Euro erhöht; ab 2012 gibt es dann noch einmal drei Euro mehr (8 Euro), wobei dieser Betrag noch an die Inflation und Lohnentwicklung angepasst werden soll (Stern und Handelsblatt).

Für das "Bildungspaket" sollen ebenfalls in der Summe mehr Mittel zur Verfügung stehen. Und sowohl in der Wach-, Weiterbildungs- und Leiharbeitsbranche soll es allgemein verbindliche Mindestlöhne geben.

Letzteres erscheint mir ehrlich gesagt wie Flickschusterei, die allein dem Umstand geschuldet ist, dass sich die SPD wieder ein wenig "sozialer" geben kann.

Dass diese Mindeslohnregelungen so kleinherzig ausfallen, passt aber ganz gut ins aktuelle Bild: In Hamburg wird ein Olaf Scholz ob seines Wahlergebnisses als Eroberer (FR) gefeiert, im Kern handelt es sich bei ihm aber um jemanden, der geistig nicht weit vom Kurs der Agenda 2010 abweicht und deutliche Schnittmengen mit konservativen "Sicherheitsrambos" aufweist.

Im Grunde sagt es ziemlich viel über die (sozial-) politischen Zustände im Lande aus, wenn so ein sozialpolitischer Analphabet wie Scholz als Rettung der Sozialdemokratie gefeiert wird. Wie sprichwörtlich arm müssen wir in Deutschland dran sein, dass uns sogar solch ein Vollpfosten als "sozial" erscheint?

Damit lässt sich wieder die Brücke zurück zur Hartz-Verhandlung schlagen: Bei den jetzt ausgehandelten Ergebnissen hat sich niemand wirklich einen Zacken aus der Krone gebrochen. Die politischen Verliererinnen sind Schwesig (SPD) und von der Leyen (CDU), weil sie sich im politischen Geschacher schlicht verzockt hatten. Gewonnen haben die Ministerpräsidenten Seehofer (CSU), Böhmer (CDU) und Beck (SPD). So sieht es zumindest ein Großteil der Medien (z.B. Spiegel Online, Frankfurter Rundschau und die ZEIT).

Die wahren Verlierer(innen) sind jedoch die sozial Bedürftigen. Es gebiert sich geradezu als Frechheit, was ihnen als Neuregelung der Hartz-Gesetze vorgelegt wurde. Nicht nur, dass die zunächst ermittelten Regelsätze offenbar schon vorher feststanden - diese wurden nämlich bereits 2008 vom Bundesfinanzministerium im "Existenzminimumsbericht" errechnet (siehe die Kritik vom paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin). Nein, die Berechnung selbst scheint wieder einmal willkürlich und intransparent zu sein: Das fängt bei der Wahl der Referenzgruppen für die Ermittlung der Regelsätze an und reicht wieder bis zur Ermittlung der Regelsätze für Kinder.

Allein das genügt, um die "Verfassungsmäßigkeit" der neuen Regelsätze in Zweifel zu ziehen. So auch die Kritik des Sozialrichters Jürgen Borchert, des Armutsforschers Christoph Butterwegge und vom Paritätischen Wohlfartsverband (21.02.2011). Genau das war es wohl auch, was Bündnis 90/Die Grünen dazu veranlasste, aus den Gesprächen auszusteigen:
Fraktionschefin Renate Künast äußerte „erhebliche Zweifel“ an der Verfassungsmäßigkeit der neu berechneten Regelsätze. Sie verwies auf eine frühere Forderung von SPD und Grünen, sogenannte Aufstocker, die ihr Gehalt mit Hartz IV aufbessern müssen, aus der Berechnung des Regelsatzes herauszunehmen. Das hätte einen weiteren Anstieg der Sätze zur Folge. Diese Bemühung sei jedoch gescheitert.
Diese Mängel werden allerdings noch davon übertroffen, dass den Hilfsbedürftigen zunächst eine Erhöhung von fünf Euro zugebilligt wird, die dann 2012 auf acht Euro steigen soll.

Jetzt könnte jemand natürlich auf die Idee kommen, dass die drei Euro u.a. die Lohn- und Inflationsentwicklung im Jahre 2012 ausgleichen sollen. Wenn es aber stimmt, was der Stern und das Handelsblatt vom 21.02.2011 schreiben, dann werden die Regelsätze im Jahr 2012 zusätzlich zu den drei Euro noch um die Lohn- und Inflationsentwicklung angepasst. Die Regelsätze steigen dann also um drei Euro plus X.

Das mag im ersten Moment nicht all zu negativ klingen. Unter dem Strich führt das aber zu der unterirdischen Situation, dass das soziokulturelle Existenzminimum im Jahre 2011 um drei Euro niedriger liegen soll als 2012. Aber warum? Außerdem ist das soziokulturelle Existenzminimum ein Minimum: Darunter geht nichts mehr!

Folglich sind die drei Euro Erhöhung in 2012 das Ergebnis eines politischen Kuhhandels. Das zeigt, dass das Existenzminimum der Bedürftigen gar nicht im Zentrum der Verhandlungen stand. Deutlicher lässt sich gegen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes gar nicht verstoßen. Mag es auch positiv sein, den Bedürftigen 2012 mehr Geld zur Verfügung zu stellen, so fußt dieser Betrag wieder einmal auf einer intransparenten Willkürlichkeit.

Unter dem Strich ist das schon deshalb eine Sauerei, weil damit die eigentlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes ignoriert wurden. Darüber hinaus sind die Betroffenen, sofern die ausgehandelten Vorschläge in eine Gesetzesform gebracht werden, ganz real damit konfrontiert und müssen, falls es wieder vor dem Bundesverfassungsgericht landet, auf ein entsprechendes Urteil warten. Zur Erinnerung: Das letzte Urteil dazu wurde im Februar 2010 gesprochen - fünf (!) Jahre nach Inkrafttreten von Hartz IV.

Kurz: Den Hartz-Parteien ist ihre sozialpolitische Bodenhaftung sprichwörtlich abhandengekommen. Im so provozierten Rechtsstreit um das soziokulturelle Existenzminimum lassen sie die Bedürftigen an langer Hand verrecken. Auch, wenn die sPD äußert, nicht vollends befreit von allen Zweifeln an der Verfassungsgemäßheit der Neuregelungen zu sein, so war sie hier dennoch wieder mit von der Partie.

Links
"Hartz IV: Insgesamt acht Euro mehr" (FR)
"Erst fünf, dann acht Euro mehr" (SZ)
"8 Euro mehr erst 2012"(Stern)
"Einigung auf Hartz-Gesamtpaket" (Handelsblatt)

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