Dienstag, 8. März 2022

Kritischer Blick auf den Kriegsdiskurs

Bei Jung und Naiv/ Tilo Jung war gerade der Historiker Wolfgang Eichwede zum Thema »Ukraine« im Interview (auf Youtube). Insgesamt sind es um die 3 Stunden. Und ja, mensch muss nicht allem zustimmen und Eichwede versucht schon auch merklich, bestimmte Klippen zu umschiffen und keinem Argument der russischen Administration Futter zu geben. Ehrlich gesagt habe ich auch einen gewissen politischen Bias erwartet, schließlich ist er u. a. mit der Menschenrechtsorganisation Memorial – die im Dezember 2021 durch ein Urteil des obersten Gerichts Russland aufgelöst wurde – verbunden. Nichtsdestotrotz lohnt es sich, hin- und zuzuhören. 


Allerdings gibt es Dinge, die mir negativ auffielen und die ich deshalb nicht unkommentiert lassen möchte. Zunächst: Es mag gerade politisch nicht opportun sein, auch gegenüber ›der‹ Ukraine eine nüchtern, kritische-sachliche Distanz zu wahren. Aber der Punkt ist, dass im Interview fast schon der Eindruck vermittelt wurde, bei der Ukraine handle es sich um das bekannte gallische »Dorf der Unbeugsamen« Aremorica, das »unsere« (Europäischen) Werte verteidige. Dagegen hätte ich mir ein paar kritische Worte gewünscht zu den Oligarchen, die es auch in der Ukraine gibt; oder zu einem Präsidenten, der auch in den Panama-Papers auftaucht; oder eine kritische Einschätzung oder zumindest das Benennen des Dilemmas, dass im Krieg wehrfähigen Männern die Ausreise aus der Ukraine untersagt ist; oder die Ermordung eines Unterhändlers, der zwar als Doppelagent sicher keine rühmliche Rolle innehatte, aber »nach westlichen Werten« dennoch nicht so einfach über den Haufen zu schießen ist. Um nicht missverstanden zu werden: Das rechtfertigt natürlich keineswegs den Überfall Russlands. Nur sollte mensch sich auch nicht der Illusion hingeben, mit wem mensch es auch bezüglich der Ukraine dort auch zu tun hat. Erst recht, wenn die Forderung im Raum steht, die Ukraine in die EU aufzunehmen. Denn nur desillusionierte Zyniker:innen würden hier attestieren, es ginge um unsere »Werte«.

Ärgerlich war auch das Herunterspielen der NATO-Osterweiterung. Mensch muss ja nicht unkritisch die Moskauer Argumentation bezüglich der Nato-Bedrohung, die als Rechtfertigung für den Einmarsch diente, übernehmen. Aber Fakt ist eben auch, dass es diese NATO-Osterweiterung gab, »der Westen« eben auch seine geostrategischen Spielchen spielt und seitens der NATO offenbar über nukleare Abschreckung nachgedacht wurde – und zwar so offen, dass eine ehemalige Verteidigungsministerin im Deutschlandfunk darüber sprechen konnte. Nochmal, das rechtfertigt keinen Überfall auf die Ukraine. Aber es ist eben auch nicht so ohne Weiteres unter den Teppich zu kehren. Im besten Falle bleibt es eben: kompliziert.

Und dazu vielleicht noch eine Sache: Es wird jetzt viel über die Souveränität der Ukraine gesprochen. Das mag heute als gutes Argument erscheinen, um das Reden über »Einflusssphären« seitens Russlands abzuwiegeln und den Einmarsch in die Ukraine erst recht abzulehnen. Wie kommt mensch denn dazu, ›der‹ Ukraine vorschreiben zu wollen, was sie zu tun oder zu lassen hat? Und in der Tat ist ein militärischer Angriff das Extrem der Aberkennung staatlicher Souveränität. Aber wenn mensch von staatlicher Souveränität spricht, sollte mensch vielleicht auch ein paar Worte darüber verlieren, wie viel Souveränität noch bleibt, wenn ausländische ThinkTanks, Stiftungen und Parteien sich in die innenpolitischen Verhältnisse eines Landes einmischen. Mensch denke hier auch an die Unterstützung von Klitschko/ UDAR.

Was mich im Interview aber hauptsächlich geärgert hat, war, wie Eichwede die rechtsextremistischen Tendenzen runterspielte. Nein, mensch muss auch hier nicht die Propaganda aus dem Kreml übernehmen. Und ja, politisch mögen die Rechtsextremen in der Ukraine abgeschlagen sein: Zum Beispiel sank die rechtsextreme Swoboda-Partei in der Wähler:innengunst von 10,4% (2012) auf 4,7% (2014) [Wikipedia]. Das ist auch das, worauf sich Eichwede zurückzieht. Was aber in der Kritik steht, dass ist erstens der – sagen wir mal vorsichtig – zurückhaltende Umgang mit Rechtsextremen, den 2019 Amnesty International kritisierte. Und zweitens sind da noch militante Rechtsextreme, Asow-Regiment usw. Wenn dann Hans Jessen bei Jung und Naiv im Zuschauerfragenteil zum Asow-Regiment auf eine Größenordnung von um die 2.500 Personen hinweist, dann ist das schon eine Hausnummer. Denn es handelt sich dabei um bewaffnete Rechtsextreme. Und Achtung: Das sind die, denen die NATO aktuell Panzerabwehrwaffen gibt (Twitter). Die NATO selbst hatte am Frauentag mit einem Bild geworben, auf dem eine Soldatin mit dem rechtsextremen Symbol der schwarzen Sonne zu sehen ist (Twitter)… mittlerweile ist das gelöscht. Aber auf Twitter gibt es verschiedene weitere Bilder mit der Symbolik. Die Fotostory vom Spiegel wäre hier auch zu erwähnen – wurde wieder aus dem Netz genommen, weil die »Einheit des Kommandeurs [..] einen rechtsnationalistischen Hintergrund« hat.

Das ist natürlich heikel, weil Putin in seiner Rede zum Angriff auf die Ukraine anführte, die Ukraine »entnazifizieren« zu wollen, und mensch ihm da von der Gegenseite jetzt schlecht auch nur einen Schritt Recht gegeben möchte. Und natürlich ist es seitens Moskau überzogen, den Eindruck zu erwecken, da wären überall Neonazis in der Ukraine. Es ist aber eben auch ein erhebliches Problem, so zu tun, als wären das nur ein paar rechte Spinner, so ähnlich wie die AfD, und das hätte alles nichts zu sagen. Nein, im Gegenteil. Wer jetzt Waffen liefert und damit solche Leute versorgt, sorgt auch für ein handfestes Sicherheitsproblem, wenn diese Waffen – zum Beispiel über angeworbene »Widerstandskämpfer:innen« aus den rechtsextremen Milieus außerhalb der Ukraine – in die Hände von Rechtsextremen in zum Beispiel Deutschland gelangen. Es ist ja nicht so, dass Deutschland gar keine Probleme diesbezüglich hätte (Nordkreuz, Hannibal usw.). Aber davon abgesehen: Glaubt wirklich ein Mensch, dass es für eine Nachkriegs-Ukraine eine besonders schlaue Idee ist, gerade solche Gruppierungen weiter im Militär zu haben und diese auch noch mit Waffen zu versorgen?

Nun gut, wer das liest, soll sich nicht entmutigen lassen. Das Interview mit Eichwede ist trotzdem sehenswert.

Zum Schluss noch ein Lektüretipp: Die Kolumne von Thomas Fischer, die zwar sehr lang ist, aber in der fast jeder Satz zum Zitieren einlädt. Leseempfehlung!

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