Über „Aufgelesen-und-kommentiert“
bin ich gerade wieder auf eine Aussage von Frau W. gestoßen (via internetz-zeitung.eu).
Eigentlich steht dort nichts Neues. Aber weil kurz nach der Bundestagswahl 2017
verschiedentlich die Auseinandersetzungen zwischen Riexinger/Kipping und
Wagenknecht/Bartsch Thema waren und genau dabei auch das Thema ‚Asyl‘ wieder im
Raum stand, will ich mir dann doch noch einmal ein paar Einlassungen erlauben.
Dazu möchte ich zunächst kurz
auf ein gewieftes Argument hinweisen, das ich bisweilen zur Verteidigung von
Frau W. lese. So heißt es etwa, dass Frau W. bei nüchterner Betrachtung
natürlich recht habe, dass nicht die ganzen Milliarden an Flüchtenden in
Deutschland aufgenommen werden können (z.B. hier).
Salopp auf den Punkt gebracht, könne Deutschland nicht alle Flüchtenden der
Welt aufnehmen. ‚Nüchtern‘ betrachtet mag da wohl zunächst etwas dran sein
(wobei gemäß dieser Denke ebenso nüchtern gegengerechnet werden müsste, was
‚wir‘ alles an Flüchtenden produzieren – durch Ausbeutung, Krieg etc.). Nur
ebenso nüchtern betrachtet lässt sich feststellen, dass niemand ernsthaft
fordert, alle (!) Flüchtenden der Welt in Deutschland aufzunehmen. Solche
Behauptungen kommen in der Regel hauptsächlich in rechten Argumentationen zum
Tragen, um ein Angst-Szenario auszubreiten, aus dem sich eine ‚Wir-gegen-die-Anderen‘-Rhetorik
speist.
Aber lassen wir das mal kurz
außen vor. Mit der gleichen Nüchternheit, die für die Aussagen von Frau W.
eingefordert wird, wäre jedenfalls erst einmal zu würdigen, dass es laut UNO-Flüchtlingshilfe
die Türkei, Pakistan, der Libanon, Iran, Uganda und Äthiopien sind, die zu den
größten Aufnahmeländern von Flüchtlingen zählen. Hinzu tritt noch folgende –
für die ‚Das Boot ist voll.‘-Rhetorik – ganz besonders bemerkenswerte
Feststellung: „Einer von drei Flüchtlingen (insgesamt 4,9 Millionen) wurde von
den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt aufgenommen.“ (ebd.)
Ergänzend dazu möchte ich den Blick noch auf einen Beitrag aus der ZEIT
lenken, in dem 2015 über die Situation im Libanon zu lesen war, dass dieser –
halb so groß wie Hessen, mit einer Bevölkerung von ca. vier Millionen – 1,2
Millionen Menschen aus Syrien aufnahm. Generell sind es laut Pro-Asyl
lediglich drei Prozent aller Flüchtenden, die in die EU kommen.
Zurück zur Nüchternheit: Würde
Frau W. nun – eingedenk der eben geschilderten Situation – über den Libanon
sprechen und sagen ‚Dort sind die Kapazitätsgrenzen (langsam) erreicht.‘, wer
würde ihr widersprechen? Der Punkt ist nur, dass sie nicht vom Libanon spricht,
sondern von Deutschland. Daher mal ein Vergleich: Deutschland hat laut Destatis
82
Millionen Einwohner, konnte 2016 auf ein BIP von 3.144,1
Milliarden Euro bzw. 3,466 Billionen USD (Wikipedia) blicken; im
gleichen Jahr 2016 wurde über die Asylanträge von 695.733 Personen entschieden
(BAMF)
und zwischen Januar und September 2017 lag die Zahl der registrierten
Asylsuchenden laut Bundesstelle
für Politische Bildung bei 139.635 Personen (die Bundesregierung
gibt für den gleichen Zeitraum 168.306 Personen an).
Dagegen liegt die Bevölkerung
des Libanons aktuell bei ca. 6,2 Millionen Menschen, das BIP bei (nominal) 52
Milliarden USD (Wikipedia)
und die Zahl der aufgenommenen Flüchtlinge liegt geschätzt zwischen 1 bis 2
Millionen Menschen (Zahlen
laut nachrichten.at vom Dezember 2016). Die so rhetorisch wie ‚nüchterne‘ Preisfrage
lautet nun: Welches Land von beiden wird wohl am ehesten an ‚Kapazitätsgrenzen‘
stoßen?
Vor diesem Hintergrund
entlarvt sich das Gerede von Frau W. über ‚Kapazitätsgrenzen‘ also schlicht als
Fischen am rechten Rand. Ohne Not fabuliert die Dame von ‚Kapazitätsgrenzen‘ in
Deutschland, um das rechte Gerede vom ‚vollen Boot‘ auch in ‚linken‘ Kreisen
hoffähig zu machen. Eigentlich ein Widerspruch in sich, die rücksichtslos
rechte Ausgrenzlogik mit einer roten Schleife zu versehen, deren
identitätsstiftende Farbe eigentlich einmal für die Solidarität mit und unter den
Schwächsten stand. Jedenfalls hatte das Gysi mit seiner Replik auf Herrn L., der
ebenfalls den Zug nach Dunkeldeutschland nehmen wollte, richtig formuliert:
„Wir müssen an der Seite der Schwachen und der Mitte in der Gesellschaft, übrigens auch in der Wirtschaft stehen. Das ist unsere Aufgabe. Die Flüchtlinge sind schwach, bei uns sogar die Schwächsten, sich gegen sie zu stellen, verriete meines Erachtens unseren sozialen und humanistischen Ansatz.
[…]
Wenn man mehr soziale Gerechtigkeit will, darf man nicht gegen andere Arme, sondern muss man gegen ungerechtfertigten Reichtum kämpfen. Wechselten wir in dieser Frage unsere Politik grundsätzlich, dann verlören wir viele derjenigen, die uns 2017 gewählt haben, und gewönnen nur wenige hinzu. Meines Erachtens bedeutete dies auch unser Ende als linke Partei.“ (Gregor Gysi, Neues Deutschland, 28.09.2017)
Dem wäre eigentlich nichts
weiter hinzuzufügen, außer Folgendes: Frau W.s ‚nüchterne‘ Betrachtung von –
aktuell – rein fiktiven Szenarien, in denen Kapazitätsgrenzen ausgereizt sind, weist
ziemlich starke Parallelen zu den kalkulierten Tabubrüchen Sarrazins auf, mit
denen er damals äußerst erfolgreich rechtes Gedankengut wieder der breiten
Öffentlichkeit schmackhaft machte. Seit dem dürfen wir ja doch wohl wieder über
bestimmte Dinge reden dürfen... Die Gefahr, dass Frau W. eine ähnliche Funktion
übernimmt, aber eben in den restlich verbliebenen sich ‚links‘ wähnenden
Kreisen, ist sehr groß. Die Unbedarftheit, mit der sie hinsichtlich ihrer
Aussagen die Missverstandene, gemobbte usw. spielt, nehme ich ihr nicht ab.
Und damit will ich wieder zu
der eingangs erwähnten Aussage zurückkehren. Denn darin zeigt sich meines
Erachtens abermals sehr gut, welches Kalkül Frau W. an den Tag legt. Unter
anderem sagte/schrieb sie Folgendes:
„Statt mit der Forderung ‚Offene Grenzen für alle‘ Ängste gerade bei denen zu befördern, die seit Jahren vom Abbau des Sozialstaates und zunehmender Lebensunsicherheit betroffen sind, sollten wir uns darauf konzentrieren, das Asylrecht zu verteidigen. Das Recht auf Asyl ist ein Grundrecht, das nicht immer weiter ausgehöhlt werden darf. Aber es bedeutet nicht, dass jeder, der möchte, nach Deutschland kommen und hier bleiben kann.“ (Wortlaut zitiert bei Jürgen Meyer @internetz-zeitung.eu)
Zunächst adressiert sie genau
den Mythos, den die Rechten gerne bespielen: Merkel hätte die Grenzen für alle
geöffnet. Dass an dem Mythos wenig wahr ist, darüber berichtete bereits die Zeit
im Oktober 2016. Gut, mögen da Einige denken, das ist halt politisches
Säbelrasseln. Wenn’s gegen Merkel geht, könnten wir doch auch mal alle Fünfe
gerade sein lassen. Oder nicht? Theoretisch ja, doch praktisch verfängt es
wenig, wenn damit eine – zumal falsche – Argumentation aufgegriffen wird, der
sich sonst die Rechten bedienen. Erst Recht, wenn es gegen schwache
Menschengruppen – wie Asyl suchende Menschen – geht. Wenn also auf ‚armen
Teufeln‘ rumgetreten wird, ihnen das ohnehin schon schwere Leben schwerer
gemacht werden soll. Insofern ist es nicht nur sachlich falsch, was Frau W.
suggeriert, sondern ein bewusstes Spielen mit rechter Argumentation und im
Kontext einer der Solidarität verpflichteten ‚Linken‘ eine bodenlose
Geschmacklosigkeit.
Schwer zu verstehen ist, wenn Frau
W. dann noch behauptet, dass ‚Offene Grenzen für alle‘ gefordert worden wären,
dies Ängste bei den Betroffenen vom Sozialabbau (Einheimischen) schürte, wir
aber das Asylrecht verteidigen sollen. Denn korrespondiert das Asylrecht als
Grundrecht, das allen Menschen zusteht, nicht irgendwie auch mit offenen
Grenzen? Wenn sie keine ‚offenen Grenzen für alle‘ möchte, für wen möchte sie
denn dann offene Grenzen? Und wem möchte sie dann noch Asyl gewähren?
Die gleiche Problematik taucht auch
im nächsten Satz, den Frau W. von sich gibt, wieder auf: „Das Recht auf Asyl ist ein
Grundrecht, das nicht immer weiter ausgehöhlt werden darf. Aber es bedeutet
nicht, dass jeder, der möchte, nach Deutschland kommen und hier bleiben kann.“
Der erste Satz ist richtig,
verdeckt aber die Verdrehung, die im darauf folgenden Satz enthalten ist. Asyl
ist ein Grundrecht und jeder – ausdrücklich: jeder (!) – Mensch, für den
Asylgründe in Deutschland geltend gemacht werden können, kann natürlich auch
nach Deutschland kommen. Frau W. lässt sich aber auch so interpretieren, dass
es zwar ein Grundrecht auf Asyl gibt, aber kein Grundrecht, das Grundrecht auf
Asyl in Deutschland geltend zu machen. Das mag so sein. Nur spielt sie damit
die gesamte Problematik von Dublin
3 – insbesondere mit Blick auf Grenzstaaten – herunter und sagt letztlich,
dass die Flüchtenden anderswo um Asyl bitten sollen.
Zugespitzt lässt sich
formulieren, dass dies lediglich eine differenziert-vornehme Art ist,
‚Ausländer raus‘ zu sagen: Differenziert, weil sie sich gegen Asylanten richtet
(und nicht gegen Ausländer allgemein), und ‚vornehm‘, weil die Ablehnung der Asylanten
durch den Hinweis ersetzt wird, sie mögen doch bitte in anderen (EU-) Ländern
Asyl erhalten. Mit Letzterem wird also kein ‚Asylant‘ aus der EU geschmissen,
wohl aber aus Deutschland, das – so das Narrativ von Frau W. – angeblich an
seine Kapazitätsgrenzen stoße, weshalb nun (endlich) die anderen Länder in der
Pflicht sind.
Dass hier rechte Argumente
aufgegriffen werden, liegt eigentlich auf der Hand und muss nicht näher
erläutert werden. Damit mir hier aber auch kein Missverständnis entsteht: Frau
W. behauptet ja, dass auch die Ängste der Einheimischen berücksichtigt werden
sollen. Das ist sicher richtig. Aber es können ganze Welten zwischen der Art
und Weise liegen, wie diese Ängste ernst genommen werden. Frau W. möchte die
Ängste aufgreifen, in dem sie diese Ängste weiter schürt und eine ausgrenzende
‚wir gegen die‘-Logik forciert. In der oben von mir verlinkten Replik von Gysi
auf Herrn L. klingt dagegen an, dass es sich für ‚Linke‘ verbietet, die Ärmsten
und Schwächsten gegeneinander auszuspielen. Ja, im Grunde läge die Lösung hier
in der erwähnten Transformation der Asylfrage in eine Frage der Solidarität.
Statt in ‚Deutsche‘ und ‚Ausländer‘ oder ‚Flüchtende‘ zu separieren, könnte
deutlich gemacht werden, wo im Inland die wahren Probleme liegen: Vom
mangelnden sozialen Wohnungsbau sind z.B. alle betroffen, ebenso von niedrig
kalkulierten Regelsätzen für Sozialtransfers etc.
Kurz: Frau W. hat mal wieder
im Trüben gefischt. Mensch kann es drehen und wenden wie mensch will. Wenn
diese Frau wirklich darauf besteht, keinem rechten Ruck den Weg ebnen zu
wollen, dann ist ihre Klugheit gnadenlos überbewertet oder sie versucht – was ich
für wahrscheinlicher halte –kalkuliert, den Rechtsruck in der Linken zu
betonieren. Wenn sie Letzteres bezweckt, stellt sich die Frage, ob die Partei
Die Linke das aushält bzw. duldet oder ob sie davon zerrissen wird. Die
Machtkämpfe, die sich derzeit abzeichnen, lassen zumindest durchblicken, dass
es einen ‚rechten‘ Bodensatz in der Linken gibt, der nicht so schnell das Feld
räumen wird.
2 Kommentare:
Hallo Arbo, ich konnte mich nicht beherrschen und musste Deinen Text zum Anlass nehmen, mich zu dem unschönen Thema auch noch einmal zu äußern. ;-) Danke jedenfalls für Dein Posting und die umfassende Quellenrecherche.
Liebe Grüße!
Hallöchen Charlie,
danke und hab's gesehen sowie kommentiert. Danke auch Dir nochmal für's Aufgreifen. Momentan tut's Not, auch wenn es wie das Opponieren gegen Windmühlen ist. :-)
LG
Arbo
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