Bei Jung und Naiv/ Tilo Jung war gerade der Historiker Wolfgang Eichwede zum Thema »Ukraine« im Interview (auf Youtube). Insgesamt sind es um die 3 Stunden. Und ja, mensch muss nicht allem zustimmen und Eichwede versucht schon auch merklich, bestimmte Klippen zu umschiffen und keinem Argument der russischen Administration Futter zu geben. Ehrlich gesagt habe ich auch einen gewissen politischen Bias erwartet, schließlich ist er u. a. mit der Menschenrechtsorganisation Memorial – die im Dezember 2021 durch ein Urteil des obersten Gerichts Russland aufgelöst wurde – verbunden. Nichtsdestotrotz lohnt es sich, hin- und zuzuhören.
Allerdings gibt es Dinge, die
mir negativ auffielen und die ich deshalb nicht unkommentiert lassen möchte. Zunächst:
Es mag gerade politisch nicht opportun sein, auch gegenüber ›der‹ Ukraine eine
nüchtern, kritische-sachliche Distanz zu wahren. Aber der Punkt ist, dass im
Interview fast schon der Eindruck vermittelt wurde, bei der Ukraine handle es
sich um das bekannte gallische »Dorf der Unbeugsamen« Aremorica, das
»unsere« (Europäischen) Werte verteidige. Dagegen hätte ich mir ein paar
kritische Worte gewünscht zu den Oligarchen,
die es auch in der Ukraine gibt; oder zu einem Präsidenten, der auch in den Panama-Papers
auftaucht; oder eine kritische Einschätzung oder zumindest das Benennen des
Dilemmas, dass im Krieg wehrfähigen Männern die Ausreise aus der Ukraine untersagt ist;
oder die Ermordung
eines Unterhändlers, der zwar als Doppelagent sicher keine rühmliche Rolle
innehatte, aber »nach westlichen Werten« dennoch nicht so einfach über den
Haufen zu schießen ist. Um nicht missverstanden zu werden: Das rechtfertigt
natürlich keineswegs den Überfall Russlands. Nur sollte mensch sich auch nicht
der Illusion hingeben, mit wem mensch es auch bezüglich der Ukraine dort auch
zu tun hat. Erst recht, wenn die Forderung im Raum steht, die Ukraine in die EU
aufzunehmen. Denn nur desillusionierte Zyniker:innen würden hier attestieren,
es ginge um unsere »Werte«.
Ärgerlich war auch das
Herunterspielen der NATO-Osterweiterung. Mensch muss ja nicht unkritisch die
Moskauer Argumentation bezüglich der Nato-Bedrohung, die als Rechtfertigung für
den Einmarsch diente, übernehmen. Aber Fakt ist eben auch, dass es diese NATO-Osterweiterung
gab, »der Westen« eben auch seine geostrategischen Spielchen spielt und seitens
der NATO offenbar über nukleare Abschreckung nachgedacht wurde – und zwar so
offen, dass eine ehemalige Verteidigungsministerin
im Deutschlandfunk darüber sprechen konnte. Nochmal, das rechtfertigt
keinen Überfall auf die Ukraine. Aber es ist eben auch nicht so ohne Weiteres
unter den Teppich zu kehren. Im besten Falle bleibt es eben: kompliziert.
Und dazu vielleicht noch eine
Sache: Es wird jetzt viel über die Souveränität der Ukraine gesprochen. Das mag
heute als gutes Argument erscheinen, um das Reden über »Einflusssphären«
seitens Russlands abzuwiegeln und den Einmarsch in die Ukraine erst recht
abzulehnen. Wie kommt mensch denn dazu, ›der‹ Ukraine vorschreiben zu wollen,
was sie zu tun oder zu lassen hat? Und in der Tat ist ein militärischer
Angriff das Extrem der Aberkennung staatlicher Souveränität. Aber wenn mensch
von staatlicher Souveränität spricht, sollte mensch vielleicht auch ein paar
Worte darüber verlieren, wie viel Souveränität noch bleibt, wenn ausländische
ThinkTanks, Stiftungen und Parteien sich in die innenpolitischen
Verhältnisse eines Landes einmischen. Mensch denke hier auch an die
Unterstützung von Klitschko/
UDAR.
Was mich im Interview aber hauptsächlich
geärgert hat, war, wie Eichwede die rechtsextremistischen Tendenzen
runterspielte. Nein, mensch muss auch hier nicht die Propaganda aus dem Kreml
übernehmen. Und ja, politisch mögen die Rechtsextremen in der Ukraine
abgeschlagen sein: Zum Beispiel sank die rechtsextreme Swoboda-Partei in der
Wähler:innengunst von 10,4% (2012) auf 4,7% (2014) [Wikipedia].
Das ist auch das, worauf sich Eichwede zurückzieht. Was aber in der Kritik
steht, dass ist erstens der – sagen wir mal vorsichtig – zurückhaltende Umgang
mit Rechtsextremen, den
2019 Amnesty International kritisierte. Und zweitens sind da noch militante
Rechtsextreme, Asow-Regiment usw. Wenn dann Hans Jessen bei Jung und Naiv im
Zuschauerfragenteil zum Asow-Regiment auf eine Größenordnung von um die 2.500
Personen hinweist, dann ist das schon eine Hausnummer. Denn es handelt sich dabei um
bewaffnete Rechtsextreme. Und
Achtung: Das sind die, denen die NATO aktuell Panzerabwehrwaffen gibt (Twitter).
Die NATO selbst hatte am Frauentag mit einem Bild geworben, auf dem eine
Soldatin mit dem rechtsextremen Symbol der schwarzen Sonne zu sehen ist (Twitter)…
mittlerweile ist das gelöscht. Aber auf Twitter gibt es verschiedene weitere
Bilder mit der Symbolik. Die Fotostory vom Spiegel
wäre hier auch zu erwähnen – wurde wieder aus dem Netz genommen, weil die »Einheit
des Kommandeurs [..] einen rechtsnationalistischen Hintergrund« hat.
Das ist natürlich heikel, weil
Putin in seiner Rede zum Angriff auf die Ukraine anführte, die Ukraine »entnazifizieren«
zu wollen, und mensch ihm da von der Gegenseite jetzt schlecht auch nur einen Schritt Recht gegeben möchte.
Und natürlich ist es seitens Moskau überzogen, den Eindruck zu erwecken, da
wären überall Neonazis in der Ukraine. Es ist aber eben auch ein erhebliches
Problem, so zu tun, als wären das nur ein paar rechte Spinner, so ähnlich wie
die AfD, und das hätte alles nichts zu sagen. Nein, im Gegenteil. Wer jetzt
Waffen liefert und damit solche Leute versorgt, sorgt auch für ein handfestes
Sicherheitsproblem, wenn diese Waffen – zum Beispiel über angeworbene »Widerstandskämpfer:innen«
aus den rechtsextremen Milieus außerhalb der Ukraine – in die Hände von
Rechtsextremen in zum Beispiel Deutschland gelangen. Es ist ja nicht so, dass Deutschland
gar keine Probleme diesbezüglich hätte (Nordkreuz, Hannibal usw.). Aber davon
abgesehen: Glaubt wirklich ein Mensch, dass es für eine Nachkriegs-Ukraine eine
besonders schlaue Idee ist, gerade solche Gruppierungen weiter im Militär zu
haben und diese auch noch mit Waffen zu versorgen?
Nun gut, wer das liest, soll
sich nicht entmutigen lassen. Das Interview mit Eichwede
ist trotzdem sehenswert.
Zum Schluss noch ein Lektüretipp: Die Kolumne von Thomas Fischer, die zwar sehr lang ist, aber in der fast jeder Satz zum Zitieren einlädt. Leseempfehlung!
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