Samstag, 3. Juni 2017

Abschiebungen

Diese Woche war auch ‚Abschiebung‘ ein Thema. Das lag daran, dass gleich zwei Mal Menschen aus Schulklassen herausgegriffen und abgeschoben wurden. Ein Fall stammt aus Duisburg, wo eine 14jährige, die in Deutschland geboren wurde, nach Nepal abgeschoben wurde (Vice, 02.06.2017). Beim zweiten Fall handelt es sich um einen Afghanen, der aus einer Nürnberger Berufsschule herausgegriffen wurde und abgeschoben werden sollte. Das fanden die Schülerinnen und Schüler gar nicht so super, haben zivilen Ungehorsam/Widerstand geleistet und die Fahrzeuge blockiert. In kurzer Zeit sollen sich 200 bis 300 Menschen dem Protest angeschlossen haben. Die Situation eskalierte, die Polizei beklagt Verletzte auf ihren Seiten, die Videos zeigen auch verletzte DemonstrantInnen. Auf Vice/de gibt es eine gute Übersicht zu den Medienbeiträgen über diesen Fall.


BR/puls hat eine Augenzeugin interviewt, die zum Hergang u.a. Folgendes sagte: „Die haben ihre Hände verdreht und sie am Hals gepackt, teilweise auch in die Augen gedrückt – einfach nur, um so viel Schmerz zuzufügen, dass wir die Blockade auflösen.“

Ich habe das deshalb gesondert zitiert, weil Schmerz natürlich immer Reaktionen auslöst, wir dank der Bundesregierung nun aber auch eine Verschärfung des Strafrechts haben, bei der praktisch jede demonstrierende Person Gefahr läuft, 'Widerstand gegen die Staatsgewalt' zu leisten und so mit einem Fuß vor Gericht steht (zur Strafrechtsverschärfung ausführlich: „Geplante Strafrechtsverschärfung: Kundgebung gegen rechtliche Privilegierung von Polizisten“ auf netzpolitik.org). Es gibt noch einen anderen Bericht, der das Problem aufwirft: Demonstranten, die dort mutmaßlich Opfer von Polizeigewalt wurden, trauen sich nicht, Anzeige zu erstatten, weil sie fürchten, dass sie mit einer Gegenanzeige (wg. Widerstand) überzogen werden („Abschiebe-Eklat: Auch mehrere Demonstranten verletzt“ auf nordbayern.de).

Der gesamte Vorgang ist einfach nur krass erbärmlich. Grundsätzlich ist es sowas von arm, ein Land für ‚sicher‘ zu erklären, aus dem Menschen flüchten, weil sie Terror ausgesetzt sind. Das war letztlich der konkret historische Hintergrund für den Abschiebe-Eklat in Nürnberg: Schließlich erlebte Afghanistan, in das der besagte Schüler abgeschoben werden sollte, an dem Tag auch noch einen wirklich üblen Terroranschlag. Da fragt sich auch, wie nachrichten- und medien-affin oder -avers die Polizei und die Behörden sind, wenn an solch einem Tag so ein aberwitziger Akt vollzogen werden soll. Nunja, zwar wurden dann im Laufe des Tages kurzfristig Abschiebungen nach Afghanistan gestoppt, allerdings unter einer zynischen Begründung (SPON).

Nach etwas 'Nachdenken' heißt es nun offiziell, dass die Abschiebungen nach Afghanistan eingeschränkt werden sollen, d.h. nur noch Kriminelle, Gefährder usw. kommen weg: Aber einerseits hält schon SPON das Ganze für eine Mogelpackung (Das aufgeschobene Problem, SPON) und andererseits haben auch Kriminelle usw. Menschenwürde, weshalb ich es auch im Falle von Kriminellen usw. für zweifelhaft halte, die Menschen quasi in den fast sicheren Tod abzuschieben.

Die ‚Menschenfreunde‘ von der Union sind sich jedenfalls für keine Blödheit zu schade und zeigen zu dem Thema dieser Tage ihre wahres Gesicht: Die lehnen einen Abschiebestopp nach Afghanistan ab, weil – kommt sicher niemand drauf – das „ein Sieg für die Terroristen“ wäre (ZEIT, 03.06.2017). Wir haben also Menschen, die vor Terror fliehen, die können wir hier nicht aufnehmen, weil das ein Sieg für den Terror wäre, vor dem die fliehen. Also mal unabhängig davon, dass ich gerne mal wissen möchte, worin jetzt der ‚Sieg‘ tatsächlich besteht… möchte ich mir nicht ausdenken, was dieses Argument für Konsequenzen in der Bewertung diverser Entwicklungen der deutsche Geschichte hätte...

Abschließend möchte ich noch auf einen kleinen, vielleicht unscheinbaren Aspekt hinweisen, der mir in der Diskussion aufgefallen ist. Jakob Augstein vom Freitag hatte nämlich bzgl. der Eskalation in Nürnberg folgendes getwittert: „In welche Lage bringt man Polizisten, solche Anordnungen umzusetzen? Es ist schändlich.“

Jetzt hat er natürlich insoweit Recht als dass die Anordnung zur Abschiebung übel war. Aber so, wie sich das hier liest, könnten sich Polizisten darauf herausreden, dass sie ja nur ihre ‚Pflicht‘ erfüllt hätten. Wenn wir mal in die deutsche Geschichte schauen (Stichwort: Befehlsnotstand), dann könnte hier durchaus der Eindruck im Raum stehen, dass wir nach dem zweiten Weltkrieg schon einmal etwas weiter waren. Oder anders formuliert: Wären gegen Ende der DDR alle Polizisten ebenso befehlsgehorsam drauf gewesen, wäre die ‚friedliche Revolution‘ vielleicht nicht so friedlich geblieben; wer weiß, ob sie überhaupt stattgefunden hätte. Könnte mensch auch mal drüber nachdenken…

[Update 04.06.2017, 23.43 Uhr: Kleine Umformulierungen uä.]

2 Kommentare:

Charlie hat gesagt…

Mir fällt zu diesem widerwärtigen Verhalten von staatlicher Seite nichts weiter ein - ich war schon sprachlos, als ich erste Berichte darüber las; in dieser konzentrierten Zusammenfassung kommt mir nicht viel mehr als ein dickes "Fuck you!" über die geistigen Lippen.

Dabei sind die Zeiten, zu denen zuletzt in Deutschland Kinder von Staatsschergen aus dem Schulunterricht geholt wurden, um sie zu deportieren, gerade erst achtzig Jahre her. Und solche Leute wie de Maizière, von der Leyen, Merkel, Steinmeier, Göring-Eichmann und wie sie alle heißen stellen sich hin und äußern nun ihr "tiefes Bedauern" für die Mordopfer in England?!? Lebt auf diesem Planeten irgendwo in einer Waldhütte im tiefsten Lappland vielleicht noch ein Mensch, der ihnen dieses Geheuchel abnimmt? Meiner Vorstellungskraft entzieht sich das.

Frohe Pfingsten! :-)

endless.good.news hat gesagt…

Ich kann mich Charlie nur anschließen. Ich bekommen immer eine solche Wut, wenn sich die Regierungsbank vor Mitleid der Terroropfer in der westlichen Welt nicht einkriegen kann, gleichzeitig tausenden Menschen im Mittelmeer ertrinken und wir Zivilisten bombardieren. Aber da wir per Definition die Guten sind, ist unser Leben einfach viel wertvoller.