Dienstag, 13. Oktober 2009

Arbo über: Die Sarrazinierung der Gesellschaft

Eigentlich dachte ich, mich nicht mehr groß zum Thema "Sarrazin" äußern zu müssen. Im vorherigen Eintrag hatte ich ja bereits auf lesenswerte Beiträge hingewiesen. Allerdings beschleicht mich das Gefühl, dass noch gewisse inhaltliche Unschärfen existieren, die meiner Meinung nach noch etwas stärker zu benennen sind. Bewusst wurde mir das, als ich in "Teile und herrsche" vom Spiegelfechter las:

"Sarrazins Philippika wäre nie von der Mehrheit der Bevölkerung begrüßt worden, wenn sich die Gesellschaft nicht bereits seit Jahrzehnten vor einer sachlich geführten Einwanderungsdiskussion drücken würde. Natürlich ist der rosarote Traum einer multikulturellen Gesellschaft gescheitert, natürlich gibt es vor allem bei Türken und Arabern ein massives Integrationsproblem, natürlich muss man darüber nachdenken und offen diskutieren, an welche Voraussetzungen eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland geknüpft sein soll. Dies anzusprechen mag politisch unkorrekt sein, die Augen vor diesen Problemen zu verschließen, ist jedoch grundsätzlich falsch – mit Denkblockaden hat man noch nie Probleme lösen können". Quelle: "Teile und herrsche" (Spiegelfechter).


Natürlich ist dem Spiegelfechter Jens Berger zuzustimmen, wenn er in einem Kommentar (#15, unter dem Artikel) auf linke Beißreflexe im Umgang mit dem Thema "Integration" hinwies. Andererseits scheint mir die obige Textstelle doch etwas zu schnell über ein Problem hinwegzugehen, das für einen Moment zum Innehalten anregen sollte.

Ich erinnere dazu an die Forschungsergebnisse jener Leipziger Wissenschaftler|innen, die im Auftrag der Friedrich Ebert Stiftung rechtsextreme Einstellungen untersuchten und deren allgemeine Verbreitung feststellten ("Blick in die Mitte" und "Vom Rand zur Mitte"). Alternativ ist hier natürlich auch Wilhelm Heitmeyer mit seiner - aus meiner Sicht ganz passenden - Begrifflichkeit der "gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" zu nennen. Wer sich Sarrazins Äußerungen im "Gesamtpaket" auf der Zunge zergehen lässt, wird nämlich mehr oder weniger genau diesen fauligen Geschmack der Menschenfeindlichkeit im Gaumen tragen.

Nun gut, das ist mehr oder minder bekannt und tritt natürlich auch in den entsprechenden Beiträgen der kritischen Bloggerszene (sowie in den jeweiligen Kommentaren) zu Tage. Was mir allerdings etwas unter geht und weshalb ich hier dennoch einen Beitrag zu diesem Thema verfasse: Diese Menschenfeindlichkeiten können durchaus als allgemeine Alltagserfahrungen gelten!

Dazu braucht mensch nur mal in seinen "normalen" Verwandten-, Bekannten- oder Arbeitskreis zu schauen. Ich selbst habe es schon erlebt, dass von "Kümmeltürken" die Rede war. Wenn es um einen Umzug geht, will mensch natürlich nicht in Stadtviertel ziehen, wo "die Kopftuchträger" und das ganze "Gehoddsche" hausen. Als ich den näheren Osten erkunden wollte, sah ich mich ebenfalls mit sozialen Werturteilen konfrontiert: Was willst Du denn dort? Ist das denn sicher? Lass Dich bloß nicht von den 'Terroristen' da wegschnappen!

Dann gibt es natürlich jene, bei denen ein Strickpullover oder das Tragen von Dreadlocks ausreicht, um Kommentare über "alternative Schlampen" loszutreten. Oder aber das fröhlich-losgelöste Beieinander ausländischer Gäste wird zum Anlass genommen, darüber zu lästern, dass die u.U. vom deutschen Steuerzahler alimentiert werden. Denn wenn mensch es sich genau überlegt, bekommen die doch hier vom deutschen Staat mehr als von ihrer Heimat. Der Deutsche bleibt dabei natürlich völlig auf der Strecke. Solle doch das Heimatland für die sorgen! Das alles selbstverständlich nur hinter vorgehaltener Hand.

Oder nehmen wir eine Person, die sich als Veganerin bezeichnet und über die (arbeitslosen) Asis lästert, die in ihrem Innenhof tagtäglich einfach nur da sind und am Spielplatz rumhängen. Dabei wird auch gerne mal das Metzgersche Argument der Kohlenhydrate bemüht. Arbeitslosigkeit und Fettleibigkeit passt halt gut zusammen. Fett und Fleischkonsum. Meine Güte, mit der eigenen gesunden Ernährung ist ein streng vegetarisch lebender Mensch natürlich viel besser als die. Ob so eine gesunde Ernährung vielleicht auch von Einkommen, Lebenssituation usw. abhängt, auf die Idee kommt mensch nicht. Und überhaupt: Es ist ja gar nicht vorgesehen, dass sich alle "gesund" ernähren. Es muss halt immer welche geben, die kraft falscher Lebenseinstellungen "wegsterben". Das ist doch natürlich. Als streng vegetarisch lebende Person braucht das einen aber nicht zu kümmern: Schließlich ernährt mensch selbst sich gesund!

Tja, Hauptsache mensch hat jemanden, über den sich die eigene Lebensweise legitimieren lässt. Widersprüche und vor allem sozialdarwinistische Argumente, die faktisch schon braunes Gedankengut darstellen, interessieren da wenig. Mensch ist ja gut ausgebildet. Mensch hat ein Diplom, Master oder Magister. Oder mensch geht hart arbeiten. Nein, mit dumpfen Nazis hat mensch natürlich nichts gemein.

Zum Abschluss vielleicht noch eine persönliche Erfahrung aus dem Assessment-Center einer größeren Bank. Innerhalb eines Rollenspiels (es ging um eine Wohnungsvermietung) erlaubte ich mir nämlich den Spaß, absichtlich fremdenfeindlich zu argumentieren. Im Nachhinein durfte ich mich dann davon überzeugen lassen, dass dies auf rege Zustimmung bei den Bewertenden stieß. Aber gut, ich belasse es mal bei diesen Beispielen.

Ich denke, das genügt, um darzulegen, warum mir Menschenfeindlichkeit ein alltäglich anzutreffendes Phänomen zu sein scheint. Nicht nur innerhalb einer bestimmten "Elite"-Schicht, sondern über alle Schichten hinweg. Und auch nicht nur gegenüber "Ausländern", sondern auch gegenüber anderen Menschen(gruppen). Und genau da liegt das Problem, wenn der Spiegelfechter in seinem Beitrag eine unaufgeregte Diskussion über Integrationsprobleme (jedweder Art) fordert. Er übersieht, dass soziale Probleme wie z.B. bei Hartz IV oder der Integration oft bereits mit einem Vorsatz benannt werden. Klar, da gelten auch "ideologische Schranken". Aber wer z.B. die Sendung "Hart aber Fair" zum Sarrazin-Thema sah, wird sehr schnell gemerkt haben, wohin der Hase z.B. bei der "C"DU-Argumentation läuft, wenn es um Ausländer geht.

Es wird dann aus einem Missstand (mangelnde Integration) ein Strick gedreht, der allen möglichen Argumenten einer (staatlichen) "Vorleistung" die Luft abschnürt. Weil "die Ausländer" zu faul sind, sich zu integrieren, dürfen die auch nichts mehr fordern. Mensch ist sogar "empört" darüber, wie fordernd die entsprechenden Verbände manchmal auftreten. Böse Zungen könnten an dieser Stelle hämisch einwerfen: "Hey, seht doch, wie gut es den Ausländern hier geht! Die haben genug Zeit und Freiraum, hier herumzulammentieren! Sich nicht integrieren wollen, aber Forderungen stellen!".

Wer glaubt, dass dies nur OT ist, sollte sich mal einige Kommentare zur Sozialgerichtbarkeit in Sachen Hartz IV durchlesen. Dort entsteht förmlich der Eindruck, dass es "den Hartzis" viel zu gut geht. Die pro forma gerichtlich klagen. Ein undankbares Pack!

Nicht ohne Grund spricht Heitmeyer bezüglich seiner "gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" über ein "vergiftetes Klima". Das Klima ist (!) vergiftet. Und Leute wie Sarrazin, Metzger, Clement usw. werfen dort auch noch verbale Sprengsätze hinein!

Eine wirkliche Lösung dafür, wie "heikle" Themen angesprochen werden können, ohne dabei die unterschwelligen sozialen Werturteile zu bedienen, habe ich zwar nicht. Ich habe aber die leise Vermutung, dass es womöglich etwas bringt, solche Themen nicht mit politischen "Leistungsträger|inne|n" zu klären, sondern mit den Verantwortlichen und Betroffenen vor Ort. Genau DAS scheint mir eines der größten Mankos zu behebenDass nämlich die Betroffenen i.d.R. nicht angehört werden.

Wie ich gerade merke, wäre zu dem Thema sicher noch etwas mehr zu schreiben. Mir schießen jedenfalls noch einige Gedanken durch den Kopf. Aber ich will die Geduld der Leser|innen|schaft nicht unnötig strapazieren. Dieser Beitrag hat ohnehin schon einen gewissen Umfang erreicht. Deshalb sollen andere Gedanken zu dem Thema anderen Beiträgen vorbehalten bleiben.

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