Sonntag, 23. Oktober 2011

Wirtschaft und Lehre: Alternativlos 20

Fefe und Frank Rieger aka frank.geekheim haben bei „Alternativlos“ wieder einen interessanten Podcast eingestellt. Diesmal mit Frank Schirrmacher (Alternativlos 20), dem Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Heruntergeladen werden kann das als MP3 oder im OGG-Vorbis-Format. Und gleich vorweg: Der Podcast geht zwar über zwei Stunden, aber Christian Sickendieck von F!XMBR hat sicher nicht unrecht, wenn er diesen Podcast zum „wahrscheinlich besten Podcast aller Zeiten“ adelt.

Ich gebe zu, dass ich vor dem Podcast keine sonderlich positive Meinung von Schirrmacher hatte – sicherlich geleitet durch meine eigenen Vorurteile und der Methusalem-Komplott-Hysterie, die er einst anstieß. Im Podcast glänzte er aber immer wieder durch recht interessante wie kritische Gedanken, z. B. über die Funktion von „Sabine Christiansen“ als allsonntagliche Propaganda-Fabrik neoliberaler Thinktanks (ca. 25te Minute) oder über die – aus meiner Sicht treffend beobachtete – Menschenfeindlichkeit der Ökonomik (ca. 90te Minute). Jedenfalls hat mir der sympathische Podcast viel Spaß bereitet. Nebenher darf auch ich bekennen: Ich war früher (Wandzeitungs-) Agitator … und mache das heute im Grunde immer noch.

Aber genug des Lobes. Ich möchte diesen Podcast zum Anlass nehmen, um ein für mich überfälliges Thema anzusprechen: Konvertierende „Konservative“.
Eben diese Konservativen schienen ja kürzlich die Kritik an der vorbehaltlos blinden Marktideologie für sich entdeckt zu haben. Angefangen hatte das mit dem Eingeständnis von Charles Moore, dem ehemaligen Chefredakteur des britischen Telegraph: „I'm starting to think that the Left might actually be right“.

In Deutschland wurde das vom eingangs erwähnten Frank Schirrmacher aufgegriffen und maßgeblich popularisiert. Während die NachDenkSeiten darin einen Hoffnungsschimmer für ein Umdenken sahen, war Schirrmachers Bekenntnis aber auch von zurückhaltenderen bis kritischen Tönen begleitet (z. B. Hartwig Bögeholz auf Telepolis oder Feynsinn).

Interessant ist nun, dass die Kritik am blinden Marktglauben schon früher zu lesen war. Ich denke da z. B. an Joseph Stiglitzs „Im freien Fall: Vom Versagen der Märkte zur Neuordnung der Weltwirtschaft“, Paul Krugmans „Die neue Weltwirtschaftskrise“ oder John Kenneth Galbraiths „Eine kurze Geschichte der Spekulation“. Stiglitz erhielt 2001 zusammen mit George A. Akerlof und Michael Spence den Wirtschaftsnobelpreis. 2008 war es Krugman, der ihn zugesprochen bekam. Da frage ich mich natürlich, warum es so lange dauern musste, bis „Konservative“ sich dieser Kritik endlich annahmen!

Wer jetzt moniert, dass die eben genannten Werke hauptsächlich aus dem englisch-sprachigen Bereich stammen, der oder die sei auf die Bücher von deutschen Wissenschaftler(inn)en verwiesen: z. B. Helge Peukerts „Die große Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise Eine kritisch-heterodoxe Untersuchung“, Ötsch/ Hirte und Nordmanns „Krise! Welche Krise?: Zur Problematik aktueller Krisendebatten“ oder die Sammelbände „Der neoliberale Markt-Diskurs“ und „Bubbles, Schock und Asymmetrien“.

Wer wollte, konnte also auch deutsche Wissenschaftler(inn)en finden, die sich kritisch zur Wirtschaftslehre äußerten. Also alles gut in Deutschland?

Zunächst ein Blick zurück: In Frankreich wie in England wurde jeweils 2000 und 2001 von Studierenden und Doktorand(inn)en der Wirtschaftswissenschaften eine kritische Bewegung – die Post-Autisten – ins Leben gerufen. Daraus sind recht interessante Netzwerke entstanden, z. B. der Real-World-Economics-Review und der dazugehörige Blog. Zudem existiert ein Heterodox Economic Newsletter sowie das Heterodox Economic Portal. Entsprechende Konferenzen werden auch abgehalten.

In Deutschland gibt es u. a. den Arbeitskreis Postautistische Ökonomie, der dieses Jahr sogar eine Tagung unter dem Titel „Krise des Kapitalismus und die Zukunft der Wirtschaftswissenschaft“ veranstaltete. Erwähnenswert sind noch kleinere Netzwerke wie z. B. die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik oder der Arbeitskreis Kritische Wirtschaftswissenschaftler(inn)en an der FU Berlin. Was im ersten Moment ganz gut ausschaut, ist im Kern jedoch recht kleinteilig und im Grunde allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein.

Denn in Deutschland besteht nach wie vor das Problem, dass der sogenannte neoliberale „Mainstream“ in den Wirtschaftswissenschaften unbekümmert fortwuchert und weiter das zementiert, was kritische Ökonom(inn)en seit Langem kritisieren. Es ist daher sicher nicht falsch, zu behaupten, dass all jene deutschen Wirtschaftswissenschaftler(innen), die als Autor(inn)en der oben erwähnten Bücher in Erscheinung getreten sind, im Grunde eher mehr als weniger gegen Windmühlen zu kämpfen scheinen.

Damit lässt sich der Bogen wieder zurück zum Anfang dieses Beitrags schlagen: Es ist zwar schön, wenn Leute wie Schirrmacher langsam die Kritik am blinden Marktglauben ernst nehmen (obwohl sie das leider immer noch als „linkes Zeug“ abtun).

Besser wäre es aber, wenn Schirrmacher und Co. in ihrer nicht gerade unwichtigen Funktion und Position all jenen das Wort erteilen würden, die sie früher eher ausblendeten. Es existiert eine Reihe deutscher Ökonomen jenseits von Rudolf Hickel und Gustav Horn, die etwas zu sagen haben und deutlich machen, dass eine andere (!) Wirtschaftswissenschaft denkbar wäre.

Allerdings zeigt sich schon jetzt wieder, dass das Thema „Finanzkrise“ und „Eurokrise“ mit den altbekannten Gesichtern beackert wird. Ernst zu nehmende kritische Ökonom(inn)en stehen so gut wie gar nicht in der öffentlichen Wahrnehmung. Leider!

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