Mittwoch, 23. August 2017

Presseschau (23.08.2017): Gefährder, Rechte, Wirtschaftswissenschaften und mehr

Die Zeit titelte gestern „Abschiebung islamistischer Gefährder rechtmäßig“. Um was ging’s? Zwei Personen (27 und 21 Jahre), die in Deutschland geboren wurden und aufwuchsen, aber keinen deutschen Pass (keine deutsche Staatsangehörigkeit?) besaßen, wurden als ‚islamistische Gefährder‘ eingestuft und sollen in – Achtung: Zynismus pur – die ‚Heimatländer‘ abgeschoben werden. Dagegen wurde geklagt, das Bundesverwaltungsgericht hat das abgelehnt. Die Personen müssen bzw. dürfen abgeschoben werden.


Ich will mich an dieser Stelle nicht am Gummibegriff ‚Gefährder‘ aufhängen. Nehmen wir einfach mal an, dass es stimmt, was die Behörden sagen, dass die mit dem IS sympathisierten und jederzeit einen Anschlag hätten durchführen wollen. Aber selbst dann ist es übel, die Leute abzuschieben. Weil es a) das Problem nur verschiebt, b) sie in der BRD sozialisiert sind (!), c) damit die deutsche Gesellschaft verantwortlich für deren Radikalisierung ist und d) diese Menschen auch Menschenwürde haben, d. h. ihnen ein Anspruch auf Re-Sozialisation zusteht. Wenn wir jetzt mal ganz scharf über die Re-Sozialisation nachdenken: Wo sollen die denn re-sozialisiert werden können? Irgendwo im Ausland, mit dem sie zwar sympathisieren, das aber noch nie ihr Lebenszentrum war? Dabei ist noch nicht einmal die Frage beantwortet, wie den die Zustände bzgl. Menschenrechten in den entsprechenden Abschiebestaaten sind.

Zynisch ist das Ganze auch vor einem anderen Hintergrund. Da berichtet nämlich die SZ wieder einmal über rechtspolitisch motivierte Straftaten, die nur nicht gezählt werden. Werden also die einen als ‚Gefährder‘ eingestuft, wenn’s um Islam und links geht (ja, der Fall hier dürfte sicher auch dazu zählen), kneift mensch bei den Rechten ganz dicke die Augen zu.

Was gab’s sonst noch? Ja, öffentlich-rechtliche Partnerschaften, kurz PPP oder ÖPP. Das hatten wir ja auch lange nicht mehr. Wunderbar gepriesen als das Ding moderner Staatsfinanzierung. Und jetzt geht das Prestigeprojekt des Ausbaus der A1 finanziell baden (SZ vom 23.08.2017). Beim Lesen durfte der Leser oder die Leserin bereits über eine ganz besondere Stilblüte stolpern:


„Die Betreibergesellschaft A1 Mobil für den bereits erfolgten Ausbau der Autobahn zwischen Bremen und Hamburg warnt das Bundesverkehrsministerium in einem Brief vor einer ‚existenzbedrohenden Situation‘. Schießt der Bund kein Geld nach, könnte in wenigen Monaten das Aus folgen. Am Montag reichte das Konsortium Klage über 640 Millionen Euro gegen die Bundesrepublik Deutschland ein.“ (SZ vom 23.08.2017)

Ja, wie war das nochmal? Bei ÖPP soll das Gemeinwohl im Blick sein und die öffentliche Hand entlastet werden. Die private Seite soll dann die Finanzen stemmen und bekommt dafür dann Pacht- oder Mietvertragszusicherungen. Interessant, dass es stattdessen offenbar dann doch bei staatlich finanzierten Projekten bleibt. Böse Zungen mögen das dann als staatliche Subventionierung bezeichnen. Nachdem sich also die Banken im Zuge der ‚Bankenrettung‘ darüber freuen durften, wie ihre Misswirtschaft sozialisiert wurde, wird nun offenbar auch noch fröhlich weiter anderen Unternehmen das Geld hinterher geworfen…

Übrigens war am Sonntag wieder die Quasselbude im TV auf: Anne Will lud zur Diskussion „Merkel oder Merkel - Hat Deutschland nur diese Wahl?“. Wer war geladen? Zwei Vertreter der Großen Koalition, also sPD und cDU, und – jetzt kommt der Kracher – die FDP und die AfD. Das muss mensch sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Statt die wenigen Oppositionsparteien einzuladen, wurde auf zwei nicht im Bundestag befindliche Parteien zurückgegriffen. Wenn das nicht mal ein Statement ist. Oder für die, die es nicht so mit dem Lesen zwischen den Zeilen haben: Mich beschleicht das Gefühl, dass hier medial ein großes Interesse daran besteht, FDP und AfD in den Bundestag zu bekommen. Anders kann ich mir nicht erklären, wie sie diese unverbesserlich und selbstgerechte FDP und so einen rechtspopulistischen Haufen wie die AfD einladen können.

Kommen wir zu einem anderen Thema: Aktuell wird wieder verstärkt über den Zustand der Wirtschaftswissenschaften diskutiert. Vor ein paar Wochen gab es im Standard einen Kommentar von drei Volkswirten, die alternativen ökonomischen Strömungen ‚Pseudowissenschaft‘ vorwarfen. Der Artikel ist argumentativ natürlich so schwach, dass es nicht lohnt, ihn wirklich zu lesen. Interessanter sind die Repliken darauf:


Auf Makronom wurde die Diskussion dann von Johannes Becker aufgegriffen, der sich ebenfalls kritisch zur ‚Pluralen Ökonomik‘ äußerte, aber hier diesbezüglich offen blieb. Der Wirtschaftsethiker Thomas Beschorner hat sich dazu auch noch einmal in einem lesenswerten Beitrag zu Wort gemeldet und zwar in der Zeit: „Wirtschaft ist Kultur“.

Die Wahl hatte ich ja weiter oben bereits angesprochen. In Österreich wird ja auch wieder gewählt. Und was soll ich sagen: So farblos und kraftlos wie die Schulz-sPD in Deutschland daherkommt, so zielstrebig greift auch die sPÖ in die kommunikative Kloschüssel. Denn ehrlich, wer kommt bitteschön auf die dämliche Idee, mit dem Slogan „Holen Sie sich, was Ihnen zusteht“ in den Wahlkampf zu ziehen? (Standard, 04.08.2017 & DiePresse; eine Bild-Dokumentation gibt’s auch auf Flickr) Statt auf Solidarität zu setzen kommt nun ein quasi neoliberaler Slogan, der auf ICH, ICH, ICH setzt. Zudem schafft der Slogan auch noch eine unnötige Distanz, wenn er die Sie-Form wählt. Sympathisch ist daran nichts. Zusammen mit dem Debakel um den Wahlkampfleiter Silberstein (DiePresse, 16.08.2017) ist der sPÖ wohl nun auch nicht mehr zu helfen.

Zum Schluss noch einen interessanten Artikel, über den beim sehr empfehlenswerten „Aufgelesen und kommentiert“ gestolpert bin: „Wie ich zum Linksextremisten wurde, ohne es zu bemerken“. Da wird eine Situation beschrieben, die sicher viele kennen. Treffend auch die Beschreibung zu den rechten Tendenzen, die gerade weltweit zu beobachten sind. Interessanterweise gibt es dazu gerade ein Buch, auf das ich bereits hingewiesen hatte: Populismus für Anfänger (Westend Verlag). Hierzu empfehle ich gerne noch einmal das entsprechende Interview mit Walter Ötsch (Telepolis, 01.08.2017, Druckversion).

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